Jüdische Geschichte

Mythos Masada

Blick auf Teile der ehemaligen Wüstenfestung Masada, eine der berühmtesten archäologischen Stätten Israels
Blick auf Teile der ehemaligen Wüstenfestung Masada, eine der berühmtesten archäologischen Stätten Israels © dpa / picture alliance / Reinhard Kaufhold
Von Peter Kaiser · 21.08.2015
Eine Festung in der Wüste steht bis heute als Symbol für die Freiheit Israels: In Masada trotzten einst jüdische Patrioten den anrückenden Römern. Am Ende trafen die Belagerten eine schicksalhafte Entscheidung.
"Rings um einen gewaltig aufstrebenden Felsenhügel ziehen sich von allen Seiten tief eingeschnittene und jäh abstürzende Schluchten herum, die sich unten in unergründlicher Tiefe verlieren und von keinem Fuß eines lebenden Wesens betreten werden können."
Flavius Josephus "Jüdischer Krieg"
Täglich bringt die Seilbahn von der Talstation in der Judäischen Wüste in zwei Minuten die Besucher 400 Meter hoch zu jenem Ort, der als Symbol für die Freiheit Israels gilt: die Bergfestung Masada am Toten Meer.
"Man erzählt sich, dass Herodes im Sinn hatte, diesen Platz als Zufluchtsstätte für seine Person zu errichten."
Oben angekommen, geht der Blick weit über die Wüste zu den jordanischen Bergen am Westufer des Toten Meeres. Zu den Füßen des Besuchers aber, am steilwandigen Tafelberg:
"Ein Fehltritt bedeutet den sicheren Tod, da auf beiden Seiten tiefe Abgründe
heraufgähnen, die durch ihren schauerlichen Anblick auch den Verwegensten schwindelig machen könnten..."
400 Meter tief, vor der Festung Masada, sind noch die Erdwälle zu sehen, die von der 10. römischen Legion des Statthalters Flavius Silvus vor fast 2000 Jahren errichtet wurden, um Masada zu erstürmen.
"Acht Militärlager waren um Masada, man kann sehen, dass diese mit einer Verteidigungsmauer verbunden sind."
Die Luft ist klar, der Wind sauber. Miri Lowenberg, die israelische Führerin, erklärt im oberen Teil der Festung, was zu sehen ist.
"Was wir hier sehen, ist der erste Palast, den Herodes gebaut hat. Das ist der westliche Palast, dort sollte sein Thronraum sein. Hinter uns ist der nördliche Palast. Und in der Mitte sind drei Vierecke, und da sind die Ruinen hier daneben. Und dort, wo die Fahne ist, und dort oben, dort sind die Küchen für die Soldaten, die hier waren."
Vor allem der Nordpalast lässt die Besucher staunen
Aus einer bereits vorhandenen kleineren Wehranlage entstand unter König Herodes von 37 v. Chr. bis 31. v. Chr. auf einem rund 1800 Quadratmeter großen Territorium die gewaltige Verteidigungs- und Kampfmaschinerie Masada für fast 1000 Zeloten. Diese Gruppe, das griechische Wort "Zelot" bedeutet religiöser Eiferer, war zur Zeit der römischen Weltherrschaft eine Art paramilitärische jüdische Widerstandsbewegung im "Großen Aufstand gegen die Römer".
"Hier ist eine Villa, das ist der Essenssaal, es ist römisch, es ist modisch, die Küche ist auf der rechten Seite, wo die Sklaven über den Hof kommen und das Essen servieren können."
Doch Masada war nicht nur ein Ort des Krieges. Herodes ließ um das Bergplateau eine Mauer mit fast 40 Türmen ziehen. Innerhalb der Festungsmauer entstanden Ställe, die Kommandantur des Zelotenanführers Eleazar Ben Yair, sowie Lager- und Wohnhäuser, Badestellen. Für Herodes selbst wurde nördlich ein Palast in den Fels gehauen und ein 3300 Quadratmeter überspannender Palast im Westen des Plateaus errichtet.
Doch es ist der Nordpalast, der die Besucher in Erstaunen versetzt. Denn das sich über drei Etagen erstreckende Herrscherhaus verfügte über mit marmoriertem Stuck verzierte königliche Gemächer, eine runde Ruhehalle mit vergoldeten Säulen-Kapitellen, ein warmluftbeheiztes Bad, sowie - auf einer künstlichen Plattform über dem Abgrund - einen Lustpavillon mit Blick über die Wüste aufs Tote Meer.
Selbst Wasser - hier in der Wüste - war auf Masada kein Problem. Ein kunstvolles System von Zisternen, Dämmen und Kanälen fasste jede Unze Wasser auf. Davon kann man sich noch heute überzeugen.
"Es gibt eine Quelle auf den Bergen, weit in der Negev-Wüste, und von dort gab es eine Umleitung in der Herodes-Zeit. Und jetzt ein Rohr, und das bringt das Wasser hier her für uns zum Genießen."
Das ist die Quelle aus Herodes-Zeiten? Die Urquelle sozusagen?
"Die Urquelle, die wurde von ihm auch benutzt."
Ober-, Mittel-, Unterterrasse, Thermen, Magazine, Wohnhäuser - man geht unter der sengenden Wüstensonne langsam und bedächtig, schaut, staunt. Doch nicht die imposanten Gebäude sind das eigentlich Beeindruckende. In einem Versammlungsraum kommt Miri Lowenberg auf die Ereignisse zu sprechen, die im Jahr 72 und 73 v. Chr. Masada weit über das Architektonische herausheben.
"Nachdem der römische Feldherr bereits den Platz durch die äußere Umwallung abgesperrt und gegen einen etwaigen Fluchtausbruch Vorsorge getroffen hatte, nahm er die eigentliche Belagerungsarbeit in Angriff."
Der zehnfachen römischen Übermacht können die Zeloten nichts entgegensetzen
In der Festung Masada: 960 jüdische Patrioten, Männer, Frauen und Kinder. Davor 9000 schwer bewaffnete römische Elitesoldaten, die den Widerstand in der Festung um jeden Preis brechen wollen. Monatelang ist die Felsfestung uneinnehmbar. Bis die Römer eine gewaltige Rampe bauen.
"Auf derselben Stelle ließ Silvius eine gewaltige Maschine errichten, die in einem fort die Mauer mit Stößen bearbeitete. Wie Silvius das sah, gab er den Soldaten den Befehl, gleichzeitig eine große Anzahl brennender Fackeln gegen die Mauer zu schleudern."
Der zehnfachen römischen Übermacht können die Zeloten nichts entgegensetzen. Ihr Anführer Eleazar Ben Yair weiß, was jetzt droht: Deportation als Schlachtopfer zu den Zirkusspielen in Antiochia und Caesarea, als Geiseln nach Rom, als Sklaven in die Bergwerke am Sinai. Was er beschließt, begründet bis heute den Mythos Masada.
"Es wurden zehn Männer ausgewählt, die die anderen und dann sich selbst töten sollten."
Der Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtet, dass Eleazar gesagt haben soll:
"Der Tod gibt den Seelen ihre Freiheit und lässt sie nach den reinen Stätten ihrer wahren Heimat ziehen."
Auf gefundenen Tonscherben stehen zehn Namen. Man vermutet, es sind die ausgelosten Männer, die alle anderen töteten, und dann sich selbst. Doch man fand im Versammlungsraum von Masada noch mehr.
"Ein Stück Schriftrolle mit Kapitel 37 aus Hesekiel, das beschreibt die Wiederauferstehung von Israel. Wind und Seele, im Hebräischen ist es dasselbe Wort, Ruach, und sagt zu dem Wind, er soll kommen von vier Seiten der Welt, und füllen diese Ermordeten. Und Gott sagt zu den trockenen Gebeinen: Ihr seid das Haus Israel."
Zwei Frauen und fünf Kinder - versteckt in einer Wasserleitung - überlebten den kollektiven Selbstmord. Es heißt, der römische Statthalter haben ihnen aus Ehrfurcht das Leben geschenkt. Auf ihren Berichte stützen sich die Beschreibungen des Flavius Josephus.
"Masada soll nie wieder fallen", war bis 1985 der Vereidigungseid der israelischen Soldaten direkt hier oben in der Festung. Auch wenn heute dort keine militärischen Zeremonien mehr stattfinden - nach wie vor ist der Mythos Masada ungebrochen.
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