Jüdisch anders

Von Miron Tenenberg |
Drei Frauen denken jüdisches Leben in Berlin neu. Sie organisieren Veranstaltungen, die auf die üblichen Konventionen verzichten. Da diskutiert schon mal ein Rabbi vor Ablauf des Schabbat über Atheismus.
Der Geist der Emanzipation weht wieder durch Berlin. Hier, in der Heimat der Haskala, also der jüdischen Aufklärung des 18. und 19. Jahrhunderts, soll ein neuer Ort für jüdisches Leben entstehen. Jüdisches Leben, das weniger durch Religionsausübung als durch kulturelle Gemeinsamkeiten bestimmt ist. Fernab von etablierten jüdischen Institutionen wollen die drei Frauen, Aya Noah, Yaël Schlesinger und Raphaëlle Oskar, Veranstaltungen für Menschen arrangieren, die mit Gemeinde-Events nicht viel anfangen können. Der Name: Hamakom.

"Hamakom heißt ja der Ort, also es soll schon ein Ort sein, wo man eben diese Dinge machen kann, die anders sind."

Damit meint Yaël Schlesinger, dass sie sich von einigen traditionellen Konventionen verabschieden. Die Auftaktveranstaltung fand in der letzten Woche anlässlich Schawuots statt. An diesem zweitägigen Feiertag wird an den Empfang der Zehn Gebote durch Moses erinnert. Traditionell studiert man während der Nacht die Tora in der Synagoge. Bei Hamakom fand dieses "Tikkun Leil Schawuot" aber am darauffolgenden Samstag statt.

"Naja, man macht gerne was Samstagabend und wir haben auch nicht gewartet mit unserem Programm bis Schabbat vorbei ist. Wenn wir jetzt irgendwas machen wollen würden, naja, man trifft sich am Samstag dann eben schon um sieben. Und darum fängt unser Programm um sieben an."

Auf den Abschlusszeremonie des Schabbats, der Haftala, hätten sie ganz bewusst verzichtet, führt Schlesinger fort. Auch das Motto des Abends ist durchaus weltlich gestaltet: "Frauen und Liebe". Acht verschiede Vorträge – von der Liebe der Ehefrau im Juden- und Christentum über lesbische Aspekte im Buch Ruth oder Geschichten aus dem Leben einer Israelin, die einen nicht-jüdischen, deutschen Vater hat. Der Abend war gehaltvoll geplant, ohne dabei starr zu wirken. Mal wurde spontan gesungen oder mit einem Rabbi über Atheismus diskutiert. Beim abschließenden Klezmer-Konzert mischten die Musiker schottische Melodien mit ein oder adaptierten Klassiker. Heutzutage nennt man das eher Balkanbeats, da der Begriff "Klezmer" vielen mittlerweile zu abgegriffen klingt.

Ein freieres jüdisches Leben

Eine mitreißende Party haben die drei Frauen im ACUD, dem alternativen Kunstverein in Mitte, auf die Beine gestellt. Sie sehen Hamakom jedoch als Ergänzung und ausdrücklich nicht als Konkurrenz zu anderen jüdischen Einrichtungen. Viele religiöse Strömungen bieten eigene Veranstaltungen an, jedoch fehlt es an Angeboten ohne diesen Hintergrund.

"Wir benutzen im Deutschen viel zu selten den Terminus 'säkulares Judentum'. Weil selbst ein liberales Judentum ist ja ein religiöses Judentum, nur wir sagen auch nicht 'Nein zu Religiösität', aber wir wollen es halt von säkularen Aspekten her beschauen. Und das Wort 'Säkularität' ist eigentlich sehr wichtig. Das ist also an anderen Orten viel stärker besetzt, anderen jüdischen Gemeinden als in Deutschland, aber ich glaube, wir wollen das zum Teil halt auch in Deutschland ein bisschen beeinflussen."

Dennoch möchten sich Yaël Schlesinger und ihre Mitstreiterinnen auch nicht dem Dogma des weltlichen Judentums unterwerfen. Sie plädieren für Vielfalt bei Hamakom.

"Es ist natürlich, dass man auch in dieser Vielfältigkeit, die vor 1933 in Deutschland herrschte, wie man auch Judentum verstanden hat, dass es da viele interessante Aspekte gibt, aber auch nicht, dass wir gesagt haben, wir wollen jetzt an diese Idee anknüpfen oder an diesen Denker anknüpfen. Sondern wir wollen wieder ein freieres, vielfältigeres jüdisches Leben gestalten."

Den drei Frauen ist es wichtig, dass sie mit Hamakom eine echte Alternative anbieten. Zwar greifen sie selbst auf ein breites jüdisches Netzwerk zurück, welches Schnittpunkte mit dem vertrauten jüdischen Leben teilt, aber abhängig wollen sie sich von denen nicht machen.

"Weil wir nicht in den festen Strukturen aktiv sein wollen, wollen wir jetzt nicht, wie andere vielleicht an den Türen von großen Institutionen klopfen oder haben wir es bisher noch nicht getan, sind auch nicht an die Gemeinde herangetreten und haben unsere Hand aufgehalten, sondern wir wollen halt das selber machen, weil dann sind wir auch in gewissen Punkten viel freier."

Finanziert haben sie sich über eine Crowdfunding-Plattform, auf der man im Netz einen beliebigen Beitrag spenden kann. Das ist noch relativ unbekannt in jüdisch-deutschen Institutionen. Die Abende müssen sich wirtschaftlich eben selbst über Wasser halten. Die drei Frauen haben aber bereits Ideen für die nächsten Veranstaltungen. Vielleicht eine Ausstellung oder ein Diskussionsabend, sicher sind sie sich noch nicht, die Antwort weiß allein der Wind.