Judy Henske wird 85

Queen of the Beatniks

06:27 Minuten
Schwarzweiß-Aufnahme von Judy Henske auf der Bühne
Judy Henskes Gesang prägt Sängerinnen bis heute. © imago images / Everett Collection
Von Sky Nonhoff · 20.12.2021
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Sie lieferte der Folk- und Prä-Hippie-Szene eine Stimme, die so noch niemand gehört hatte. Kritiker Dave Marsh sagte einmal: „Für Judy Henske gibt es nur zwei Kategorien: legendär und unerreicht.“ Heute wird sie 85 Jahre alt.
Als Judy Henske 1977 Woody Allens Film „Annie Hall“ – der deutsche Titel lautete „Der Stadtneurotiker“ – im Kino sah, muss ein leises Lächeln über ihre Lippen gehuscht sein. Annie, die Titelfigur, gespielt von Diane Keaton, ähnelte ihr nicht nur ein wenig, sondern war laut Drehbuch aus Chippewa Falls, genau wie sie. Das hatte sich Woody gut gemerkt, fünfzehn Jahre zuvor, als Judy Henske im Village Gate Club in New York vor seinen Stand-up-Shows als Anheizerin aufgetreten war. Und so hatte alles angefangen:

"Mein damaliger Freund machte Schluss mit mir, ging auf Indien-Trip und hinterließ mir sein Banjo. Also habe ich mir das Banjospielen beigebracht, und so war ich weit und breit die einzige Frau, die Banjo spielte und dazu sang. Und damit war ich eine Idealbesetzung für die Coffeehouses."

Sex und Tod funktioniert immer

Coffeehouses sind Anfang der Sechzigerjahre das große Underground-Ding: für die Beatniks und die neue Folk-Szene, die Superstars wie Bob Dylan und Joan Baez hervorbringen wird. Judy Henske ist mittendrin und doch irgendwie außen vor. Ihre Statur ist zu groß, ihre Haltung zu Devil-may-care, ihr Humor zu sarkastisch, ihr Stil irgendwo zwischen Cabaret, Honkytonk und Lounge-Jazz, ihr Timbre alles andere als so engelhaft wie das einer Judy Collins. Außerdem stellt sie fest: 

„Nachdenkliche Texte kamen beim Publikum nicht so gut an. Die Leute stehen auf Sex und Tod, das funktioniert immer.“ 

Ist ihr Debüt noch eine Lowdown-&-Dirty-Mischung aus Bordell- und Barrelhouse-Blues im Stil einer weißen Bessie Smith, brilliert Judy Henske auf ihrem zweiten Album, „High Flying Bird“ mit einer Stimme, die prononciert modulierte Schärfe mit einer Art heiser gewordener Sehnsucht kombiniert.
Die Band Jefferson Airplane sucht 1965 sogar gezielt nach einer Sängerin, die so klingt wie Henske. Das Pop-Idol Bobby Darin bewundert sie ebenso wie das kalifornische Produzentengenie Jack Nitzsche, und die New Yorker Groß-Filmkritikerin Pauline Kael droht an, ihr die Freundschaft zu kündigen, als Henske ihr sagt, dass sie nie wieder auftreten will.

Judy Henske lässt sich nichts vorschreiben

1970 nimmt sie für Frank Zappas Label "Straight!" das Album „Farewell Aldebaran“ auf, das den Sunshine Pop der Sechziger in Richtung unbekannter Sonnensysteme beamt – will heißen: sehr, sehr far out. Und dann ist Schluss. Judy Henske verschwindet gleichsam von einem Tag auf den anderen in den Annalen des Pop-Obskuren, bis sie Mitte der Achtziger in der amerikanischen Literatur wiederaufersteht: in den eisenharten Thrillern des New Yorker Bestsellerautors Andrew Vachss, dessen Privatdetektiv Burke seine Lieblingssängerin bewundernd „Magic Judy“ nennt.
Und heute? Da muss man weiß Gott nicht sonderlich genau hinhören, um zu erkennen, an welchem Vorbild sich Cher, Bette Midler oder Janis Joplin geschult haben: der Stimme einer hochgewachsenen, dunkelhaarigen Sängerin aus Chippewa Falls, Wisconsin, die schon bei ihrem ersten Auftritt im amerikanischen Fernsehen als „The inimitable Judy Henske“ angekündigt worden war – die unnachahmliche Judy Henske. Dass ihre Einzigartigkeit einen Preis hatte, war dieser Frau vielleicht von Anfang an bewusst gewesen:
"Einem Superstar wird ständig vorgeschrieben, was er zu tun hat. Ich war aber kein Star. Ich saß zwischen allen Stühlen und konnte deshalb machen, was ich wollte, deswegen falle ich ja auch durch sämtliche Raster. Ich sag Ihnen was: Ich habe nie etwas gemacht, was ich nicht machen wollte, Punkt, aus, Ende.“ Wahre Selbstermächtigung war noch nie umsonst zu haben.

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