Juden und Muslime in Deutschland

Begegnungsräume jenseits des Nahostkonflikts

09:39 Minuten
Ein Davidstern und eine Mondsichel hängen als Symbole für Judentum und Islam an einer Kette.
Das Verhältnis von Islam und Judentum in Deutschland muss nicht zwangsläufig durch den Nahostkonflikt geprägt sein, sagt der Judaist Frederek Musall. © imago-images / Godong / Julian Kumar
Frederek Musall im Gespräch mit Andrea Gerk · 14.05.2021
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Zum wiederholten Mal ist der Nahostkonflikt heftig entflammt und hierzulande finden zeitgleich antisemitische Demonstrationen statt. Dabei wären jüdisch-muslimische Begegnungen trotz dieses Konflikts möglich, sagt der Judaist Frederek Musall.
Während der Nahostkonflikt erneut heftig entflammt, kommt es in Deutschland zu antisemitischen Demonstrationen. Der Antisemitismus richte sich nicht nur gegen jüdische Einrichtungen, sagt Frederek Musall, Professor für Jüdische Philosophie und Geistesgeschichte an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. Jüdischen Studierenden und Schülern begegne er zunehmend auch im digitalen Raum und in den sozialen Netzwerken.

Gemeinsames jüdisch-muslimisches Statement

Musall erarbeitet derzeit mit unterschiedlichen jüdischen und muslimischen Vereinigungen, darunter das AusARTen-Festival und die Jüdisch-Muslimischen Kulturtage Heidelberg, ein Statement zur aktuellen Situation. Dabei gehe es nicht um eine Stellungnahme zu Nahost, sondern zur Lage hierzulande, betont Musall. Man habe mit diesen Initiativen schon jahrelang versucht, das jüdisch-muslimische Verhältnis zu verändern und Begegnungsräume zu schaffen.
"Diese Möglichkeiten werden in diesem Moment von dem, was in Nahost passiert, überschrieben, auch weil es lauter ist und sich schneller kommunizieren lässt. Deswegen ist es uns wichtig zu sagen, dass wir zwar nicht verändern können, was in Israel und Palästina passiert, aber wir uns sehr wohl zu dem positionieren können, was hierzulande passiert, wenn beispielsweise Steine gegen Synagogen geschmissen werden oder Israel-Fahnen verbrannt werden - auch in dem Bewusstsein, dass wir unterschiedlich auf den Konflikt blicken."

Gegen vereinfachte Erklärungsmuster arbeiten

Dass der Nahostkonflikt so bestimmend ist für das Verhältnis von Juden und Muslimen in Deutschland, habe viele Gründe, sagt Musall. Manchmal stehe er aber auch stellvertretend für etwas anderes, denn manche Communities hätten keinen unmittelbaren Bezug zu Nahost. Er bezweifle, dass jede Muslima oder jeder Muslim, jede Jüdin oder jeder Jude automatisch wisse, worum es in dem Konflikt gehe.
"Was mir Sorge bereitet, ist, dass sich das so leicht emotionalisieren lässt. In der medialen Aufbereitung gibt es meistens sehr eindeutige Narrative, obwohl die jüdischen und muslimischen Narrative, die wir hierzulande haben, wesentlich komplexer sind."
Es müsse hierzulande viel mehr Bildungsarbeit zu dem Thema stattfinden, sagt Musall und stimmt dem Psychologen Ahmad Mansour zu. Das Problem seien die Gleichsetzungen: "Judentum ist gleich Israel, Islam ist gleich Palästina. Anstatt Komplexitätsreduktion zu betreiben, ist es wichtig, dass wir differenzierter die verschiedenen Facetten und Ursachen des Konflikts darstellen."
Dazu gehöre auch zu lernen, mit Widersprüchlichkeiten umzugehen. "Die Communities sind nicht homogen. Da gibt es unterschiedliche Positionen und Perspektiven. Und es gibt immer wieder Fragen von Loyalitäten: Also entweder bin ich für die eine Seite, und damit bin ich gegen die andere Seite." Die Aufgabe bestehe darin, die unterschiedlichen Positionen zum Nahostkonflikt zu akzeptieren und dennoch hierzulande ein Miteinander zu gestalten.
(rja)
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