Pariser Ausstellung "Juden im Orient"

Die Geschichte von Beginn an erzählen

10:13 Minuten
Der französische Präsident Emmanuel Macron besucht die Ausstellung "Juden im Orient, eine mehrtausendjährige Geschichte" am 22. November in Paris.
Ende November besuchte auch der französische Präsident Emmanuel Macron (l.) die Ausstellung "Juden im Orient, eine mehrtausendjährige Geschichte" in Paris. © picture alliance / dpa / abaca | Gaillard Eric/Pool/ABACA
Von Bettina Kaps · 31.12.2021
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Die Ausstellung über jüdisches Leben im Orient im "Institut du Monde Arabe" passt vielen nicht ins Bild. Doch Stämme gab es lange vor christlichen und muslimischen Völkern und auch während der islamischen Expansion lebten alle miteinander.
Allein die Ortswahl ist eine starke Botschaft: Die Ausstellung "Juden im Orient, eine mehrtausendjährige Geschichte" ist im „Institut der Arabischen Welt“ zu sehen. Diesem Kulturzentrum am Ufer der Seine gehören neben Frankreich alle Staaten der Arabischen Liga an, also auch die Palästinensergebiete. Dort ist nun zu sehen, wie sich jüdische Gemeinden, jüdisches Denken und jüdische Kultur im Lauf der Jahrhunderte von Andalusien bis zu den Grenzen des Iran und zum Jemen entfalten konnten. 
"Viel zu oft betrachten wir die Geschichte der Juden im Orient vom Ende aus, denken vor allem an die massive Auswanderung im 20. Jahrhundert, an Kriege, Konflikte und die ungelöste Palästinenserfrage. Wir wollen diese Geschichte nun von Anfang an erzählen", sagt Kurator Benjamin Stora, ein in Frankreich bekannter Historiker, der vor allem über die Geschichte Algeriens geforscht hat. Das bedeutet: 3000 Jahre fassbar machen, ihre Blütezeiten, aber auch ihre Schrecken. In einem Kulturraum, der sich über drei Kontinente erstreckt.

Antike, interreligiöse Verbindungen

Ausstellungsmacherin Elodie Bouffard zeigt die ältesten Dokumente, die hier zu sehen sind: drei brüchige Papyrusblätter mit aramäischem Text.
"Sie stammen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus und wurden in Elefantine gefunden, einer Insel im Nil. Dort war eine Garnison stationiert, die ausschließlich aus jüdischen Soldaten bestand. Auf einem der Dokumente ist zu lesen, dass sich ein Jude in eine Sklavin verliebt, sie frei gegeben und geheiratet hat. Es gab also interreligiöse Ehen, denn die junge Frau war keine Jüdin."
Zu den spektakulärsten Ausstellungsstücken gehört ein bräunlich verfärbtes Blatt mit hebräischer Handschrift. Es ist die Schrift von Rambam, also Rabbi Mosche ben Maimon, besser bekannt als Maimonides. Der jüdische Religionsphilosoph, Rechtsgelehrte und Arzt wurde Anfang des 12. Jahrhunderts in Andalusien geboren, wirkte vor allem im Gebiet des heutigen Kairos und galt, weit über das Judentum hinaus, als einer der wichtigsten Gelehrten des Mittelalters.
"Maimonides hat einzelne Stellen durchgestrichen, um sich zu verbessern, das treffende Wort zu finden. Wir können regelrecht zusehen, wie er nachdenkt."

Der Letzte, der ein Miteinander erleben durfte

Nach muslimischem Recht galten Juden – genau wie Christen – als sogenannte "Dhimmis": Sie besaßen weniger Rechte als Muslime, waren aber schutzbefohlen. Sie lebten in den arabischen Ländern oft sicherer als im christlichen Europa, wo sie häufig als angebliche "Gottesmörder" verfolgt wurden. Im Arabischen Kulturinstitut zeugen nun prächtige Mosaike, Kultgegenstände, aber auch Hochzeitsgewänder, Schmuck, Bücher, Gesänge und Gebete davon, wie sich die jüdische Kultur im Orient entfalten konnten. Dabei werden vor allem die Parallelen zur muslimischen Mehrheitskultur deutlich.
Benjamin Stora ist selbst Jude, er wurde 1950 in Algerien geboren. Als das Land unabhängig wurde, war er zwölf Jahre alt, und wie die meisten algerischen Juden wanderte auch seine Familie nach Frankreich aus.
"Ich gehöre somit der letzten Generation an, die diese Gemeinsamkeiten gelebt hat. Unsere Küche, unsere Lektüren, unsere Kunst... Selbst die Liturgie klang ähnlich, so als ob sich die Gesänge aus Synagogen und Moscheen geantwortet hätten. Das alles hat es wirklich gegeben! Aber manchen jungen Menschen, die ich bei meinen Forschungen treffe, ist das völlig unbekannt.
Dieses Nichtwissen kann Fantasien befördern, die ausschließlich von Trennung und Hass geprägt sind. Wir hoffen, dass die junge Generation diese geteilte Geschichte entdecken wird und dass wir dadurch die Gräben in Frankreich verringern können."

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Um die Berührungspunkte auch hörbar zu machen, hat sich das Arabische Kulturinstitut an das „Europäische Institut für jüdische Musik“ gewandt. Dieses Dokumentationszentrum – ebenfalls in Paris – besitzt eine der größten Sammlungen weltweit. Dort findet man zum Beispiel Schabbat-Gesang aus Äthiopien, Algerien, Marokko oder – wie hier – aus Tunesien.

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Die Tonqualität lässt erahnen, dass der liturgische Gesang schon vor Jahrzehnten an Ort und Stelle aufgenommen wurde – in einer Synagoge in Tunis. Egal ob geistliche oder profane Musik – die jüdischen Künstler haben oft den Stil ihrer Umgebung übernommen, sagt auch der Direktor des Instituts, der Musikwissenschaftler Hervé Roten.
"Ein Kantor aus Marokko, Tunesien oder Algerien könnte ohne Weiteres mit einem Muezzin zusammen singen. Auch wenn sich ihre Sprache und ihre Texte unterscheiden – musikalisch sind sie auf einer Wellenlänge. Der Kantor aus Nordafrika könnte die hebräischen Gebete hingegen nicht mit einem Kantor aus Polen oder Russland anstimmen."
Ein weiteres Beispiel für die musikalische Nähe ist dieser Segensspruch, ein Kiddusch, der vor der Mahlzeit am Pessachfest in Algerien gesungen wurde.

Jüdische Geschichtsschreibung ist politisch

Die Vorbesichtigung der Ausstellung „Juden im Orient“ hat auch viele Journalisten arabischer Medien angezogen, unter ihnen Tahar Hani. Der Korrespondent einer algerischen Tageszeitung bestätigt die Analyse des französischen Historikers Benjamin Stora.
"Für viele arabische Regime passt diese Geschichte nicht mit ihrer Ideologie zusammen. Und die Islamisten, vor allem in Algerien, wollen erst recht alle jüdischen Spuren auslöschen. Dadurch geht ein großer Teil unserer Kulturgeschichte verloren."
Der israelische Politikwissenschaftler Denis Charbit hat das letzte Kapitel der Ausstellung bearbeitet. Er steht dafür, dass in der Ausstellung nichts beschönigt wird und wirft die heikle Frage auf, warum in den 1950er-Jahren fast eine Million Juden aus den islamischen Ländern fortgezogen ist.
"Die wenigsten wurden ausgestoßen. Man hat sie nicht in Boote oder Laster gesetzt. Aber der arabische Nationalismus hat bewirkt, dass die jüdischen Gemeinden dort für sich keine Zukunft mehr sahen und Verfolgungen befürchteten. Darüber hinaus kam der Zionismus auf. Der Staat Israel sagte: Kommt zu uns."
Außerhalb von Israel leben heute schätzungsweise nur noch 30.000 Jüdinnen und Juden im Orient, vor allem in der Türkei, Marokko und dem Iran. Die Veranstalter hoffen, dass die Ausstellung nun auch in den betroffenen Regionen wahrgenommen wird. Er selbst, sagt Denis Charbit, werde in Israel die Werbetrommel rühren.
"Auf politischer Ebene bewegt sich nichts. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt die Kultur das Wort ergreift. Das wird zwar nicht zu einem Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern führen. Aber wenn klar wird, dass wir alle Töchter und Söhne derselben Länder, desselben Kulturraums sind, ist schon viel geschehen."

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Doch sein Optimismus scheint verfrüht. Kurz nach der Ausstellungseröffnung hat ein Kollektiv „Künstler für Palästina“ einen Protestbrief veröffentlicht, mit dem Titel: "Kultur ist das Salz der Erde und wir werden nicht zulassen, dass sie zur Normalisierung von Unterdrückung benutzt wird."
Der Gruppe gehören auch international bekannte Schriftsteller, Filmemacher und Musiker an. Sie verurteilen, dass das Arabische Kulturinstitut Israel als – so wörtlich – „normalen Staat“ darstelle und auch Leihgaben zeige, die aus dem israelischen Nationalmuseum in Jerusalem stammen. Das Arabische Kulturinstitut will Mitte Januar, bei einer eigens dafür angesetzten öffentlichen Debatte mit Fachleuten, Künstlern und Aktivisten über diese Vorwürfe diskutieren.

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