"Jud Süss - Film ohne Gewissen"

Von Anke Leweke · 22.09.2010
Antisemitistisch. Gewissenlos. Geschichtsverfälschend - Oskar Roehler musste auf der Berlinale viel Kritik und auch Häme für seinen Film einstecken. Erzählt wird die Enstehungsgeschichte des perfiden Nazi-Propaganda-Films "Jud Süß", den über 20 Millionen Deutsche sahen und dessen Vorbereitungen, Besetzungslisten und Dreharbeiten mit Argusaugen von Joseph Goebbels verfolgt wurden.
Dabei nimmt Roehlers Film die Perspektive des Jud Süß-Darstellers Ferdinand Marian (Tobias Moretti) ein. Zunächst verweigert der Schauspieler das Rollenangebot von Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu), weil er, der Frauenschwarm, nicht zu sehr auf die Rolle des Juden festgelegt werden möchte. Doch der äußere Druck wird immer größer und schließlich siegt auch ein wenig die Eitelkeit, an einem Projekt teilzunehmen, das die Crème de la Crème der deutschen Schauspielgilde vereint und dessen Regisseur der renommierte Veit Harlan ist.

Auch wenn Marian durch diesen Film zum Star wird, holen ihn die Gewissensbisse ein. In Roehlers Interpretation des Geschehens wird er schließlich an der Rolle zerbrechen.

Unter anderem wurde "Jud Süß - Film ohne Gewissen" von der Kritik vorgeworfen, dass Marians Ehefrau (Martina Gedeck) von Roehler zur Halbjüdin umdeklariert worden sei, um die Erpressbarkeit des Schauspielers durch die Nazis klarer zu machen. Man kann eine solche Tatsachenverfälschung bei einem so sensiblen Thema instinktlos finden.Vor allem aber nimmt sie dem Film seine dramaturgische Brisanz. Denn die spannende Frage, ob und wie man sich als Künstler durch die Auswahl seiner Rollen schuldig macht, tritt so in den Hintergrund. Schade!

Schade auch, dass Roehler seinen satirischen Tonfall nicht bis zum bitteren Ende durchzieht. Wunderbar grotesk ist das alkoholgeschwängerte, sexualisierte Panorama der deutschen Filmindustrie, das der Film zu Beginn entwirft. Moritz Bleibtreu spielt Joseph Goebbels als die abstoßende Knallcharge, die er war. Und Tobias Moretti zeichnet Marian mal als größenwahnsinnigen Snob, dann wieder als durch und durch verunsicherte Persönlichkeit.

Von ausgesucht gutem schlechten Geschmack ist eine Szene mit Gudrun Landgrebe, die sich als Gattin eines Sturmbannführers vom "Juden" Marian von hinten vögeln lässt. Man hätte sich mehr von diesen trashigen, durchgekallten und unter die Gürtellinie gehenden Einlagen gewünscht. Doch letztlich kann sich Roehler nicht entscheiden zwischen schriller Karikatur und einer Political correctness, die ihn an die Baugruben von Auschwitz führt. Es ist diese Unentschlossenheit, die man diesem Regisseur vorwerfen kann, aber nicht seine freie Interpretation geschichtlicher Fakten.

Deutschland 2010, Regie: Oskar Roehler, Hauptdarsteller: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Tobias Moretti, Armin Rhode, Justus von Dohnányi, ab 12 Jahren, 114 Minuten

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