Jubiläum mit Bauschmerzen
Auf den ersten Blick präsentiert sich die Stadt an der Saale im Jubiläumsjahr frisch renoviert. 1200 Jahre Halle: Das Festprogramm lässt nichts aus - von den Ursprüngen der Salzstadt bis zu den Händelfestspielen. Doch welche Stimmung steckt hinter den farbigen Festumzügen? Wie erleben die Hallenser heute ihre Stadt?
Schlusskonzert der Händelfestspiele in der Galgenbergschlucht. Für viele Hallenser ist dieses Konzert mit Feuerwerk unter freiem Himmel ein fester Termin im Jahreskalender. Im Jubiläumsjahr sind alle Karten lange vorher verkauft. Mit Picknickkörben in der Hand schlendern Hunderte schon am Nachmittag in das Tal der Galgenbergschlucht. Da stehen in langen Reihen hintereinander extra aufgestellte Holzbänke vor imposanter Kulisse. Schroffe Felsen ragen steil empor, Laubbäume und Gebüsch wuchern hoch oben auf dem Plateau. Mit dumpfem Knallen ergießen sich Funken sprühenden Feuerwerkskörper in den dunklen Nachthimmel. Halle feiert 1200 Jahre. Zeit der Vision und Rückbesinnung.
Die Industriestadt Halle hat nach der Wende Tausende Arbeitsplätze verloren. Das Aus für den Waggonbau in Ammendorf im vergangenen Jahr - für Viele eine traumatische Erinnerung.
"Ich meine: So ein Land wie Sachsen-Anhalt, das sowieso schon auf der letzten Schiene rangiert - dass dann so ein Werk - das letzte Große - auch noch stillgelegt wird - das ist für die Leute, die hier stehen - für die Älteren, die vierzig Jahre sind, die Kinder und Familie haben - für die ist das ein Schock. Die bekommen hier keine Arbeit mehr. Die können nicht nach dem Westen rüber, die haben Häuser hier und Familie, die können nicht weg."
"Beschissen, ich bin dreißig Jahre in der Firma und so schnell geben wir nicht auf. Wir kämpfen weiter."
"Was hier alles abwandert, das sind alles Leute, die hier mal gearbeitet haben: Leuna, Buna, Ammendorf - und alles ist krachen gegangen."
Seit der Wende sind 50.000 Hallenser weggezogen, auf der Suche nach Arbeit. Halle ist die Stadt im Osten mit den meisten Sozialhilfeempfängern. Ein Alltag mit Hartz IV - Zukunft ungewiss. Schicksal auch für die meisten der ehemaligen Waggonbauer. Das Aus für Ammendorf hat Spuren hinterlassen. Auch bei Familienvater Henry Hörholdt. Er und seine Familie waren jahrelang bei allen Protestmärschen dabei. Alles umsonst. Schon sein Vater hat in Ammendorf gearbeitet, jetzt bleibt nur die Erinnerung. Henry Hörholdt weiß, dass es für ihn und seine Familie in Halle keine Zukunft gibt.
""Das Traurige ist ja, erstens ist meine Schwiegermutter alleine, weil mein Schwager der ist auch vor Jahren schon nach Hannover gezogen. Die Schwiegermutter hat schon gequäkt und gesagt, ihr könnt mich doch nicht verlassen. Aber ich sage: Oma, wir müssen weg, wir müssen ja noch mindestens 20 Jahre arbeiten. Das ist wirklich traurig."
Trotzdem - seit einigen Monaten sind auf dem Werkgelände wieder Menschen zu sehen, Geräusche zu hören.
Der Maschinenbauer und Ingenieur Uwe Albrecht unterwegs auf dem Werkgelände. Mit einer neuen eigenen Firma will der Hallenser am alten Industriestandort weitermachen. Wir segeln jetzt unter neuer Flagge. Das neue Firmenlogo auf dem alten Gelände sind die drei Buchstaben MSG. Maschinenbau und Service GmbH Ammendorf.
"Ich war viele Jahre in Ammendorf in leitender Position tätig und habe an dem Werk, wie es jetzt auch noch erhalten ist mitgebaut und als der Schließungsbeschluss kam dachte ich, das kann nicht sein, dass das ganze 'know how' den Bach runtergeht. Wir sind auch eine sehr strukturschwache Region, speziell was den Maschinenbau betrifft, Arbeitsplätze schaffen und erhalten, das war so die Idee, die ich hatte, deshalb bin ich wieder hergegangen."
Seit Januar sitzt er wieder auf seinem schwarzen Chefsessel in seinem alten Büro. An der Wand hängt das DDR-Gruppenfoto aus dem Jahre 1987 wieder am alten Platz. Darunter steht: Auszeichnung und Messe der Meister von Morgen. 70 Mitarbeiter hat Uwe Albrecht seit Januar eingestellt. Er braucht für seine Firma vor allem Ingenieure mit Spezialwissen. Sie alle tragen das Markenzeichen: Dringend gesucht. Es sind junge gut ausgebildete Fachkräfte wie Jörg Buchheister. Er ist für den neuen Job von Leipzig nach Halle umgezogen. Seine Arbeit macht ihm Spaß und auch die Stadt hat inzwischen für sich entdeckt.
"Meistens denkt man Halle, na ja so Plattenbausiedlung und alles grau und trist und langweilig. Aber wenn man sich das dann alles anguckt, die wunderschöne Saale und alles was links und rechts davon liegt. Dann ist die Begeisterung schnell da, dass es eine wunderschöne Stadt ist mit vielen historischen Gebäuden."
Mitten in der Altstadt wohnt und arbeitet der Künstler Ralf Penz. Ein Hallenser mit viel Leidenschaft für Stadtgeschichte und historische Gebäude, zum Beispiel in der Mittelstraße. Wenn es nach den DDR-Oberen gegangen wäre, wären die Fachwerkhäuser aus dem 18. Jahrhundert längst verfallen. Ralf Penz ist einer von denen, die das verhindert haben. Für ihn ist das Jubiläumsjahr Gelegenheit, um für den Erhalt der historischen Gebäude zu werben. Zu viele sind noch immer vom Verfall bedroht.
"Wir wollen auch noch ein Büchlein rausgeben mit der Geschichte der Mittelstraße. Wir hatten hier an einem Sonnabend eine Führung durch Höfe und Gärten der Mittelstraße, wo ich glaube ich dreimal mit 20 Leuten hier durchgegangen bin und was erzählt habe. Ich glaube, es ist richtig ernsthaft nur ein bestimmter Kreis, der sich dafür interessiert."
Jahrelang haben er und seine Frau daran gearbeitet das Haus Nummer drei in mühevoller Handarbeit originalgetreu zu restaurieren. Da war an Wiedervereinigung noch nicht zu denken, sagt Pent. Er sitzt in Jeans und T-Shirt auf einem wackeligen Holzstuhl.
"Ich finde, wir haben das eigentlich auch ganz gut hingekriegt, mit Lehm geworfen, Löcher gestopft und versucht, das denkmalgerecht zu machen."
Die Weinblätter an der Hausfassade haben Teile der Fenster überwuchert. Drinnen ist es dämmrig und kühl. Es riecht nach alten Holzbalken. An der Decke ist die Struktur von Stroh und Lehm deutlich zu erkennen. Ein uriges Ambiente mit vielen Details. Auf dem Holzfußboden - eine Obstschale, gefüllt mit bunten Pappmaché Früchten. Wie zufällig steht da auch ein Teeservice aus Keramik, so als hätte jemand vergessen, es abzuräumen. Viele Stücke sind von befreundeten Künstlern. An den Wänden hängen eigene Aquarelle und Graphiken. Penz gilt als Institution und trotzdem: Ein, zwei Besucher am Tag, das ist normal. Nur selten verirrt sich ein Tourist abseits der Jubiläumspfade in die Mittelstraße.
"Aber ich weiß nicht ob man mit Riesenschildern Leute dazu bringt in eine Galerie zu gehen, ich glaube eher nicht. Ich sage mal, es gibt so einen festen Kern von Leuten, die immer wieder kommen und gucken ob was Neues da ist. Aber ich habe auch viel Zeit zum lesen."
Trotzdem sagt auch Penz, Halle ist Kulturhauptstadt. Das Image von der Diva in Grau, von Chemiegestank und bröckeligen schwarzen Fassaden stimmt nicht mehr. Mit 114 Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren über die Hälfte der historischen Gebäude in der Altstadt saniert. Aber eben nicht alle, sagt Ralf Penz. Für ihn liegt die Zukunft der Stadt in der Bewahrung des Historischen. Er wünscht sich, dass die verfallenen Häuser gegenüber der Galerie endlich saniert werden.
"Wenn man 1200 Jahre alt ist und stolz auf seine Altstadt, und man weiß, dass man keine Industriestadt mehr ist und man mehr für den Tourismus tun sollte, und man lässt dann die Häuser die hier gegenüber sind, ich will nicht sagen, direkt verfallen, aber man könnte sagen, die Stadt würde viel verlieren, wenn da ein Neubau hinkommt."
Doch es ist Sache der Hauseigentümer, sich um Städtebaufördermittel zu bewerben. Etwa ein Drittel der Häuser in der Altstadt stehen leer und die Fördergelder sind knapp. Sanierungsexperten in Halle rechnen mit einem Budget von höchstens 3 Millionen für die nächsten fünf Jahre und die Anträge sind noch nicht bewilligt. Mit Zahlen lässt sich einer wie Ralf Penz nicht abspeisen. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit den neuen grauen Pflastersteinen auf dem historischen Marktplatz. Gerade rechtzeitig im Jubiläumsjahr wurde der letzte Stein gesetzt. Bei den Arbeiten wurden alte Fundamente entdeckt. Hobbyhistoriker Ralf Penz vermisst die Originale, die bei Ausgrabungsarbeiten entdeckt wurden.
"Da hätte man zu jedem Stadtrundgang sagen können: Hier sind Reste der Bebauung aus dem 15. Jahrhundert. Da hätte doch jede Stadt Hurra geschrieen. In Halle heißt es, haben wir nicht mit gerechnet, also weg damit."
Die Stadt hat entschieden, alle historisch wertvollen Funde vom Marktplatz demnächst in einer eigenen Ausstellung zu präsentieren. Am Ende bleibt jede Kritik aus dem Munde eines Hallensers ein leidenschaftliches Bekenntnis für die Stadt. Halle ist längst nicht mehr Diva in Grau.
In den schmalen Gassen und Seitenstraßen rund um die Ulrichstraße sind Künstler und Studenten unterwegs. Dort in der Altstadt gibt es Kneipen, Cafes, kleine Geschäfte und Galerien. Die Modedesignerin Christiane Schildbach hat vor Jahren an der renommierten Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studiert. Seitdem will sie nicht mehr weg aus Halle. Viele ihrer Freunde haben auch an der Burg studiert. Wer kann, der bleibt, sagt Christiane Schildbach. Sie wollte mit ihrer Werkstatt für Brautmoden schon immer eine Adresse in der Ulrichstraße.
"Mein Beruf lebt ja auch von Kontakten, also ich kann schwer irgendwo hingehen und einen Laden aufmachen, wo mich keiner kennt. Das ist vor allem am Anfang ganz schwierig und es ist natürlich auch eine tolle Stadt."
Sie hat es geschafft. Im Ladenraum hängen Brautkleider aus kostbarer Seide. Auf dem Tisch liegt ein Bildband über historische Kostüme. In ihrem Auftragsbuch stehen etwa 100 Brautkleider und jedes Jahr werden es mehr. Wer einmal in Halle zuhause war, kommt immer wieder, sagt Jane Schildbach, spätestens zum Heiraten.
"Es gibt ja auch so Szeneecken, die dann nach zwei drei Jahren wieder im Nichts versinken. Aber hier ist das kontinuierlich gewachsen. Deswegen, denke ich, wird es auch so bleiben. Es kommen immer mehr Leute drum rum und kleine Läden und ich denke, das wird sich weiter so entwickeln."
Im Jubiläumsjahr hatte die Stadt bereits viermal mehr Besucher als Einwohner. Die Statistik liegt bei 900.000 Besuchern und noch immer stehen viele Veranstaltungen im Kalender. Für etwa 10.000 Hallenser ist das Jubiläumsjahr auch ein persönliches Geschenk wert. Sie arbeiten als Ehrenamtliche hinter den Kulissen.
Die Industriestadt Halle hat nach der Wende Tausende Arbeitsplätze verloren. Das Aus für den Waggonbau in Ammendorf im vergangenen Jahr - für Viele eine traumatische Erinnerung.
"Ich meine: So ein Land wie Sachsen-Anhalt, das sowieso schon auf der letzten Schiene rangiert - dass dann so ein Werk - das letzte Große - auch noch stillgelegt wird - das ist für die Leute, die hier stehen - für die Älteren, die vierzig Jahre sind, die Kinder und Familie haben - für die ist das ein Schock. Die bekommen hier keine Arbeit mehr. Die können nicht nach dem Westen rüber, die haben Häuser hier und Familie, die können nicht weg."
"Beschissen, ich bin dreißig Jahre in der Firma und so schnell geben wir nicht auf. Wir kämpfen weiter."
"Was hier alles abwandert, das sind alles Leute, die hier mal gearbeitet haben: Leuna, Buna, Ammendorf - und alles ist krachen gegangen."
Seit der Wende sind 50.000 Hallenser weggezogen, auf der Suche nach Arbeit. Halle ist die Stadt im Osten mit den meisten Sozialhilfeempfängern. Ein Alltag mit Hartz IV - Zukunft ungewiss. Schicksal auch für die meisten der ehemaligen Waggonbauer. Das Aus für Ammendorf hat Spuren hinterlassen. Auch bei Familienvater Henry Hörholdt. Er und seine Familie waren jahrelang bei allen Protestmärschen dabei. Alles umsonst. Schon sein Vater hat in Ammendorf gearbeitet, jetzt bleibt nur die Erinnerung. Henry Hörholdt weiß, dass es für ihn und seine Familie in Halle keine Zukunft gibt.
""Das Traurige ist ja, erstens ist meine Schwiegermutter alleine, weil mein Schwager der ist auch vor Jahren schon nach Hannover gezogen. Die Schwiegermutter hat schon gequäkt und gesagt, ihr könnt mich doch nicht verlassen. Aber ich sage: Oma, wir müssen weg, wir müssen ja noch mindestens 20 Jahre arbeiten. Das ist wirklich traurig."
Trotzdem - seit einigen Monaten sind auf dem Werkgelände wieder Menschen zu sehen, Geräusche zu hören.
Der Maschinenbauer und Ingenieur Uwe Albrecht unterwegs auf dem Werkgelände. Mit einer neuen eigenen Firma will der Hallenser am alten Industriestandort weitermachen. Wir segeln jetzt unter neuer Flagge. Das neue Firmenlogo auf dem alten Gelände sind die drei Buchstaben MSG. Maschinenbau und Service GmbH Ammendorf.
"Ich war viele Jahre in Ammendorf in leitender Position tätig und habe an dem Werk, wie es jetzt auch noch erhalten ist mitgebaut und als der Schließungsbeschluss kam dachte ich, das kann nicht sein, dass das ganze 'know how' den Bach runtergeht. Wir sind auch eine sehr strukturschwache Region, speziell was den Maschinenbau betrifft, Arbeitsplätze schaffen und erhalten, das war so die Idee, die ich hatte, deshalb bin ich wieder hergegangen."
Seit Januar sitzt er wieder auf seinem schwarzen Chefsessel in seinem alten Büro. An der Wand hängt das DDR-Gruppenfoto aus dem Jahre 1987 wieder am alten Platz. Darunter steht: Auszeichnung und Messe der Meister von Morgen. 70 Mitarbeiter hat Uwe Albrecht seit Januar eingestellt. Er braucht für seine Firma vor allem Ingenieure mit Spezialwissen. Sie alle tragen das Markenzeichen: Dringend gesucht. Es sind junge gut ausgebildete Fachkräfte wie Jörg Buchheister. Er ist für den neuen Job von Leipzig nach Halle umgezogen. Seine Arbeit macht ihm Spaß und auch die Stadt hat inzwischen für sich entdeckt.
"Meistens denkt man Halle, na ja so Plattenbausiedlung und alles grau und trist und langweilig. Aber wenn man sich das dann alles anguckt, die wunderschöne Saale und alles was links und rechts davon liegt. Dann ist die Begeisterung schnell da, dass es eine wunderschöne Stadt ist mit vielen historischen Gebäuden."
Mitten in der Altstadt wohnt und arbeitet der Künstler Ralf Penz. Ein Hallenser mit viel Leidenschaft für Stadtgeschichte und historische Gebäude, zum Beispiel in der Mittelstraße. Wenn es nach den DDR-Oberen gegangen wäre, wären die Fachwerkhäuser aus dem 18. Jahrhundert längst verfallen. Ralf Penz ist einer von denen, die das verhindert haben. Für ihn ist das Jubiläumsjahr Gelegenheit, um für den Erhalt der historischen Gebäude zu werben. Zu viele sind noch immer vom Verfall bedroht.
"Wir wollen auch noch ein Büchlein rausgeben mit der Geschichte der Mittelstraße. Wir hatten hier an einem Sonnabend eine Führung durch Höfe und Gärten der Mittelstraße, wo ich glaube ich dreimal mit 20 Leuten hier durchgegangen bin und was erzählt habe. Ich glaube, es ist richtig ernsthaft nur ein bestimmter Kreis, der sich dafür interessiert."
Jahrelang haben er und seine Frau daran gearbeitet das Haus Nummer drei in mühevoller Handarbeit originalgetreu zu restaurieren. Da war an Wiedervereinigung noch nicht zu denken, sagt Pent. Er sitzt in Jeans und T-Shirt auf einem wackeligen Holzstuhl.
"Ich finde, wir haben das eigentlich auch ganz gut hingekriegt, mit Lehm geworfen, Löcher gestopft und versucht, das denkmalgerecht zu machen."
Die Weinblätter an der Hausfassade haben Teile der Fenster überwuchert. Drinnen ist es dämmrig und kühl. Es riecht nach alten Holzbalken. An der Decke ist die Struktur von Stroh und Lehm deutlich zu erkennen. Ein uriges Ambiente mit vielen Details. Auf dem Holzfußboden - eine Obstschale, gefüllt mit bunten Pappmaché Früchten. Wie zufällig steht da auch ein Teeservice aus Keramik, so als hätte jemand vergessen, es abzuräumen. Viele Stücke sind von befreundeten Künstlern. An den Wänden hängen eigene Aquarelle und Graphiken. Penz gilt als Institution und trotzdem: Ein, zwei Besucher am Tag, das ist normal. Nur selten verirrt sich ein Tourist abseits der Jubiläumspfade in die Mittelstraße.
"Aber ich weiß nicht ob man mit Riesenschildern Leute dazu bringt in eine Galerie zu gehen, ich glaube eher nicht. Ich sage mal, es gibt so einen festen Kern von Leuten, die immer wieder kommen und gucken ob was Neues da ist. Aber ich habe auch viel Zeit zum lesen."
Trotzdem sagt auch Penz, Halle ist Kulturhauptstadt. Das Image von der Diva in Grau, von Chemiegestank und bröckeligen schwarzen Fassaden stimmt nicht mehr. Mit 114 Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren über die Hälfte der historischen Gebäude in der Altstadt saniert. Aber eben nicht alle, sagt Ralf Penz. Für ihn liegt die Zukunft der Stadt in der Bewahrung des Historischen. Er wünscht sich, dass die verfallenen Häuser gegenüber der Galerie endlich saniert werden.
"Wenn man 1200 Jahre alt ist und stolz auf seine Altstadt, und man weiß, dass man keine Industriestadt mehr ist und man mehr für den Tourismus tun sollte, und man lässt dann die Häuser die hier gegenüber sind, ich will nicht sagen, direkt verfallen, aber man könnte sagen, die Stadt würde viel verlieren, wenn da ein Neubau hinkommt."
Doch es ist Sache der Hauseigentümer, sich um Städtebaufördermittel zu bewerben. Etwa ein Drittel der Häuser in der Altstadt stehen leer und die Fördergelder sind knapp. Sanierungsexperten in Halle rechnen mit einem Budget von höchstens 3 Millionen für die nächsten fünf Jahre und die Anträge sind noch nicht bewilligt. Mit Zahlen lässt sich einer wie Ralf Penz nicht abspeisen. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit den neuen grauen Pflastersteinen auf dem historischen Marktplatz. Gerade rechtzeitig im Jubiläumsjahr wurde der letzte Stein gesetzt. Bei den Arbeiten wurden alte Fundamente entdeckt. Hobbyhistoriker Ralf Penz vermisst die Originale, die bei Ausgrabungsarbeiten entdeckt wurden.
"Da hätte man zu jedem Stadtrundgang sagen können: Hier sind Reste der Bebauung aus dem 15. Jahrhundert. Da hätte doch jede Stadt Hurra geschrieen. In Halle heißt es, haben wir nicht mit gerechnet, also weg damit."
Die Stadt hat entschieden, alle historisch wertvollen Funde vom Marktplatz demnächst in einer eigenen Ausstellung zu präsentieren. Am Ende bleibt jede Kritik aus dem Munde eines Hallensers ein leidenschaftliches Bekenntnis für die Stadt. Halle ist längst nicht mehr Diva in Grau.
In den schmalen Gassen und Seitenstraßen rund um die Ulrichstraße sind Künstler und Studenten unterwegs. Dort in der Altstadt gibt es Kneipen, Cafes, kleine Geschäfte und Galerien. Die Modedesignerin Christiane Schildbach hat vor Jahren an der renommierten Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studiert. Seitdem will sie nicht mehr weg aus Halle. Viele ihrer Freunde haben auch an der Burg studiert. Wer kann, der bleibt, sagt Christiane Schildbach. Sie wollte mit ihrer Werkstatt für Brautmoden schon immer eine Adresse in der Ulrichstraße.
"Mein Beruf lebt ja auch von Kontakten, also ich kann schwer irgendwo hingehen und einen Laden aufmachen, wo mich keiner kennt. Das ist vor allem am Anfang ganz schwierig und es ist natürlich auch eine tolle Stadt."
Sie hat es geschafft. Im Ladenraum hängen Brautkleider aus kostbarer Seide. Auf dem Tisch liegt ein Bildband über historische Kostüme. In ihrem Auftragsbuch stehen etwa 100 Brautkleider und jedes Jahr werden es mehr. Wer einmal in Halle zuhause war, kommt immer wieder, sagt Jane Schildbach, spätestens zum Heiraten.
"Es gibt ja auch so Szeneecken, die dann nach zwei drei Jahren wieder im Nichts versinken. Aber hier ist das kontinuierlich gewachsen. Deswegen, denke ich, wird es auch so bleiben. Es kommen immer mehr Leute drum rum und kleine Läden und ich denke, das wird sich weiter so entwickeln."
Im Jubiläumsjahr hatte die Stadt bereits viermal mehr Besucher als Einwohner. Die Statistik liegt bei 900.000 Besuchern und noch immer stehen viele Veranstaltungen im Kalender. Für etwa 10.000 Hallenser ist das Jubiläumsjahr auch ein persönliches Geschenk wert. Sie arbeiten als Ehrenamtliche hinter den Kulissen.