Journalismus

Aufstand gegen Augstein

"Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein, 1994
"Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein, 1994 © picture alliance / dpa / Werner Baum
Von Raul Zelik |
Der Studentenrevolte 1968 folgte die "Spiegel"-Revolte 1969 und der historische Kompromiss 1974: die Mitarbeiter-Mitbestimmung. Herausgeber Rudolf Augstein musste die Hälfte des Verlags abgeben, aber weder finanziell noch politisch zurückstecken.
1969 hatte Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung den Reform-Anspruch formuliert: "Wir wollen mehr Demokratie wagen". Der Spiegel-Verlag mit Rudolf Augstein an der Spitze hatte spätestens seit der Spiegel-Krise 1962 das Selbstverständnis, ein "Sturmgeschütz der Demokratie" zu sein. Als aber die Redaktion Anfang der 70er um eine innere Demokratisierung des Verlagshauses kämpfte, entbrannte ein Machtkampf zwischen Rudolf Augstein und den Journalisten. Jahrelang rangen beide Seiten um die Frage, ob es nur eine ökonomische Teilhabe oder auch eine inhaltliche Mitsprache geben solle. Vor 40 Jahren, im Herbst 1974, wurde dieser Machtkampf entschieden.
Musik: The Doors, "Light my Fire"
Rudolf Augstein: "Ich glaube also, wir müssen Herrn Dutschke – und nicht nur ihn – zwingen, uns zu sagen, welches System will er an die Stelle des jetzigen Systems setzen. Dies hier sind eschatologische Vorstellungen, man will eine neue Gesellschaft schaffen, nur durch den revolutionären Willen von meinetwegen noch so beachtlichen Einzelnen, und Herr Dutschke ist ein beachtlicher Einzelner. Aber diese neue Gesellschaft zu schaffen, diesen neuen Menschen zu schaffen, für die Versöhnung von Mensch und Natur tätig zu werden – darunter können wir uns nichts vorstellen. Damit dürfen Sie uns auch nicht traktieren."
Rudi Dutschke: "Es geht erst einmal darum, ein Bewusstsein des Missstandes zu schaffen. Jetzt nicht gleich zu fragen: ‚Gib doch die Antwort'. Ein Dutschke will keine Antwort geben, das wäre genau wieder die manipulative Antwort, die ich nicht zu geben bereit bin, denn was soll es bedeuten, als Einzelner Antworten zu geben, wenn die gesamtgesellschaftliche Bewusstlosigkeit bestehen bleibt? Die muss durchbrochen werden, dann können Antworten gegeben werden."
Rudolf Augstein, der Spiegel-Herausgeber, und Rudi Dutschke, der Studentenführer 1967.
Zwei Jahre nach der berühmten Podiumsdiskussion ist die Studentenbewegung abgeflaut. Dutschke ist bei einem Mordanschlag so schwer verletzt worden, dass er Jahre braucht, um wieder sprechen zu lernen. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund zerfällt in unzählige Polit-Sekten und Kleinstparteien, die sich gegenseitig in Verbalradikalismus überbieten.
Doch die Nachwirkungen des Aufbruchs von '67/68 sind in der ganzen bundesdeutschen Gesellschaft zu spüren. Frauen erkämpfen sich den öffentlichen Raum, die autoritäre Erziehung in Schulen und Kindergärten wird hinterfragt, in der Arbeitswelt geht es um mehr Mitbestimmung.
Auch bei Rudolf Augsteins Magazin "Der Spiegel", das viel zur Popularisierung der außerparlamentarischen Opposition beigetragen hat, kommt es zu einer bemerkenswerten Auseinandersetzung zwischen Verlagsleitung und Redakteuren. Augstein, der von den Revolutionshoffnungen der Studenten nichts wissen wollte, ist mit der Forderung konfrontiert, dass sich sein eigener Verlag demokratisiert, dass die herkömmlichen Herrschaftsstrukturen aufgebrochen werden.
Musik: The Doors, "Light my Fire"
Franziska Augstein: "Rudolf Augstein war nicht daran interessiert, sehr viel Besitz anzuhäufen. Ende der 60er-Jahre hatte er das Gefühl, mit der Zeit gehend, dass das Millionärsdasein, dass das nicht sein Ding sei."
Bodo Zeuner: "Die Art, wie die Ressortchefs mit ihren Untergebenen umgingen, war zum Teil arrogant, und zum Teil auch beleidigend. Und was wir aus der Studentenbewegung dann mitgebracht hatten, das war, dass man sich in solchen Fällen zusammentut, dass man erst mal sich austauscht."
Franziska Augstein: "Er hat eh immer bescheiden gelebt. Und weil damals auch an den Universitäten in Deutschland alle Mitbestimmung wollten, in den Fabriken, es hieß: Mitbestimmung muss eingeführt werden, hat er dann die Mitbestimmung in der Art und Weise eingeführt, dass er halt die Hälfte seines Unternehmens verschenkt hat."
Hermann Gremliza: "Von den 210 Angestellten, die als Redakteure oder Dokumentarjournalisten beim Spiegel gearbeitet haben, haben – glaube ich – 205 unsere Forderungen unterschrieben. Also zum Schluss purzelte innerhalb einer halben Woche, fiel der ganze Stab der leitenden Redakteure, den wir den 'Herren-Club' nannten und der uns bis dahin bekämpft hatte, fiel um."
Wie kaum anders zu erwarten, gibt es unterschiedliche Darstellungen des Konfliktes, der ab 1969 beim Spiegel ausgetragen wird. Die Journalistin Franziska Augstein, Tochter des Spiegel-Gründers, hebt die politischen Überzeugungen ihres Vaters hervor. Der Zeitungsgründer habe seinen Betrieb demokratisieren und die Angestellten am Erfolg teilhaben lassen wollen. Bodo Zeuner und Hermann Gremliza hingegen, damals als junge Journalisten beim Spiegel angestellt, berichten von einem Aufstand der Redakteure.
"Der Zynismus kapitalistischer Produktionsweise entmündigt den Redakteur"
Außer Frage steht, dass die Geschichte 1969 beginnt: am 1. April – mit einem Flugblatt, das sich nicht als Aprilscherz entpuppt:
"An alle Redakteure im Spiegel-Verlag!
Es ist höchste Zeit, auch in den publizistischen Massenmedien für eine demokratische Mitbestimmung zu kämpfen!
Der Spiegel schreibt über Mitbestimmung, aber er verhindert, dass Mitbestimmung im Spiegel praktiziert wird.
Eine bürokratische Hierarchie macht jeden selbständigen Impuls und jede Diskussion unmöglich. Der Zynismus kapitalistischer Produktionsweise entmündigt den Redakteur in diesem System widerstandslos zum willigen Automaten: im Akkordmaßstab spuckt er Nachrichtenmaterial und verstümmelt es unter Kontrolle technokratischer Funktionäre zur Ware."
Rudolf Augstein hat sich gerade einen neuen Chefredakteur ins Haus geholt: den Intendanten des Südwestfunks Günter Gaus, der später ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin werden sollte. Augstein und Gaus verbindet der Wunsch, ihre Parteien – Augstein ist FDP-Mitglied, Gaus Sozialdemokrat – zu einer Reformkoalition zusammenzubringen.
Und schon etwas früher hat Augstein begonnen, junge, der Studentenbewegung nahestehende Journalisten für sein Magazin zu werben. Unter ihnen auch Hermann Gremliza, damals 28 Jahre alt. Der Verleger Augstein habe den Anschluss an den Zeitgeist nicht verpassen wollen, so der heute 74-jährige Gremliza:
"Er ging auch persönlich, sich die Demonstrationen auf dem Kudamm angucken, und er hat sich richtig dafür interessiert. Die Jahre vorher hat er sich ja nach Sylt zurückgezogen gehabt und jedem, der es wissen wollte oder auch nicht, erzählt, dass er das Blatt nicht mehr leiden könne, ja, und dass es ihm alles zum Hals raushänge. Gut, als ich da hinkam, war so in der Redaktion, da waren schon oder kamen gleichzeitig oder habe ich mitgezogen so eine Handvoll erst und dann vielleicht ein Dutzend Leute, die in irgendeiner Form mit dieser 68er-Bewegung auf den Straßen zu tun hatten. Die fanden bei Augstein ursprünglich Sympathie. Und wenn man durchs Haus ging, auch bei anderen Redakteuren, die das merkten, also leitenden Redakteuren, die einen anhielten und sagten: ‚Sie, sagen Sie mal, Gremliza, was ist da jetzt eigentlich in Berlin?' Und: ‚Was machen die?' Also die wollten sich irgendwie einklinken und was in Erfahrung bringen, damit sie diese Diskussionen, die da geführt wurden, auch verstanden haben. Und der Preis dafür war, dass wir gesagt haben: ‚Gut, wir machen da gern mit, aber wir wollen dann auch was. Also dass wir hier unter den alten hierarchischen Verhältnissen, die noch aus der Zeit, als SS-Offiziere die Ressortleiterstellen besetzt hatten, aus diesen Verhältnissen wollen wir raus. Wir wollen über das, was im Hause geschieht, mitbestimmen können."
Derartige Debatten werden 1969 in vielen deutschen Medien geführt. Die Koblenzer "Rhein-Zeitung" räumt ihren Redakteuren im April 1969 Mitspracherechte ein; im Mai folgt der Hamburger "Stern": Er installiert einen Redaktionsbeirat, der bei Personalfragen über ein Vetorecht verfügt.
Vor diesem Hintergrund startet eine siebenköpfige Redakteurs-Gruppe im Herbst 1969 auch beim Spiegel eine Mitbestimmungs-Initiative. Die Forderungen orientieren sich am Statut beim "Stern": Einmal jährlich soll eine Redakteurs-Versammlung einberufen werden. Ein Redaktionsrat soll bei Grundsatzentscheidungen Vetorecht erhalten. Der Vorschlag wird von der großen Mehrheit der Redakteure unterstützt. Augstein gerät in Zugzwang.
Bodo Zeuner: "Augstein hat dann darauf reagiert, indem er gesagt hat, das ist doch alles viel zu klein gedacht, das ganze Unternehmen soll in Besitz der Belegschaft kommen. Er hat gesagt, dass er sich wünsche, dass letztlich die Hälfte des Spiegel der Belegschaft gehören würde. Aber zugleich hat er die Forderungen nach redaktioneller Mitbestimmung abgewehrt, also etwa, dass ein Redaktionsrat ein Einspruchsrecht, ein Vetorecht haben sollte gegen eine Bestellung eines Chefredakteurs oder von Ressortchefs.
Das hat er vehement abgelehnt, also da sollte keine personelle Mitbestimmung dabei sein. Das fand Augstein völlig unmöglich und mit jeder Art von sinnvoller Unternehmensführung unvereinbar. Was er auch ganz unmöglich fand, das war die im Redaktionsstatut vorgesehene Bindung des Redaktionsrates an eine Vollversammlung der Redakteure. Vollversammlungsdemokratie war etwas, das also Teufelswerk war. All das wollte er auf gar keinen Fall."
Dabei entsprechen die Forderungen der Redakteure ganz der Politik der Zeit. Die sozialliberale Reformkoalition, die im Herbst 1969 die Regierungsgeschäfte übernimmt, hat sich nicht nur die neue Ostpolitik, sondern auch die Demokratisierung von Politik und Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben. Willy Brandt, der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der Nachkriegsgeschichte, weist in seiner Regierungserklärung 1969 den Weg:
"Wir wollen mehr Demokratie wagen. Mitbestimmung, Mitverantwortung in den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft wird eine bewegende Kraft der kommenden Jahre sein."
Rudolf Augstein unterstützt die Politik Brandts, aber im eigenen Haus will er nicht so viel Demokratie wagen wie von Seiten der Redakteure gefordert. Auf einer Betriebsversammlung zur Jahreswende 1969/70 unterbreitet er deshalb einen eigenen Vorschlag. Er will die Angestellten zu Miteigentümern machen, aber inhaltliche Entscheidungen weiter allein treffen:
"Die Diskussion um ein Redaktionsstatut hat Formen angenommen, die ich nicht mehr für zweckdienlich halten kann. (...) Wir haben in diesem Haus einen Eigentümer, der gleichzeitig als Journalist und gleichzeitig, soweit ihm das Verständnis kaufmännischer Dinge gegeben ist, als Kaufmann und Unternehmer tätig ist. Dieser Kapitalseigner sieht den Spiegel nicht in erster Linie als Unternehmer, er sieht im Spiegel keinen Familienbetrieb, der von seinen Leibeserben oder sonstigen Verwandten übernommen und weitergeführt werden soll.
Ich bin wenig anderes als der erste Redakteur dieses Blattes. Ich sehe in ihm in erster Linie die publizistische Potenz (...) Meine Eigentumsrechte dienten dazu, diese publizistische Potenz zu stärken. Dieselben Eigentumsrechte haben zurückzutreten hinter diesem obersten und wichtigsten Zweck (...)."
Augstein spielt auf Zeit:
"Inzwischen haben wir unsere Ansicht bekannt gemacht, dass ein Redaktionsstatut Belange der Redaktion zum Gegenstand haben kann und soll, nicht aber Belange des gesamten Betriebs. Wer zur Redaktion gehört und wer nicht, muss nach unserer Ansicht erst festgestellt werden, zweckdienlicherweise auch in Beratungen mit Geschäftsführung und Chefredaktion.
Ist eine Einigung darüber erzielt, so sollte nach unserer Ansicht von den Redaktionsangehörigen ein Ausschuss gewählt werden, der wiederum im Benehmen mit Geschäftsführung und Chefredaktion und im Licht der inzwischen neu gewonnenen Erfahrungen, einen Entwurf für ein Redaktionsstatut ausarbeitet."
Whisky im Büro von Gaus
Somit stehen sich Anfang 1970 zwei Modelle gegenüber: Auf der einen Seite die von Augstein vorgeschlagene Eigentumsbeteiligung, auf der anderen die von den jungen Redakteuren geforderte redaktionelle Mitbestimmung. Zunächst sieht alles danach aus, als würde es einen Kompromiss geben. Chefredakteur Günter Gaus vermittelt zwischen Herausgeber und Redakteuren.
Hermann Gremliza: "Gaus hat mit uns sehr intensiv sympathisiert. Wir saßen unentwegt in seinem Büro beieinander, bei einem hellen Whisky, Cutty Sark, kann ich mich noch erinnern, wurde da immer getrunken, und haben also überlegt mit ihm zusammen, wie wir was deichseln. Und als Augstein den ersten Forderungskatalog abgelehnt hatte, hat er mich und ein Mitglied der Verlagsleitung, der auch in der SPD war, gebeten, ob wir nicht ein Kompromisspapier machen könnten, und als wir das abgeliefert hatten, hat er gesagt, dass er das so toll findet, dass er uns ein Fest geben will. Und dann kriegte das am nächsten Tag Augstein, und Augstein hat den Daumen nach unten gehalten, und als wir dann noch einen Tag später den Gaus fragten, wie ist es denn angekommen?, sagte er, selbstverständlich abgelehnt, das hättet ihr euch doch denken können. Da hat er denn auch gewusst, wo die zwölf hängt (lacht), und dann war das erledigt."
Doch erledigt ist die Sache noch lange nicht. Es wird weiter miteinander geredet. Ab Februar 1970 arbeitet eine Kommission das Beteiligungsmodell aus. Die jüngeren, kritischen Redakteure hingegen konzentrieren sich weiter auf das Redaktionsstatut für mehr Mitbestimmung und präsentieren im Juni desselben Jahres einen Vorschlag, der auf breite Unterstützung bei den Redakteuren stößt.
Augstein windet sich, aber er scheint sich um eine konstruktive Auseinandersetzung zu bemühen.
"Ihr Papier vom 26. Juni habe ich erhalten und sorgfältig studiert. Geist und Tonart haben mich freundlich angesprochen, obwohl ich es lieber gesehen hätte, wenn Sie das Papier erst nach Rücksprache mit mir an die Mitglieder der Redaktion mit der Bitte um Zustimmung verteilt hätten. Man möchte ja schließlich konsultiert werden.
Nachstehend möchte ich Ihnen die Gründe aufführen, die mich gleichwohl dazu bringen, in dem Papier noch nicht die Basis für eine Einigung zwischen Ihnen und mir zu erblicken. Meine schriftliche Antwort soll dabei nichts kategorisch Abschließendes haben, sondern nur die Gespräche, die wir führen müssen, abklären helfen."
Der Verleger bekräftigt die Ansicht, dass er alleinige Entscheidungsfreiheit benötigt, um die Zukunft des Spiegel zu sichern.
Hermann Gremliza: "Augstein hat natürlich, der musste damit jetzt natürlich irgendwie umgehen. Die Seiten 3 der Tageszeitungen waren jede Woche einmal mit der Spiegel-Krise, mit der neuen Spiegel-Krise, wie das hieß, in Anspielung auf die Spiegel-Krise '62, waren die voll. Er wollte ja auf der Seite des wie immer gedachten Fortschritts bleiben. Einfach die Leute rauszuschmeißen , das war schwer. Er musste tatsächlich irgendeinen Weg finden, denen, die da ihre Unterschrift gegeben hatten, den Schneid abzukaufen."
Der "Herren-Club" fällt bei der Wahl durch
Im Sommer 1970 werden Wahlen für eine Kommission einberufen, die mit Augstein über das Redaktionsstatut verhandeln soll. Ein Richtungswahlkampf entbrennt: Die von den Jüngeren als "Herren-Club" titulierten Ressortleiter, die Augsteins Macht unangetastet lassen wollen, bilden eine Liste. Die Mitbestimmungsbefürworter eine zweite. In diesem Fall gewinnen die Linken. Alle ihrer sieben Kandidaten werden in die Verhandlungskommission gewählt; kein einziger Vertreter des so genannten "Herren-Clubs".
Augstein reagiert, indem er finanzielle Zugeständnisse beim Miteigentümer-Modell macht. Gleichzeitig jedoch nimmt er mit dem Verlagshaus Gruner & Jahr Verhandlungen über eine Kapitalbeteiligung auf.
Die Redakteure sind entsetzt, als sie im Januar 1971 davon erfahren: Sie befürchten, dass die politische Unabhängigkeit des Spiegel auf dem Spiel steht, denn hinter Gruner & Jahr steht die eher konservative Verlagsgruppe Bertelsmann. Seit mehr als einem Jahr wird nun diskutiert und verhandelt.
Bodo Zeuner: "Es gab dann eine Verhärtung der Fronten bei den Verhandlungen über die genauen Modelle für redaktionelle Mitbestimmung und für die Eigentumsübertragung, ja und als dann nicht zu sehen war, dass es eine leichte Einigung gab, griff Augstein zur Notbremse und stellte die Machtfrage, indem er Alexander von Hofmann als Ressortchef von D 1 entließ."
Trotz aller Schwierigkeiten scheinen Mitte 1971 sowohl Mitbestimmung als auch Eigentumsübertragung greifbar nahe. Ein erster Reaktionsrat wird gewählt, in dem nun wieder das Augstein-freundliche Lager eine knappe Mehrheit erlangt. Auch die Treuhänder für den Aufbau der Beteiligungsgesellschaft werden bestimmt.
Doch als dem Ressortleiter von Deutschland 1, Alexander von Hofmann, unmittelbar nach der Wahl der Treuhänder gekündigt wird, verändern sich die Koordinaten im hausinternen Machtkampf. Hofmann war ausgewiesener Mitbestimmungsbefürworter, der bei den Wahlen von allen Kandidaten die größte Unterstützung erhalten hatte.
Verlagsleitung und Chefredaktion begründen die Entlassung mit einem Konflikt zwischen dem Hamburger Ressort und dem Spiegel-Büro in Bonn. Tatsächlich war von Hofmann des Öfteren mit dem Bonner Büro-Chef Erich Böhme aneinander geraten. Den Journalismus der Bonner empfand von Hofmann, als zu personalisierend und zu unpolitisch.
Doch letztlich dient dieser inhaltliche Konflikt als Vorwand. Augstein inszeniert die Machtprobe mit seinen Redakteuren – nicht zuletzt auch, um den Geschäftspartnern von Gruner & Jahr zu beweisen, dass er weiter Herr im Haus ist. Und diesmal zieht sein Chefredakteur Günter Gaus mit.
Bodo Zeuner: "Ja, er war eben Chefredakteur und von Augstein in die Disziplin genommen worden und hat sich dann auch hervorgetan dadurch, dass er in diesem Konflikt so tat, als könne er Vermittler sein, aber in Wirklichkeit das nie wollte. Das haben wir ihm besonders übel genommen. Genauso wie wir ihm übel genommen haben, dass er uns in politischer Hinsicht ermutigt hat, die Berichterstattung gerade auch über die Bonner Politik politischer zu machen und zu entpersonalisieren und genauer zu fragen, was wird denn aus den Reformversprechen der Regierung Brandt-Scheel und so und dabei uns auch ermutigt hat, gegen das Bonner Büro eine Art Gegengewicht zu sein, uns dann hat fallen lassen – zugunsten des Bonner Büros.
Also Gaus hat da eine unrühmliche Figur abgegeben in diesem Konflikt. Gut, dass er hinterher ein guter Botschafter der Bundesrepublik in der DDR war, er war ja gar nicht mehr sehr lange danach beim Spiegel, und auch sonst als Journalist Achtbares geleistet hat, das steht auf einem anderen Blatt."
Die Situation eskaliert, ein Streik bahnt sich an. Augstein und Gaus sehen sich gezwungen, die Kündigung von Hofmanns auszusetzen. Ein dreimonatiges Moratorium wird vereinbart, in dem Chefredakteur Gaus den redaktionsinternen Konflikt zwischen dem Hamburger und Bonner Büro schlichten soll. Doch Gaus lässt die Zeit ungenutzt verstreichen. Der Grund liegt auf der Hand: Die Machtprobe soll zu einem Abschluss gebracht werden.
Das hat nicht zuletzt mit der wirtschaftlichen Lage des Spiegel zu tun. Die Anzeigen sind im ersten Halbjahr 1971 um 15 Prozent eingebrochen. Den großen Anzeigenkunden ist die Berichterstattung des Spiegels zu wirtschaftskritisch. Bei Springer plant man ein Konkurrenz-Magazin, das den Druck noch weiter zu erhöhen droht. Und die Verhandlungen mit Gruner & Jahr über einen Kapitaleinstieg sind weiterhin in der Schwebe. Augstein muss Kunden und Kapitalgebern beweisen, dass er die alleinige Macht im Haus besitzt.
So wird die Kündigung von Hofmanns im September 1971 bekräftigt. Wenige Tage später werden auch die jungen Redakteure Bodo Zeuner und Hermann Gremliza entlassen. Als sich immer noch Redakteure solidarisieren, kündigt die Verlagsleitung zum Jahreswechsel 1971/72 schließlich auch noch zwei ausgewiesen linken Redakteuren. dem Kolumnisten Otto Köhler und dem Redakteur für Geisteswissenschaften Dieter Brumm. Köhler hatte über die Entlassung von Journalisten bei anderen Zeitungen berichtet, Brumm sich mit Porträts der marxistischen Philosophen Georg Lukacs, Herbert Marcuse und Theodor Adorno einen Namen gemacht. Augstein rechtfertigt die Kündigungen im Herbst 1971 mit der bedrohten Handlungsfähigkeit des Magazins:
"Meine Herren, wir sind uns wohl einig, dass der Spiegel aus den Schlagzeilen wieder heraus muss. Man kann sich sehr wohl in eine Krise hineinreden, und aus der Krise in eine Sackgasse. Was wir in diesen Tagen tun und meines Erachtens tun müssen, dient der Aufrechterhaltung unserer Integrität und Arbeitsfähigkeit. Unser Selbstrespekt kann es nicht zulassen, dass wir dem Krisen- und sonstigen Gerede freien Lauf lassen. Maßnahmen zur Wiederherstellung der Loyalität und Kollegialität sind betriebsnotwendig."
Nach den Entlassungen kann Augstein sein Modell durchsetzen: Kapitalbeteiligung, aber keine inhaltliche Mitbestimmung der Redaktionen über den Spiegel-Kurs. Und auch die Übertragung des Verlagskapitals organisiert er so, dass sie nicht zum eigenen Nachteil gereicht: Der Eigentumsübergang an die Mitarbeitergesellschaft wird aus den Verlagsgewinnen finanziert, der Kauferlös geht in Augsteins Vermögen über. Im Gegenzug gewähren die Hamburger Finanzbehörden Steuerbefreiung. Zudem wird festgehalten, dass die Gewinnbeteiligung der Redakteure zur Altersvorsorge dient, was wiederum den Verlag von Pflichten befreit.
Am Ende des hausinternen Machtkampfs hat Augstein die Hälfte des Verlags abgegeben – aber weder finanziell noch politisch zurückstecken müssen. Die Linie bestimmt weiter der Chef.
Keine Fluktuation, keine Innovation
Obwohl Augstein die Auseinandersetzung im Wesentlichen für sich entschieden hat, hadert er später mit dem Kompromissmodell, das er sich hat abringen lassen. Die hohen Tantiemen sorgen dafür, dass kaum einer der Redakteure den Spiegel wieder verlässt. Dieses Trägheitsmoment ärgert Augstein, so der damals entlassene Hermann Gremliza, der danach das linke Blatt "konkret" übernimmt:
"Das sei ein Beamtenapparat geworden. Keiner verlasse mehr das Haus, keine Fluktuation, keine Innovation. Alle säßen da und warteten aufs Jahresende (lacht). Und das bis zu ihrem Ausscheiden, das sei wirklich furchtbar. Also er hat den Eindruck gehabt, dass der Spiegel unter diesem Statut richtig leide, verknöchere, verkalke."
Hatte Augstein eine Alternative? Um Mitbestimmung abzuwehren, machte er wirtschaftliche Zugeständnisse. Für ihn stellte sich die Frage: Kann sich ein Medienunternehmen im harten kapitalistischen Wettbewerb behaupten, wenn die Mannschaft den Kurs mitbestimmt? Dass die Anzeigen zurückgingen, große Wirtschaftsunternehmen von einem Spiegel-Boykott redeten und der Einstieg von Gruner & Jahr bedroht war, hatte sich Augstein nicht ausgedacht.
Franziska Augstein, Tochter des Unternehmensgründers, hält den Widerstand ihres Vaters gegen die rebellierenden Redakteure auch im Rückblick für richtig:
"Demokratie ist gut für ein Land, nicht für ein Unternehmen. Ein Unternehmen meiner Erfahrung nach braucht eine Spitze, es braucht eine Hierarchie. Die Leute wollen auch eine Hierarchie, sonst läuft es nicht."
Zudem sei auch das Miteigentümer-Modell ein Schritt in Richtung Demokratisierung gewesen:
Es ging ja alles zusammen, auch an den Universitäten. Ordinarien an den Universitäten, die gelernt hatten, dass ihre Assistenten eigentlich ihre Sklaven sind. Manche von denen haben dann Ende der 60er-Jahre, Hans Mommsen z.B., votiert für die Mitbestimmung in den Universitäten. Und dass der Spiegel sich da angeschlossen hat, das war nicht bloß modern, sondern, ich meine, es war von heute aus gesehen, auch vernünftig. Dieses Mitarbeitermodell entsprach vollkommen der damaligen Zeit, man war im Aufbruch, es war gut für die Demokratie und es war auch gut für den Spiegel.
Bodo Zeuner, der nach seiner Kündigung beim Spiegel Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin wurde, sieht das anders. Er ist nach wie vor davon überzeugt, dass nicht Kapitalbeteiligung, sondern Mitbestimmung das richtige Ziel gewesen wäre. Und dass es unvernünftig gewesen sei, diese Forderung abzulehnen:
"Das haben wir nicht eingesehen, das würde mir auch heute nicht einleuchten. Universitäten funktionieren auch nach einem System der relativ demokratischen Kooptation, auch da gibt es eine relative Mitbestimmung und Selbstverwaltung. Warum soll das, was Wissenschaftler können, warum sollen das Journalisten nicht können?
Es kann schon sein, dass Anzeigen weniger geworden wären, aber natürlich wollten wir auch einen Spiegel, der nicht aus Angst vor Anzeigenverlust eine bestimmte Berichterstattung unterlässt."
Ex-Redakteur Zeuner ist der Ansicht, dass es durchaus Spielräume gegeben habe: Die verkaufte Auflage des Spiegel sei in den Jahren 1969 bis '71 keineswegs gesunken. Die Frage, ob Augstein als Unternehmer nicht anders konnte oder als Chefredakteur nicht anders wollte, ist nicht so einfach zu beantworten.
"Am Ende des Jahres relativ viel Geld rausholen"
Und heute? Wie wirkt sich das Miteigentümer-Modell 40 Jahre später aus?
Wie die meisten Printmedien steckt das Magazin in einer Krise. Von den 1,1 Millionen verkauften Exemplaren um 2004 ist man auf 870.000 abgerutscht – eine immer noch beeindruckende Zahl, aber ein Einbruch von 20 Prozent.
Sehr erfolgreich hingegen ist das Internet-Portal Spiegel Online, dessen Angestellte allerdings nicht an der Mitarbeitergesellschaft beteiligt sind. Gerecht ist das nicht. Müsste deshalb das Beteiligungsmodell von 1974 auf Spiegel Online ausgedehnt werden? Das Unternehmen umstrukturiert werden? Die Beteiligungsgesellschaft, die Redaktion und der Bertelsmann-Konzern scheinen sich gegenseitig zu blockieren. Welche Rolle spielt beim Miteigentümer-Modell noch der alte Mitbestimmungsgedanke?
Georg Diez: "Ich glaub, dass von heute aus betrachtet die Frage eben ist, was wollte, was sollte diese Mitbestimmung. Ist es wirklich ein Mitbestimmungsmodell oder ist es ein Beteiligungsmodell, also ist es ein ökonomisches oder ist ein inhaltliches Projekt gewesen, und ich glaube, es ist ein ökonomisches Projekt gewesen."
Georg Diez, Jahrgang 1969, gehört zu einer neuen Generation Redakteure. Als von Hofmann, Gremliza, Zeuner und andere den Aufstand gegen Augstein wagten, war er im Säuglingsalter.
"Der Spiegel war ne Registrierkasse, wo man irgendwie am Ende des Jahres relativ viel Geld rausholen konnte. Und darauf war auch das Nachdenken ausgerichtet über das Modell und worauf es eben nicht ausgerichtet war, war eben eine ökonomische Krise."
Auf die Frage, ob das finanzielle Interesse der Mitarbeiter bei den anstehenden Reformen eher hinderlich ist, also ob es eine Trägheit des Beteiligungsmodells gibt, antwortet Diez:
"Ich finde schon, dass man hier stärker das Bewusstsein hat, dass es ein Unternehmen ist, was uns allen gehört, dass es eine gemeinsame Verantwortung gibt, dass man sich schon mehr darüber unterhält, was Fehler sind oder was Lösungsmöglichkeiten sind, aus dem Bewusstsein heraus, dass es einem selber gehört zum Teil, und das bezieht sich dann auch auf die Frage der Chefredakteure. Ich glaub, das ist schon so, dass es auf eine gewisse Weise ein weniger hierarchisches Modell ist als bei anderen Zeitungen, weil es eben am Ende doch an den Mitarbeitern liegt."
Auch dass man über die Berufung der Chefredakteure mitentscheiden könne, sei – so Diez – "inspirierend". Doch auch bei anderen Medien hat sich Manches geändert. Hierarchien seien heute flacher, das Arbeiten weniger angstbesetzt als in den 60er-Jahren, meint Diez.
Die Demokratie-Revolution hat Spiegel-Chef Rudolf Augstein vor 40 Jahren abwehren können. Für die Redakteure hat sich das Modell finanziell ausgezahlt, die Jobs sind sicherer als bei Zeitungen, in denen die Mitarbeiter nur Angestellte sind. Trotzdem würden viele, die den Spiegel kennen, nicht ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass es die Mitarbeiterbeteiligung auch in 20 Jahren noch gibt. Niemand kann abschätzen, ob sich die Mitarbeiter bei ausbleibenden Tantiemen ihre Eigentumsanteile nicht irgendwann abkaufen lassen.
Ernüchternde Bilanz eines politischen Aufbruchs. Was bleibt, ist der Spiegel-Konflikt als Lehrstück über die Schwierigkeiten, das Arbeitsleben zu demokratisieren.
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