Josie Rourke über ihren Film "Maria Stuart"

"Ebenso viel Leidenschaft wie Rivalität"

Saoirse Ronan als Mary, Königin von Schottland in Josie Rourkes Film "Maria Stuart".
Eine Geschichte aus Frauensicht: Saoirse Ronan als Mary, Königin von Schottland, in Josie Rourkes Film "Maria Stuart".. © imago stock&people
Moderation: Susanne Burg · 12.01.2019
Es gibt schon etliche Filme über Maria Stuart und ihr Verhältnis zu Elizabeth I. von England. Josie Rourke ist die erste Regisseurin, die die Geschichte der tragischen Regentin von Schottland von der feministischen Seite betrachtet.
Maria Stuart, die Königin von Schottland, wurde 1587 auf Anweisung von Elisabeth I., der Königin von England, hingerichtet. Wie konnte es soweit kommen? Dieser Frage geht der Spielfilm "Maria Stuart – Königin von England" nach. Die irische Darstellerin Saoirse Ronan spielt die schottische Monarchin, die mit 18 Jahren nach dem Tod ihres jungen Ehemannes von Frankreich nach Schottland zurückkehrt, um ihren Thron zu beanspruchen.
Ein Machtkampf mit Königin Elisabeth I. beginnt. Ein Kampf, der aber auch von gegenseitiger Faszination geprägt ist. Angeregt durch ein Buch des Historikers John Guy untersucht der Film vor allem die Rolle der Frauen auf dem Thron. Regie geführt hat Josie Rourke. Für die Theaterregisseurin war es ihr Filmdebüt. Was hat Sie an dem Film interessiert?
Josie Rourke: Ich wollte selber mehr über Maria Stuart lesen und lernen, über sie als Ikone, darüber, wie sie in der Vergangenheit dramatisch dargestellt wurde und auch über ihre Geschichte. Ich war sehr erleichtert, als ich John Guys Buch fand. Maria Stuart wurde vor allem während des viktorianischen Zeitalters Opfer einer extremen Sentimentalisierung und Sexualisierung.
Die britische Regisseurin Josie Rourke. Im Januar 2019 kommt ihr Film "Maria Stuart" in die deutschen Kinos.
Fasziniert von der Geschichte der Mary of Scotland: die britische Regisseurin Josie Rourke.© imago stock&people
Die Geschichte, die immer wieder über Maria Stuart erzählt wird, ist, dass sie entweder zu romantisch war, um schwierige Entscheidungen zu treffen, zu sexuell um kompetent zu sein, oder gar eine mordende Femme Fatale, die machtlüstern war, aber sich wegen ihrer übermächtigen Gefühle nicht an der Macht halten konnte. Frauen waren immer entweder eine Jungfrau oder eine Hure, entweder ein Opfer oder eine Femme Fatale. Das ist so stereotyp und so sehr Teil der englischen Geschichtsschreibung, das ich Maria Stuarts Geschichte unbedingt recherchieren wollte.

Schillers "Maria Stuart" hatte großen Einfluss

Susanne Burg: Maria Stuarts Geschichte hat auch Dramatiker und Filmemacher immer wieder fasziniert. Katharine Hepburn, Vanessa Redgrave oder Samantha Morton haben Maria Stuart gespielt. Standen diese Filme denn auch in dieser Geschichts-Tradition?
Josie Rourke: Einige schon. Da gibt es natürlich großartige schauspielerische Leistungen, aber Maria Stuart wird häufig als inkompetente Politikerin dargestellt – neben der hochintelligenten Königin Elizabeth. Meines Erachtens existiert noch eine andere Wahrheit über das Verhältnis zwischen Elizabeth und Maria Stuart, sowohl über ihr gegenseitiges Verständnis als auch über ihre Rivalität. In gewisser Weise hatte Schillers Drama "Maria Stuart" mit den größten Einfluss auf den Film. Im Stück gibt es die unglaubliche Szene, in der sich die beiden treffen. Darin zeigt sich, wie verzweifelt sie sich beide brauchten. Auf faszinierende Art schienen sie sich gegenseitig ihre Phantasien einzuverleiben, in klarem Bewusstsein für die Bedeutung der anderen. Da gibt es ebenso viel Leidenschaft wie Rivalität. So viel Schwesternliebe wie Hass. Das ist etwas, das mich an Schillers Stück immer fasziniert hat.
Susanne Burg: Was Sie ja dann auch in Ihrem Film weiter untersuchen. Es ist eine sehr komplexe Beziehung, die die beiden haben, sie pendelt irgendwo zwischen Rivalität und Schwesterlichkeit. Und ihre Beziehung verändert sich mit der Zeit. Wie würden Sie diese Veränderungen beschreiben?
Josie Rourke: Das hat den Rhythmus eines Gangsterfilms, einer Räuber- und Gendarm-Geschichte. Man folgt im Prinzip der Seite des Räubers, aber es gibt immer wieder Schnitte auf die Polizei, um zu sehen, wie weit sie mit ihren Ermittlungen sind und was sie über den Fall denken. Es ist ein ziemlich männliches Paradigma, das sich in solchen Geschichten häufig findet. Weitere Beispiele wären Sherlock Holmes und Moriarty oder Batman und der Joker. Ich weiß, dass das ein bisschen populär und seltsam klingt, aber eine gewisse Form dieser Geschichte, die der Film übernimmt, erinnert daran.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Filmszene aus Josie Rourkes "Maria Stuart", mit Margot Robbie als Elizabeth I.© imago stock&people
Diese Geschichte zweier Frauen hatte einen ganz besonderen Rhythmus. Maria Stuart kehrt nach dem Tod ihres Mannes in Frankreich nach Schottland zurück und das hat erdbebenartige Auswirkungen auf Elizabeth, ihren Hof und die politische Situation. Es gibt also diese explosiven Gedanken, die ihre Landung an der Küste Schottlands begleiten. Mary hatte ja Elizabeth sogar um Erlaubnis gebeten, durch England reisen zu dürfen, was diese ihr jedoch verweigerte. Es ist gleichzeitig ein Gefühl der Bedrohung und eine Faszination dafür, wie die jeweils andere Frau ihren Job macht.
Das entwickelt sich zu einer Art Leidenschaft, einer Neugier gegenüber der anderen, besonders seitens Elizabeths. Margot Robby, die Königin Elizabeth spielt, sagte, dass sie so an jeder Szene gearbeitet hat – ich würde das als Konzentrationspunkt bezeichnen, also eine Schauspiel-Technik – dass sie in jeder Szene an Mary gedacht hat, "was würde Mary machen? Wie würde sie mit dieser Situation umgehen? Inwiefern wäre ihre Vorgehensweise anders als meine?

"Ich glaube, dass sie extrem kompetent war"

Susanne Burg: Wenn wir über Maria Stuarts Regierungsstil reden, - es wurde ja oft gesagt, sie sei eine schlechte Herrscherin gewesen. In Ihrem Film gibt es eine Menge Verschwörungen, Intrigen, und man darf auch die Bedeutung der Männer um sie herum nicht vergessen. Manchmal erscheint sie in ihrem Umgang mit der Macht sehr klug, manchmal aber auch zu risikofreudig. Für wie gut halten Sie ihre Fähigkeiten, durch die sich verändernden Machtstrukturen zu navigieren? Was waren ihre Stärken und was ihre Schwächen?
Josie Rourke: Ich glaube, dass sie extrem kompetent war. Und ich glaube, die Leute um sie herum, die mit regierten oder versuchten mit zu regieren, waren größtenteils Männer. Sie regierte ja aufgrund des Erbrechts, weil es eben keinen männlichen Nachfolger gab. Die meisten um sie herum hätten es aber wohl sehr viel besser gefunden, wenn Maria Stuart ein Mann gewesen wäre beziehungsweise ein Mann verfügbar gewesen wäre.
Die Situation in Schottland war die: Sie hatte einen Halbbruder, den Earl of Moray, der im Film von James McArdle gespielt wird. Der war tatsächlich ein sehr raffinierter Politiker. Er schaffte es, eine Koalition verschiedener Interessen zusammenzuhalten, in einem Land, das zu jener Zeit sehr schwer zu regieren und dessen Entwicklungen nur schwer vorhersagbar waren. Er war brillant und versuchte häufig Maria auszubooten, so dass die Leute ständig ihre Loyalitäten änderten und nach unterschiedlichen Möglichkeiten Ausschau hielten. Er kannte auch die schottische Politik und ihre Schlüsselfiguren extrem gut. Dieses Wissen hatte Maria Stuart einfach nicht, weil sie ja so viel Zeit in Frankreich verbracht hatte. Diese männliche Verschwörung um sie herum ist also eine Tatsache, sie hat so stattgefunden. Die Männer um sie herum haben durchgehend versucht, sie zu Fall zu bringen.
Susanne Burg: Das Drehbuch hat Beau Willimon geschrieben, der auch der Showrunner der Fernsehserie "House of Cards" war. Das ist interessant, weil es auch in Ihrem Film um Verschwörungen und Intrigen geht. Ich glaube im Guardian hat jemand geschrieben, dass das 16. Jahrhundert die Zeit gewesen sei, in der die moderne Politik erfunden wurde. Sehen Sie das auch so?
Josie Rourke: Bis zu einem gewissen Grad, was die moderne Politik betrifft, ja. Ohne jetzt allzu akademisch klingen zu wollen, es war ja so ziemlich die gleiche Zeit, in der Macchiavelli "Der Fürst" geschrieben hat, das über die Jahrhunderte ein politisches Handbuch geblieben ist und auch für einige Charaktere in House of Cards ein Handbuch war. Macchiavelli hat gesagt, es ist besser gefürchtet als geliebt zu werden, was Elizabeth schließlich auch für sich festgestellt hat, in Bezug auf den Preis der Macht und wie man an ihr festhält.
Ich denke, dass viele Strukturen und Konzepte, die heute existieren, in dieser Epoche niedergeschrieben und auf philosophischer Grundlage entwickelt wurden: politisches Verhalten, Rücksichtslosigkeit, Betrug, Macht um jeden Preis, wie man Dinge bewahrt, verändert und manipuliert, wie man die Öffentlichkeit kontrolliert, die Macht der Botschaft des Politikers, die Macht seiner Figur. Natürlich hatte auch das seine Vorgeschichte: man ließ wieder aufleben, was die Griechen und Römer bereits getan hatten. Ein großer Moment eines klassischen Wiedererwachens mit Re-Interpretation.

Ein Film über weibliche Körper

Susanne Burg: Ein weiteres sehr präsentes Thema in ihrem Film ist das Verhältnis von Macht und Körper. Sie zeigen Maria Stuart als sehr starke Frau. Das schützt sie aber nicht davor, selber körperliche Gewalt zu erfahren, zum Beispiel sexualisierte Gewalt, was sie auch sehr drastisch zeigen. War es Ihnen wichtig das zu zeigen, um deutlich zu machen, in welch patriarchalem System sie arbeitete?
Josie Rourke: Ja, das ist in vielfacher Hinsicht ein Film über weibliche Körper und es ist nun mal so, dass die wichtigsten Frauenkörper in diesem Film die Körper von Königinnen sind. Es geht mir darum zu zeigen, was mit dem Körper einer Frau passieren kann – dass wir Lust empfinden können, dass wir menstruieren, dass wir gebären oder nicht gebären, dass wir unsere eigenen Haltungen haben zu unserer Lust und Fruchtbarkeit, Haltungen, die sich, wie ich glaube, fortwährend entwickeln.
Mary und Elisabeth sind oft regelrecht binäre Charaktere: Eine entschied sich dafür, ein Kind zu bekommen, eine nicht. Ich als kinderlose Frau sehe das als etwas, dass nie einfach rundheraus geschieht. Beide Frauen wussten: Königin zu sein ist eine gigantische repräsentative Aufgabe. Da musste man sich bis zu einem gewissen Punkt zum Objekt machen lassen, aber auch gleichzeitig sehr streng kontrollieren, wie der eigene Körper in der Öffentlichkeit auftauchte, und wie man ihn schützte. Was die Vergewaltigung betrifft, also die Vergewaltigung von Mary durch den Earl of Bothwell gibt es eine Kontroverse: Nicht alle Historiker glauben, dass es eine Vergewaltigung war. Ich glaube es war faktisch eine Vergewaltigung, denn als Lord Darnley starb, wurde darauf bestanden, dass sie ihn heiraten sollte. Bothwell entführte sie und sie wurde in diese Ehe gezwungen – politisch ebenso wie physisch. Was beides im Prinzip auf das gleiche hinauslief, weil sie die Kontrolle über ihren Körper verlor und das ist wohl etwas, das jeder von uns zu jeder Zeit passieren kann.

"Es ist Zeit, Macht neu zu bewerten"

Susanne Burg: Es ist auch interessant, dass zumindest in Deutschland fast gleichzeitig zwei Filme über Herrscherinnen herauskommen, der andere ist "The Favourite" von Yorgos Lanthimos. Glauben Sie, es ist jetzt der richtige Moment, die Rolle der Frauen in der Macht neu zu bewerten?
Josie Rourke: Ich denke es ist auf jeden Fall Zeit, Macht neu zu bewerten. Für mich liegt einer der Gründe dafür, dass Maria Stuart diesem Schicksal erlegen ist, darin, dass sie Mitgefühl hatte, dass sie vergeben konnte. - Wie schrecklich, dass unser Mitgefühl den eigenen Niedergang bewirken kann. Es liegt eine gewisse Grausamkeit und ein Schrecken in der Politik, und das wollen wir zur Zeit nicht wirklich wahrhaben, in all dieser Verwirrung. Zu diesen Frauen zurückzukehren und zu untersuchen, welcher Preis gezahlt wurde, welche Opfer gebracht werden mussten, ist also in der Tat auch ein Aufruf, sich die heutige Zeit noch einmal anders anzusehen.
Ich liebe "The Favourite". Das ist so ein großartiger Film! Das sind zwei sehr unterschiedliche Epochen der britischen Geschichte. Ich habe bei vielen Theaterstücken Regie geführt, die in der Zeit von "The Favourite" spielen, im 18. Jahrhundert. Die Vorstellung des Selbst war zu der Zeit vollkommen anders. Gemeinsam haben die Filme, dass sie beide von Königinnen handeln, aber sie sind auch sehr unterschiedlich. Für mich ist das Brillante an "The Favourite", dass es ein Kammerspiel ist, es ist eher eine Art "Gefährliche Liebschaften" des 18. Jahrhunderts, eine Dreiecks- oder Macht-Geschichte zwischen diesen drei Figuren. Bei Mary, Königin von Schottland geht es mehr um zwei Gegensätze, Position und Gegenposition dieser zwei Frauen, die versuchen herauszufinden, was es bedeutet, ein Land zu führen. In ihrer unglaublich guten schauspielerischen Leistung versucht Olivia Colman als Königin Anne dagegen die Führungsrolle so gut wie möglich los zu werden. In diesem Sinne sind die Filme sehr unterschiedlich, glaube ich.
Susanne Burg: Ihr Film ist definitiv kein Kammerspiel. Es gibt Kampfszenen draußen, viele Außenaufnahmen, 200 Leute am Set, oder mehr. Was waren die größten Herausforderungen für Sie als eine Regisseurin, die an die Arbeit am Theater gewöhnt ist, im Innenraum gewohnt ist, nun für Dreharbeiten nach draußen zu gehen?
Josie Rourke: Ich wurde davor noch nie dafür bezahlt, im Freien zu arbeiten. Das war eine große Herausforderung, weil ich definitiv nicht die richtigen Stiefel und keine wasserfeste Jacke hatte. Ich musste mich physisch verändern, ich musste stärker werden. Besonders in Schottland, mit dem unglaublichen Klima und der unglaublichen Landschaft, das ist eine ziemliche Herausforderung für den Körper. Eine der Grundlagen dafür, die Aufmerksamkeit und das Vertrauen von 200 Leuten zu erhalten, ist physisch in der Lage dazu zu sein, das durchzuhalten, nicht schlapp zu machen oder müde zu werden, all das ist ziemlich ausschlaggebend, denke ich.
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