Josephine Tey: "Alibi für einen König"

Freispruch für Richard III.?

04:53 Minuten
Buchcover „Alibi für einen König“ von Josephine Tey
© Kampa

Josephine Tey

Maria Wolff

Alibi für einen KönigKampa, Zürich 2022

255 Seiten

20,00 Euro

Von Sigrid Löffler · 03.01.2023
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Als kindermordender Super-Schurke hinkt er über die Theaterbühne. Dabei sind sich Historiker längst unsicher, ob Richard III. mehr Opfer als Täter war. Josephine Tey begibt sich in ihrem Kriminalroman auf Spurensuche durch die englische Geschichte.
In Großbritannien gelten die Kriminalromane der schottischen Autorin Josephine Tey (1896–1952) als Klassiker, auch, weil sie mehr sind als bloße Genre-Literatur: Die Autorin benutzt das Krimi-Schema als triftige Form, um ihren literarisch anspruchsvollen Themen die Aufmerksamkeit eines breiten Publikums zu sichern. Im deutschsprachigen Raum sind Teys Romane immer noch – auch 70 Jahre nach dem Tod der Autorin – ein Geheimtipp für Kenner und waren lange Zeit vergriffen. Jetzt hat der Kampa Verlag in Zürich einen neuen Anlauf genommen, um Josephine Tey auch hierzulande so bekannt zu machen, wie es ihr Werk verdient.

Opfer statt Killerkönig

Der Roman "Alibi für einen König", der ein Jahr vor ihrem Tod 1952 erschien, will im Gewand eines Thrillers Shakespeare widerlegen und die Ehre von Shakespeares berühmtestem Theaterbösewicht retten, der als Killerkönig Richard III. seit mehr als 400 Jahren über alle Bühnen humpelt, bucklig und missgestaltet, und sich als ruchloser Mörder andauernder Popularität bei Theatergängern in aller Welt erfreut.
In Shakespeares Historiendrama krallt sich Richard die Krone Englands durch Mordkomplotte gegen alle möglichen Thronanwärter aus seiner Familie. Vor allem lässt er seine beiden Neffen im Tower von London verschwinden, um sich selbst die Thronfolge zu sichern. Daran zweifeln Historiker seit Langem. Sie halten den historischen Richard, den letzten König aus dem Hause Plantagenet, für das Opfer eines Rufmords und vermuten, dass Richards Image als kindermordender Super-Schurke auf Verleumdung beruht.

Spurensuche in der Vergangenheit

In "Alibi für einen König" fällt die Aufgabe, die historische Unschuld des Richards zu beweisen, dem Inspektor Grant von Scotland Yard zu. Grant liegt mit gebrochenem Bein im Krankenhaus und langweilt sich, als ihm das Bildnis König Richards aus der Londoner National Portrait Gallery in die Hände fällt.
Grant ist zwar jeder Zoll kein Historiker, hält sich aber als Kriminalist viel auf sein Talent zugute, Gesichter lesen zu können. Er studiert das sorgenvolle und kränkliche Antlitz des Porträtierten, der ihm eher wie ein Grübler und Kandidat für ein Magengeschwür erscheint, keinesfalls aber wie ein mörderischer Wüterich.
Diese Diskrepanz zwischen Leumund und Antlitz ist Grants Trigger, um am gängigen Bild Richards zu zweifeln, wie es das Theater, die Schulbücher und die Legenden der englischen Geschichtsfolklore bis heute überliefern. Wie passen hier Gesicht und historische Fakten zusammen? Und was sind überhaupt die historischen Fakten, und was sind falsche Behauptungen, Unwahrheiten und interessengelenkte Umdeutungen im Nachhinein?

Ermittlungen im Bett

Mithilfe eines jungen Historikers und Archivforschers macht sich Grant daran, den Fall vom Bett aus mit rein detektivischen Methoden neu aufzurollen. Die beiden gehen strikt quellenkritisch vor, untersuchen alle zeitgenössischen Zeugnisse, primäre und sekundäre Quellen auf Widersprüche, Vorurteile, Irrtümer, Lügen, verborgene Absichten und geheime Agenda.
Dem Wirrwarr von strittigen Thronansprüchen rückt Grant mit professionellem Kriminalisten-Besteck zu Leibe: Wer hatte Motiv, Mittel und Gelegenheit, die Prinzen verschwinden zu lassen?

Parcours durch die Geschichte

Josephine Tey hat die verworrenen historischen Materialien spannend, transparent und mit Witz zur Rehabilitierung König Richards aufbereitet, mit den modernen Methoden ihres intelligenten und nüchternen Ermittlers. Der deutschen Ausgabe hätte man allerdings ein erläuterndes Nachwort samt Glossar und Stammbaum gewünscht. Nicht jeder Leser hat die Verwicklungen und Protagonisten der Rosenkriege im Detail parat, um Josephine Teys eigenwilligen Parcours durch die englische Geschichte ganz genießen zu können.
Im Übrigen ist ohnehin klar, wer in diesem Fall historisch das Rennen gemacht hat. Gegen Shakespeares unsterblichen Schurken, das Buckelmonster Richard III., kann auch die historische Wahrheit einfach nicht gewinnen.

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