Josefina wartet vergebens
Josefina und Alfonso finden nicht zusammen, denn ihn lockt die große weite Welt. Ein zarter und furchtbarer trauriger Liebesroman mit Zeitreisen ins frühe 20. Jahrhundert - nach Kolumbien und nach Europa.
Dies ist der zweite Roman des Kolumbianers Tomás González, der schon 1987 erschien und damals einen kleinen, auf sein Heimatland beschränkten Erfolg hatte.
Denn ganz anders als sein berühmterer und eine Generation älterer Landsmann Gabriel García Márquez setzte González in seinen Romanen nicht auf den Exotismus und die tropische Üppigkeit, die das internationale Publikum inzwischen so sehr schätzte, sondern beschäftigte sich mit dem Alltäglichen: mit dem Geschmack, dem Geruch, den Gegenständen, die einen durchs Leben begleiten und die wahrzunehmen einer eigenen Aufmerksamkeit bedarf, einer gereiften Neugier auf die unspektakulären Seiten des Lebens.
"Die versandete Zeit" ist ein furchtbar trauriger Liebesroman von erschütternder Nüchternheit. "Fleckfieber und Dummejungenstreiche sind zwei Paar Stiefel", sagt die verlassene Josefina als alte Frau am Ende ihres allein verbrachten Lebens.
Alfonso, ihre große Liebe, hat sie gleich zweimal verlassen: Das erste Mal nach ihrem ersten Kuss; da ging er erst von dem kleinen Dorf bei Medellín nach Bogotá und dann nach Europa. Das war 1911. Das zweite Mal ließ er sie im Jahr 1915 Stich, nachdem er zuvor als weitgereister Mann in Dichterkreisen verkehrt, den Weltkrieg gesehen, und mit mehreren Frauen gelebt hatte. Josefina aber hatte zu Hause in Envigado auf ihn gewartet und wartete wieder, bis er ihr mitteilte, dass er in der Hauptstadt eine andere geheiratet hatte.
González erzählt diese Geschichte, als wären es viele Geschichten: Alfonsos Reisen zeichnet er mit großer Genauigkeit nach, die Eisenbahnen und Schiffe des frühen 20. Jahrhunderts, das Leben in Kolumbien, in Paris, Belgien und London. Er schildert lebhaft die Menschen, denen Alfonso in der großen Welt begegnet, schräge Gestalten der Boheme, eigenartige Frauen, einflussreiche Männer.
Noch intensiver aber liest sich das weitgehend ereignislose Leben der schönen Josefina, die als uralte Frau auf ihrem Sterbebett einen entfernten jungen Verwandten an den Bruchstücken ihrer Erinnerung teilhaben lässt. Der will einen Roman daraus machen – und scheitert an der Vielfalt des Materials, vielleicht aber auch am Respekt vor dem Leben anderer – oder am eigenen Unvermögen.
Die verschiedenen Zeitebenen und Erzählhaltungen, die unterschiedlichen Erfahrungen und Empfindungen fügen sich zu einem vielfältig schillernden Ganzen, das den Reiz des nicht ganz Erklärbaren bewahrt.
González' zarter und raffiniert gebauter Roman ist eins der schönen Bücher, die nicht als lautstarke Behauptung, sondern als intensive Frage auftreten. Vielleicht ist ihm deshalb nicht die längst verdiente Aufmerksamkeit zuteil geworden.
Besprochen von Katharina Döbler
Tomás González: Die versandete Zeit
Roman
Aus dem Spanischen von Richard Gross und Peter Schultze-Kraft
Edition 8, Zürich 2010
240 Seiten, 20,80 Euro
Denn ganz anders als sein berühmterer und eine Generation älterer Landsmann Gabriel García Márquez setzte González in seinen Romanen nicht auf den Exotismus und die tropische Üppigkeit, die das internationale Publikum inzwischen so sehr schätzte, sondern beschäftigte sich mit dem Alltäglichen: mit dem Geschmack, dem Geruch, den Gegenständen, die einen durchs Leben begleiten und die wahrzunehmen einer eigenen Aufmerksamkeit bedarf, einer gereiften Neugier auf die unspektakulären Seiten des Lebens.
"Die versandete Zeit" ist ein furchtbar trauriger Liebesroman von erschütternder Nüchternheit. "Fleckfieber und Dummejungenstreiche sind zwei Paar Stiefel", sagt die verlassene Josefina als alte Frau am Ende ihres allein verbrachten Lebens.
Alfonso, ihre große Liebe, hat sie gleich zweimal verlassen: Das erste Mal nach ihrem ersten Kuss; da ging er erst von dem kleinen Dorf bei Medellín nach Bogotá und dann nach Europa. Das war 1911. Das zweite Mal ließ er sie im Jahr 1915 Stich, nachdem er zuvor als weitgereister Mann in Dichterkreisen verkehrt, den Weltkrieg gesehen, und mit mehreren Frauen gelebt hatte. Josefina aber hatte zu Hause in Envigado auf ihn gewartet und wartete wieder, bis er ihr mitteilte, dass er in der Hauptstadt eine andere geheiratet hatte.
González erzählt diese Geschichte, als wären es viele Geschichten: Alfonsos Reisen zeichnet er mit großer Genauigkeit nach, die Eisenbahnen und Schiffe des frühen 20. Jahrhunderts, das Leben in Kolumbien, in Paris, Belgien und London. Er schildert lebhaft die Menschen, denen Alfonso in der großen Welt begegnet, schräge Gestalten der Boheme, eigenartige Frauen, einflussreiche Männer.
Noch intensiver aber liest sich das weitgehend ereignislose Leben der schönen Josefina, die als uralte Frau auf ihrem Sterbebett einen entfernten jungen Verwandten an den Bruchstücken ihrer Erinnerung teilhaben lässt. Der will einen Roman daraus machen – und scheitert an der Vielfalt des Materials, vielleicht aber auch am Respekt vor dem Leben anderer – oder am eigenen Unvermögen.
Die verschiedenen Zeitebenen und Erzählhaltungen, die unterschiedlichen Erfahrungen und Empfindungen fügen sich zu einem vielfältig schillernden Ganzen, das den Reiz des nicht ganz Erklärbaren bewahrt.
González' zarter und raffiniert gebauter Roman ist eins der schönen Bücher, die nicht als lautstarke Behauptung, sondern als intensive Frage auftreten. Vielleicht ist ihm deshalb nicht die längst verdiente Aufmerksamkeit zuteil geworden.
Besprochen von Katharina Döbler
Tomás González: Die versandete Zeit
Roman
Aus dem Spanischen von Richard Gross und Peter Schultze-Kraft
Edition 8, Zürich 2010
240 Seiten, 20,80 Euro