Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte

Rezensiert von Jochen Thies · 10.06.2005
Fischer ist nicht Fukuyama. So könnte schlaglichtartig die Einschätzung des Werkes lauten, das Bundesaußenminister Joschka Fischer soeben vorgelegt hat. Es ist ein interessantes Buch, trotz aller Schwächen, die es hat. Denn Fischer unternimmt nicht weniger als den Versuch, eine neue Weltordnung zu entwerfen, die sich an internationalem Recht und Gerechtigkeit orientiert und den ambitionierten Titel: "Die Rückkehr der Geschichte" trägt.
Aber er kann nicht das realisieren, was ihm sein Umfeld souffliert und Teile des politischen Berlin lange Zeit zugetraut haben. Die Lektüre ist über lange Strecken langweilig, die Inhalte mitunter geradezu banal. Ärgerlich ist, dass sich Themen und Thesen überschneiden und wiederholen. Historische Passagen wechseln in munterer Reihenfolge mit Abschnitten, in denen sich Fischer an die Fachwelt wendet. Eine Seite später liest sich das Buch, das ein grundsätzliches Werk zur Weltmachtgeschichte, zur Geschichte und Theorie des internationalen Systems sein will, wie ein Kommentar zur Tagespolitik. Aber immer ist festzustellen, wenn Fischer selber spricht und die von Mitarbeitern in Beamtenprosa verfassten Passagen enden. Dazwischen finden sich auch herrliche Stilblüten, etwa, als Fischer über das europäisch-globale Staatensystem reflektiert, das sich "in einer sumpfigen Diffusion der Weltgeschichte verloren hat, gewissermaßen in einem Pantanal der Staatengeschichte, in dem es von gefährlichen Vipern, Moskitos und wilden Bestien nur so wimmelt".

Wie bei Autodidakten häufig anzutreffen, liebt der Minister das ausführliche Zitat. Und wenn ihm etwas besonders gut gefällt, bekommt der Zitierte ausdrücklich Recht. An anderer Stelle wird hingegen dann festgehalten, dass der zitierte Autor irrt. Herangezogen wird in aller Regel Zeitgeistliteratur. Titel der führenden deutschen Politikwissenschaftler und Zeithistoriker kommen so gut wie überhaupt nicht vor. Aber festzuhalten bleibt, dass Deutschland wohl lange nicht einen Außenminister gehabt hat, der derartig belesen ist, der so umfassend über die Geschehnisse seit dem 11. September 2001 reflektiert.

Fast das gesamte Denken Fischers kreist um die Supermacht Amerika, der er unverkrampft, fast freundlich begegnet. Frankreich oder Großbritannien interessieren ihn nicht und ebenso unterbeleuchtet erscheinen Afrika, Asien, Südamerika und Australien. Den 11. September 2001 sieht der Außenminister als Epochendatum. Er meint:

"Gelingt es dem Westen und gelingt es vor allem den Staaten und Gesellschaften des Islam, diese totalitäre Herausforderung einzudämmen und zu isolieren, so wird sich aus dem 11. September keine dauerhafte Gefährdung der regionalen und internationalen Ordnung ergeben. Scheitert hingegen der Versuch der Isolierung und schnellen Eliminierung dieser Gefahr und ihrer tiefer liegenden Wurzeln, dann allerdings kann der Dschihad-Totalitarismus zu einer anhaltenden terroristischen Gefahr für den regionalen und den Weltfrieden werden, auch wenn daraus kaum einer neuer, weltweiter Zentralkonflikt im klassischen Sinne entstehen kann. "

Fischer behandelt danach zwei Zukunftsszenarien

"Das optimistische Szenario legt die Annahme zugrunde, dass der Dschihad-Terrorismus bereits Ende der neunziger Jahre im Niedergang begriffen war und definitiv mit dem Anschlag vom 11. September seinen Höhepunkt erreicht und überschritten hat. Ja, in dieser Interpretation wird der 11. September dem Versuch zugeordnet, durch dieses Fanal den Prozess des Niedergangs aufzuhalten und umzudrehen."

Es gibt laut Fischer aber auch ein anderes Szenario:

"Zur gegenteiligen Schlussfolgerung gelangt das pessimistische Szenario, und die Auswirkungen des Krieges der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak und die anhaltende Besetzung des Landes könnten die Entwicklung in Richtung des pessimistischen Szenarios stärken. An erster Stelle stehe dabei die Gefahr, dass es dem neuen Terrorismus auf mittlere Sicht tatsächlich gelingen könnte, die Golfregion und Saudi-Arabien zu destabilisieren, und zwar mit tatkräftiger Hilfe des Westens. Denn der Irakkrieg und seine Folgen beseitigen Schritt für Schritt die regionale Hautkonkurrenz der radikalen Dschihadis, nämlich die abgewirtschafteten nationalistischen Diktaturen und autoritären Regime. Und darüber hinaus würden die Demokratisierungsstrategie sowie die Realität der als "Fremdherrschaft" empfundenen Anwesenheit amerikanischer und westlicher Truppen einen Islamisierungsschock in der arabischen und islamischen Welt auslösen. "

Fischer hofft, das machen seine Ausführungen deutlich, dass die politische Gestaltung der Globalisierung gelingt, dass der Sozialstaat in Europa überlebt und die Gesellschaften des Islam aus der Modernisierungskrise, in der sie stecken, herauskommen.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor einem Jahr sagte der Minister:

"Für unsere gemeinsame Sicherheit im 21. Jahrhundert wird weniger die Frage entscheidend sein, ob sich die Nato im Irak engagiert oder nicht, sondern ob wir - Amerika, Europa und die betroffenen Staaten in der Region - endlich diese Herausforderung der Modernisierung und Stabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens strategisch angehen werden."

Zum Kosovo-Krieg, zum Schlüsselerlebnis von Rot-Grün, heißt es bei Fischer:

"Es ging bei den militärischen Interventionen des Westens auf dem Balkan vorrangig um humanitäre Anliegen, um die Unterbindung weiterer Massaker und furchtbarer Grausamkeiten, um die Verhinderung von Flüchtlingsströmen durch Bekämpfung der Fluchtursachen. Gewiss spielte auch die direkte visuelle Teilnahme von zig Millionen westlichen Fernsehzuschauern Abend für Abend an diesen Kriegen - der so genannte "CNN-Effekt" - eine nicht zu unterschätzende politische Rolle. Mit Sicherheit ging es aber niemals um eine neue Doktrin der humanitären Intervention, denn dazu wurde viel zu lange auf eine fatale Appeasementpolitik gegenüber Milosevic gesetzt. Vielmehr war während der zehn Jahre dauernd jugoslawischen Erbfolgekriege die grundsätzliche politische Frage aufgeworfen worden, ob Europa am Ende des 20. Jahrhunderts das Risiko und die Konsequenzen einer blutigen nationalistischen Staatenbildung und einer gewaltsamen Grenzziehung eingehen und daher diesen Kriegen im ehemaligen Jugoslawien tatenlos zusehen konnte. Diese Frage war und ist eindeutig mit Nein zu beantworten."

Interessant sind Fischers Ausführungen zum Irak Die von den USA angeführte Intervention dürfe nicht scheitern, schreibt er. Die Zukunft des Staatensystems im 21. Jahrhundert sieht Fischer auf zwei Pfeilern ruhen: der Weltmacht USA, die für ihn seit dem 11. September 2001 aus der Rolle einer konservativen Weltmacht in die Position einer revolutionäre Weltmacht gewechselt ist und der Weltorganisation UN. - Je länger man sich mit diesem chaotischen Buch befasst, umso deutlicher wird, dass hier jemand am Werke war, der vor nicht allzu langer Zeit erster europäischer Außenminister werden wollte. Das Buch sollte dazu eine Art Visitenkarte werden, es wurde ein Torso - wie die Regierungsbilanz von Rot-Grün.

Joschka Fischer: Die Rückkehr der Geschichte.
Die Welt nach dem 11. September 2001 und die Erneuerung des Westens
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005