Joschka Fischer: Chancen für Bushs Nahostinitiative gering
Wenige Tage vor dem Besuch des amerikanischen Präsidenten George W. Bush in Israel sieht der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer wenig Chancen für einen Durchbruch bei den Nahostgesprächen. Die Voraussetzungen für eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern seien "eher schlechter" als zu Zeiten von Bill Clinton, da "alle drei wesentlichen Akteure erheblich geschwächt" seien, sagte Fischer.
Deutschlandradio Kultur: Herr Fischer, 1969 haben Sie an einer PLO-Tagung in Algier teilgenommen, auf der der Untergang Israels beschworen wurde. 30 Jahre später sind Sie bei Israelis und Palästinensern gleichermaßen gut angesehen. Sie sind einer der energischsten Fürsprecher Israels. Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, zu der Haltung zu kommen, die Sie heute vertreten?
Joschka Fischer: Damals, vor allen Dingen nach dem Sechstagekrieg und unter dem Einfluss auch der innenpolitischen Konfrontation hier, vor allem mit dem Verlagshaus Springer, war die Position, die ich damals hatte, die, dass es einen dritten Weg geben muss, jenseits sozusagen Israel auf der einen Palästinenser auf der anderen Seite. Es gab eine antiimperialistische Begeisterung für die Unterstützung der Palästinenser.
Aber es hat sich sehr schnell rausgestellt, dass dies alles Illusionen waren, vor allem im Zusammenhang mit dem linksradikalen Terrorismus, der Entführung der Air-France-Maschine nach Entebbe Mitte der 70er Jahre, wo junge Deutsche aus Frankfurt beteiligt waren, die dann jüdische von nichtjüdische Passagieren selektiert haben, das heißt, entlang der Pässe aufgeteilt haben. Da war mir klar, dass es sich um Illusionen handelte, und dass letztendlich hinter diesem sogenannten Antizionismus nichts anderes als Antisemitismus stand.
Für mich war die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, vor allem mit dem Nationalsozialismus, das konstitutive Element meiner Politisierung. Da war für mich auch klar, dass diese Position falsch ist und dass ich mein Verhältnis zu Israel geändert habe. Wir waren damals auch sehr stark an dem Traum einer Einstaatenlösung orientiert, dass Palästinenser und Israelis wirklich in einem Staat zusammenleben könnten. Das waren damals vor allem trotzkistische Linke in Israel, eine kleine Gruppe, die dies vertreten hat, und an der wir uns stark orientiert haben. Aber auch das hat sich als Illusion erwiesen.
Tragischerweise läuft die aktuelle Entwicklung eher in die Richtung, dass die Zweistaatenlösung, nämlich Palästinenser und Israelis jeweils in ihrem eigenen Staat als Nachbarn, Seite an Seite friedlich lebend, mehr und mehr in Gefahr gerät.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch einen Moment bei '68. Das ist dieses Jahr 40 Jahre zurück. Wir haben 60 Jahre Israel. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, die Haltung damals zu Israel, der Antizionismus war nicht unbedingt einem Ruhmesblatt dieser Linken?
Fischer: Nein, das war es definitiv nicht. Vor allen Dingen stand da uneingestandenermaßen das deutsche Erbe dahinter. Das ist manchen erst später klar geworden, mir auch. Aber natürlich gab es da ein uneingestandenes Erbe. Nicht umsonst war die Situation dort die, dass die Rechtsradikalen in dem einen Lager und die linkradikalen RAF-Leute in einem anderen Lager bei der PLO ausgebildet wurden. Spätestens da hätten sämtliche Alarmklingeln angehen müssen. Aber es gab auch Bombenattentate, einen Terroranschlag auf ein jüdisches Altenheim, was mit einer politischen Auseinandersetzung nun sicher nichts zu tun hatte, sondern purer Antisemitismus war ohne jeden Zweifel.
Deutschlandradio Kultur: Israel feiert den 60. Jahrestag seiner Staatsgründung. Es gibt seit Jahrzehnten relativ gute deutsch-israelische Beziehungen. Wie würden Sie das Verhältnis heute beschreiben?
Fischer: Wenn Sie als Deutscher Jad Vashem besuchen, werden Sie unmittelbar mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert. Das ist nicht nur die Tragödie des deutschen und des europäischen Judentums, des jüdischen Volkes, sondern es ist auch die Tragödie der Täter. Ich habe Deutschland, unser Land repräsentiert, gemeinsam mit Bundespräsident und Bundeskanzler im Jahr 2005.
Zum Beispiel war da eine Sitzung der Generalversammlung anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz, wobei dort nicht mehr sehr viele Menschen zu befreien waren. Die waren entweder tot oder starben noch nach der Befreiung aufgrund ihres elenden körperlichen Zustandes oder sind auf den Todesmärschen zu Tode gekommen. Nach der Räumung des Vernichtungslagers Auschwitz wurden die Häftlinge von der SS Richtung Westen getrieben.
Ich war da bei der Generalversammlung. Dort sprach der Vertreter Israels, der Vertreter Polens, der UN-Generalsekretär, all die anderen. Und dann warteten alle auf einen, und zwar nicht auf mich als Person, sondern als Vertreter Deutschlands. Das muss uns klar sein, dieser Teil der Geschichte ist nicht vergangen. Der prägt unser Verhältnis zu Israel und wird es lange prägen.
Deutschlandradio Kultur: Wir hören andererseits aus Israel, die sind inzwischen auch drei Generationen weiter, dass diese prägende Wirkung der Shoah auch als konstitutives Element des Bewusstseins der Israelis, abnimmt. Ist das so?
Fischer: Es transformiert sich von jeder Generation. Ich bin die zweite Generation. Die Generation meiner Kinder oder gar meiner Enkelkinder, wenn die mal erwachsen sind, wird natürlich eine andere sein, ohne jeden Zweifel. Aber verschwinden wird die Verantwortung für diesen schrecklichsten Teil unserer Geschichte, der deutschen Geschichte, in modernen Zeiten nicht. Selbstverständlich tritt mehr und mehr auch Gegenwart und Zukunft in unseren Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in den Vordergrund, was gut, wichtig und richtig ist. Aber es wird immer auch den Bezug zur Vergangenheit geben.
Deutschlandradio Kultur: Wenn der Bezug zur Vergangenheit bleibt, und der muss wahrscheinlich bleiben, sagt aber beispielsweise Moshe Zuckermann, er ist Soziologe an der Uni Tel Aviv, das sei vielleicht auch ein Problem. Denn gerade deutsche Regierungen könnten israelische Regierungen an manchen Stellen überhaupt nicht kritisieren. Ist das die besondere Anormalität der Normalität?
Fischer: Dass Kritik, die von Deutschen kommt, es besonders schwer hat, ist relativ einfach nachzuvollziehen. Da muss man sich doch ernsthaft Gedanken machen. Es ginge uns, wenn wir Israelis wären, genauso. Nach der Devise: Wenn die uns kritisieren, na ja, mit der Vergangenheit, was steckt denn wirklich dahinter?
Im Übrigen stimmt es auch so nicht. Der entscheidende Punkt ist: Die Israelis, wie auch die Palästinenser sind voller Misstrauen gegeneinander und natürlich auch nach außen, weil zu viel Enttäuschung, zu viel Isolierung stattgefunden hat. Das heißt, wenn Kritik wirksam sein soll, dann muss sie auf Vertrauen gründen. Dann, das ist meine Erfahrung, kann man über alles sprechen – vielleicht nicht auf dem großen Marktplatz, aber wenn man die notwendige Sensibilität und das Vertrauen hat, kann man über alles sprechen.
Und ich nehme für mich in Anspruch, das habe ich getan, auch wenn ich sagen muss, dass manche Kritik an Israel - auch bedingt durch das Medienbild, Panzer schießt auf einen mit Steinen Bewaffneten - teilweise falsch dargestellt wird. Ich kenne beide Seiten und weiß auch, was offiziell dargestellt wird, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite. Israel fühlt sich gerade in Europa oft - zurecht, finde ich - missverstanden, falsch kritisiert. Das hat natürlich das Misstrauen gerade gegenüber europäischer Kritik verstärkt. Ich meine, dass da Deutschland eher eine Vertrauensposition hat, die man klug und auch sensibel nutzen muss.
Deutschlandradio Kultur: Der frühere Botschafter Primor hat dieser Tage drauf hingewiesen, dass im Grunde Israel jetzt nur noch 200 Kilometer von der Europäischen Union entfernt ist durch Zypern, und verspricht sich insbesondere von Deutschland eine Rolle hinsichtlich der Verbindung zur Europäischen Union. Ist das eine Position, die Deutschland gut einnehmen kann?
Fischer: Die haben wir immer eingenommen. Mit "wir" meine ich generell nicht nur eine Bundesregierung, sondern nahezu alle Bundesregierungen. Da gibt es eine lange Kontinuität. Ich habe es erlebt. Ich war teilweise im Europäischen Außenministerrat sehr isoliert. Es gab Zeiten, da war ich fast allein. Aber das hat mich nicht davon abgehalten, die legitimen Interessen Israels zu vertreten, genauso wie wir umgekehrt natürlich, gerade als enge Freunde Israels, immer drauf gedrungen haben zu versuchen, dem Frieden eine Chance zu geben und auch die legitimen Interessen der Palästinenser zu berücksichtigen und zu versuchen, hier mit unseren bescheidenen Möglichkeiten beizutragen, einen Ausgleich herbeizuführen.
Ich freue mich, dass sich in der EU die Lage diesbezüglich geändert hat und dass es heute einfacher ist. Aber es war immer so, dass Deutschland darauf geachtet hat, dass in den EU-israelischen Beziehungen diese Beziehungen nicht erodieren oder sich gar dramatisch verschlechtern, sondern dass sie sich verbessern. Das war nicht immer einfach.
Deutschlandradio Kultur: Aber ohne die Amerikaner geht im Nahen Osten gar nichts.
Fischer: Nein, weil die EU oder gar einzelne europäische Mitgliedsstaaten, das ist ja die große Illusion des Vermittelns etc. in der deutschen Öffentlichkeit, keine Sicherheitsgarantien geben können. Dafür sind wir einfach nicht stark genug, nicht integriert genug im Sektor der Sicherheit. Da geht es wirklich um existenzielle Fragen. Das sehen Sie ja auch daran: Die Araber oder die Palästinenser, die auf der einen Seite immer großen Wert auf Solidaritätserklärungen der Europäischen Räte legen, aber wenn es Ernst wird, wenn es um Verhandlungen geht, fährt man nach Washington – selbstverständlich – und nicht nach Brüssel.
Deutschlandradio Kultur: Nun haben wir ja eine parallele Situation zu der vor ungefähr acht Jahren. Damals hat Präsident Clinton auf den letzten Metern seiner Amtszeit versucht, eine endgültige Friedenslösung hinzubekommen. Jetzt versucht es George Bush. Sind die Chancen jetzt eher schlechter oder eher besser?
Joschka Fischer: Eher schlechter, weil alle drei wesentlichen Akteure erheblich geschwächt sind oder sehr stark geschwächt sind. Bush ist nur noch begrenzt handlungsfähig, wenn man es optimistisch sehen will. Olmert, weiß man nicht, wird er tatsächlich eine Zukunft haben, angesichts der offensichtlich ganz intensivierten Vernehmung seitens der Staatsanwaltschaft? Aber was sind seine Spielräume, selbst wenn er die politische Zukunft hat? Kann er denn tatsächlich das liefern, was Abbas braucht, da gibt es große Zweifel, ohne dass nicht sofort die Koalition dann zerbrechen würde? Und umgekehrt: Abbas ist natürlich durch drei schwere Niederlagen gegenüber Hamas entscheidend geschwächt. Die erste Niederlage bei freien und geheimen Wahlen, die zweite Niederlage im Bürgerkrieg von Gaza und die dritte Niederlage, als es Hamas gelungen ist, mit der Sprengung der Grenzbefestigungen zu Ägypten aus der Isolation auszubrechen. Das darf man nicht unterschätzen, was das heißt.
Selbst wenn sie ein Papier hinbekommen, es soll ja nur ein so genanntes Rahmenabkommen sein, stellt sich die Frage: Was steht da drin? Und zweitens: Welche Bedeutung hat es? Es ist ja beeindruckend, wie wenig das in beiden Öffentlichkeiten, weder in der israelischen, noch in der palästinensischen Öffentlichkeit, wirklich eine Bedeutung hat. Das gab es so in der Vergangenheit auch nicht. In Zeiten, in denen da verhandelt wurde, hatte es eine andere Bedeutung. Insofern gehöre ich da zu den Skeptikern, bin allerdings auch der Meinung, man soll den Prozess unbedingt am Laufen halten – es gibt keinen anderen Weg– und darauf setzen, dass mit der neuen amerikanischen Regierung dann das Interesse an einer regionalen Neuordnung steigt. Das werden die Amerikaner machen müssen, wenn sie aus dem Irak abziehen wollen, ohne ein Desaster anzurichten. Da wird dann auch der israelisch-palästinensische Ausgleich meines Erachtens eine sehr große Rolle spielen.
Die Erfahrung war die: Wenn seitens der USA und anderer internationaler Akteure, aber entscheidend der USA, ernsthafte Anstrengungen einer Lösung unternommen wurden, dass dann – siehe Madrid, die Verhandlungen nach dem Ende des Kalten Krieges, die damals vom Vater des jetzigen amerikanischen Präsidenten und seinem Außenminister Baker begonnen wurden – beide Seiten plötzlich anfangen, sich ernsthaft zu bewegen, weil sie nicht wollen, dass ihnen eine Lösung von außen aufgedrückt wird.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt zwei Schulen. Die einen sagen: Man muss in das Zentrum des Nahost-Konflikts reingehen und sich darauf konzentrieren – Palästina, Israel. Die anderen sagen: Man muss das von der Peripherie her lösen. Die Einflusszonen von Iran, Libanon. Was stimmt?
Joschka Fischer: Beides nicht. Beides ist der alte Nahe Osten. Beides ist durch den Irakkrieg und den Aufstieg des Irans zu einer potenziellen Hegemonialmacht in der Region und damit zu einer Schwerpunktverlagerung Richtung Persischer Golf nicht mehr so richtig. Wir haben heute eine neue Verbindung der verschiedenen Krisen, die sich im Wesentlichen eben durch die Destabilisierung des Irak durch die USA und bei gleichzeitiger Stärkung des Irans ausgedrückt hat. Der Nahost-Konflikt ist nach wie vor ein sehr wichtiger Konflikt, damit ich nicht missverstanden werden, gehört sogar zum Kern des Konflikts, ist aber nicht mehr von dieser Dominanz, wie traditionell. Dennoch, eine regionale Neuordnung, die einen neuen Regionalkonsens der relevanten beteiligten Regionalmächte voraussetzt, wird es nicht geben, ohne dass es einen israelisch-palästinensischen Frieden gibt. Insofern besteht an dem Punkt Optimismus, dass der nächste amerikanische Präsident nicht wie die Vorgänger Clinton und Bush jeweils sieben Jahre gewartet haben bis ans Ende Ihrer Amtszeit oder sechs Jahre im Falle Clinton, sondern dass er das ganz oben ansetzt, weil das zentrale Interesse sein wird, eine Lösung für den Irak und zugleich für den Persischen Golf, für die gesamte Region hinzubekommen.
Deutschlandradio Kultur: Wo müsste denn die neue amerikanische Regierung, wer auch immer sie stellen mag, den Hebel ansetzen, um im Nahen Osten tatsächlich Friedensperspektiven zu eröffnen?
Joschka Fischer: Es ist bekannt heute. Alle sind sehr schnell der Meinung, wie das Endergebnis aussehen muss. Ein etwas leicht modernisiertes Taba. Taba war damals der Badeort auf ägyptischer Seite der Grenze zu Israel, wo in der Endphase der Clinton-Regierung die palästinensisch-israelischen Unterhandlungen weitergegangen sind, bis sie dann nicht mehr weitergingen.
Es läuft im Wesentlichern auf die Grenzen vom Juni 67 hinaus, vor dem 6-Tagekrieg, inklusive Jerusalem mit den dort verhandelten Grenzfragen, inklusive Sicherheit, Wasser. Territoriumsaustausch wird dabei auch eine Rolle spielen. Was man nicht weiß, ist, wie man dort hinkommt. Der entscheidende Punkt wird sein, dass die Supermacht ihre Interessen hier wird vertreten müssen. Ich sage nochmals: Das ist ein regionaler Interessenausgleich, eine Neuordnung dieser Region. Dazu wird man die Mächte, die gegenwärtig blockieren und die Radikalen unterstützen, Syrien und Iran, mit einbeziehen müssen. Einen iranisch-saudischen Interessenausgleich herbeizuführen, wird alles andere als einfach. Da warne ich davor, diese Problematik zu unterschätzen. Und ich denke, man wird anfangen müssen darüber nachzudenken, wie man Hamas einbezieht. Auch das wird ein Faktor werden, wenn man zu einem Interessenausgleich kommen will. Ohne amerikanische Führung wird das nicht gehen. Das ist der entscheidende Hebel.
Deutschlandradio Kultur: Wir wissen, einer von Dreien wird amerikanischer Präsident, entweder Obama, Mc Caine oder Clinton. Welcher wäre mit Blick auf eine Lösung der Vielversprechenste?
Joschka Fischer: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich meine, es reduziert sich mittlerweile auf zwei. Meine Auffassung ist die, dass jeder amerikanische Präsident natürlich die amerikanische innenpolitische Agenda immer klar vor Augen hat. Zwei Jahre nach dem Amtsantritt werden Kongresswahlen sein. Das ist schon mal ein festes Datum. Dann hat er noch ein Jahr und dann beginnt bereits der Wahlkampf für die Wiederwahl. Es wird dauern, bis die neue Regierung sich installiert hat. Also, die Zeitfenster sind relativ eng. Die innenpolitische Agenda sagt sehr klar jedem amerikanischen Präsidenten: Du musst eine Lösung für Irak herbeiführen.
Nun ist weder die Mc Caine Vorstellung, wir bleiben da 100 Jahre, realistisch, ich glaube auch nicht, dass es seiner Politik entsprechen wird, noch die der Demokraten, die sagen, wir wollen ganz schnell abziehen, so dass sich alles darauf konzentriert, eine politische Lösung für diese Anhäufung von Konflikten zu finden, das heißt, sowohl für das Nuklearprogramm des Iran, als auch für die Zukunft des Irak, für einen Interessenausgleich im Persischen Golf, für die Frage Libanon – eine ganz wichtige Frage auch für die Sicherheit Israels, wie wir beim letzten Libanonkrieg gesehen haben – und des Ausgleichs mit Syrien und ganz zentral natürlich das israelisch-palästinensischen Konflikts. Billiger ist das nicht mehr zu haben. Ich glaube auch nicht, dass es noch gehen wird, indem man sagt: Also, lasst uns eine Reihenfolge bilden. Wir fangen bei A an und arbeiten uns dann so langsam durch. Durch die neue Situation, die durch die Destabilisierung des Irak entstanden ist und durch die massive Stärkung des Iran hat sich die Situation verändert.
Wenn es gelingt, den zentralen Konflikt mit dem Iran zu begrenzen oder sogar einer Lösung zuzuführen in einem neuen Regionalkonsens, dann – glaube ich – werden all die anderen Konflikte nicht automatisch gelöst, aber die Lösbarkeit dieser Konflikte wird dann wesentlich realistischer sein.
Deutschlandradio Kultur: Es scheint ja, als ob das alles die Aufgabe der Amerikaner wäre, wie Sie es beschreiben. Was hat eigentlich Europa dann im Nahen Osten noch zu suchen?
Joschka Fischer: Wir spielen eine merkwürdige Rolle. Bei der letzten großen internationalen Konferenz, die ja von Präsident Bush angeschoben wurde in Annapolis, da bestand die Situation, dass auf der einen Seite Präsident Bush und die Konfliktparteien die Hauptrolle hatten, bei einer möglichen Implementierung des Friedens allerdings alle sagten: Für Sicherheit brauchen wir die Europäer. Die Amerikaner können es nicht machen. Andere werden zu schwach sein. Wir brauchen die Europäer. Wirtschaftlicher Wiederaufbau: Wir brauchen die Europäer. Institutionen aufzubauen für den palästinensischen Staat: Wir brauchen die Europäer. Überall, wo es um die Umsetzung, um die Durchsetzung einer möglichen Vereinbarung ging, sagten alle, da brauchen wir die Europäer. Die Europäer saßen am Katzentisch.
Warum? Weil wir einfach zu schwach sind, weil wir nicht integriert handeln. In der Währung sind wir heute eine Macht, weil wir eine gemeinsame Währung haben. Im Außenhandel sind wir eine Macht international, weil wir gemeinsam handeln. In der Außen- und Sicherheitspolitik sind wir nach wie vor der gemischte Chor, wo die Abstimmung beim Gesang nicht immer optimal läuft. Das wirkt nicht sehr beeindruckend. Insofern sind wir selber Schuld. Wir spielen dort zum Beispiel im Libanon eine ziemlich wichtige Rolle. Wir spielen auch bei der Stabilisierung der palästinensischen Autonomiebehörde eine zentrale Rolle. Darauf ist Israel auch angewiesen. Auch wenn es früher manchmal Kritik gab, hinter verschlossenen Türen wurde natürlich dann sofort gesagt, ihr müsst das weitermachen, weil wir uns ein Vakuum dort nicht erlauben können. Also, unsere Rolle dort ist nicht zu unterschätzen, aber sie ist aufgrund der nichtexistenten Geschlossenheit, auch der nichtexistenten handlungsfähigen europäischen Institutionen in dem Bereich…
Deutschlandradio Kultur: Und das wird sich nicht wesentlich ändern?
Joschka Fischer: Ich hoffe, dass der Grundlagenvertrag, der Reformvertrag das ändern wird. Wenn er ratifiziert wird, dann wird sich das ein stückweit ändern. Mit dem Verfassungsvertrag hätte es sich definitiv geändert.
Deutschlandradio Kultur: Stichwort Siedlerfrage: Viele sagen, diese Siedlerfrage war eigentlich ein Problem, das wir uns selbst geschaffen haben, wir müssen das beenden. Das können wir aus eigenen Kräften. Dafür brauchen wir nicht die arabischen Nachbarn, wir müssen das selbst tun. Ist das vielleicht ein erster Schritt, der von israelischer Seite aus getan werden muss?
Joschka Fischer: Es ist eine der zentralen Fragen. So, wie auf der palästinensischen Seite die Frage des Terrors, der Gewalt, des Raketenbeschusses, der Sicherheit die zentrale Frage ist, so ist auf der israelischen Seite die zentrale Frage, die zu leisten ist, die Frage der Siedlungen – überhaupt keine Frage. Aber ich sehe nicht, dass die palästinensische Behörde Sicherheit liefern kann. Viele Israelis sagen sich: Wenn wir uns zurückziehen, bedeutet das, dass dann Gewalt und Terror folgen werden, dass wir also nur die Frontlinie zurücknehmen. Solange das der Mehrheitseindruck in Israel ist, selbst bis weit in die Linke hinein, sehe ich nicht wirkliche Fortschritte. Aber Kern sind die Siedlungen.
Auf der anderen Seite ist bei den Palästinensern natürlich die Frage: Wir verlieren, seitdem wir in Oslo den Vertrag ausgehandelt und dann im Rosengarten des Weißen Hauses unterschrieben haben, zunehmend an Territorium. Heißt Frieden für uns nur, dass wir sozusagen nicht lebensfähige Staatsteile bekommen oder einen nicht lebensfähigen Staat? Oder wird man uns wirklich einen Staat geben? Da ist das Misstrauen sehr groß. Das macht sich eben an den Siedlungen fest, wie umgekehrt die Frage der Gewalt und des Terrors die zentrale Frage ist.
Da sehe ich nicht, dass beide stark genug sind, da im Moment groß was liefern zu können, weil sie schlicht und einfach innenpolitisch keinen so starken Rückhalt haben. Für beide Regierungen ist das Risiko, wenn sie scheitern, extrem groß. Wenn die Koalition in Israel etwa bricht, weiß jeder, was die Alternative sein wird. Es wird keine Alternative sein, die links von der jetzigen Regierung ist, sondern eher rechts. Dasselbe gilt beim Scheitern vom Abbas. Man wird es dann nicht mit einer liberalen pro-westlichen palästinensischen Gruppierung zu tun haben, sondern mit Hamas – auch keine Frage.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt die These, dass – so sehr die äußere Bedrohung wirksam ist – es inzwischen auch eine innere Bedrohung gibt, dass das Land so voller Widersprüche ist, dass die Gesellschaft die kaum noch aushält. Ist die innere Bedrohung für dieses Gefüge in der israelischen Gesellschaft so groß, wie des zuweilen beschrieben wird?
Joschka Fischer: Ich sehe nicht, dass das Land an seinen inneren Widersprüchen ernsthaft Schaden nehmen würde. Es macht im Gegenteil die große Dynamik des Landes aus. Israel ist heute eine der modernsten Gesellschaften überhaupt und hat gelernt, auch mit seinen Widersprüchen umzugehen. Also, da – das muss ich ehrlich sagen – mache ich mir weniger Sorgen. Die Frage ist, wie diese tragische Konfrontation zwischen Israel und Palästinensern beendet werden kann. Da gibt es durchaus Anlass zu tiefer Skepsis.
Nachdem ich nicht mehr Außenminister war, hatte ich die Gelegenheit anders zu reisen in die palästinensischen Gebiete, mich mit anderen Menschen da zu treffen, Menschen von der Straße oder pro-westlichen, mittelschichtsorientierten Männern und Frauen, die man als Außenminister so nicht trifft in der spontanen Situation. Die ist nicht herstellbar. Man kann natürlich den Botschafter oder die Ständigen Vertretungen treffen, aber die Atmosphäre ist dort anders. Auch auf der israelischen Seite ist mein Eindruck der, dass große Resignation herrscht, dass bei der Frage der Zweistaatenlösung eine Mischung aus resigniertem Wir-glauben-nicht-mehr-dran und Es-hat-eh-alles-keinen-Zweck existiert. Das ist natürlich nicht zu unterschätzen.
Mein Eindruck ist der, dass der Westen, die internationale Gemeinschaft jedes Interesse dran haben muss, auch die moderaten arabischen Staaten, dass die Zweistaatenlösung uns nicht unter den Händen zerrinnt. Das ist eher die Perspektive der Radikalen, die darauf setzen, dass letztendlich die Demographie zu Lasten Israels entscheiden wird. Das wiederum ist in Israel eine große Sorge. Ich bin eher besorgt, dass Resignation und Hoffnungslosigkeit sich breitmacht und die Radikalen auf beiden das Sagen haben werden. Es wird wichtig sein, dass man deswegen jetzt, wenn die neue amerikanische Regierung gewählt und dann einigermaßen im Amt installiert ist, auch seitens der Europäer alles tut.
Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass die Europäer hier, Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, auch als deutsch-französisches Tandem initiativ werden, um einwirken zu können in der formativen Phase der Bildung der neuen amerikanischen Regierung. Da gibt es eine Phase, da werden die Politiken definiert. Wenn Europa sich darauf vorbereitet und Angebote machen kann, politische Angebote, aber auch dann materielle Angebote, wäre das meines Erachtens extrem hilfreich und könnte damit auch die transatlantischen Beziehungen verbessern. Das gilt auch für andere Teile dieser großen Krisenregion. Man muss jetzt nicht dasitzen und nichts tun.
Ich würde mir wünschen, dass hier die Europäer die Chance nutzen. Die französische Präsidentschaft ist ja eine Chance, die jetzt kommt. Die Franzosen haben da ja durchaus ambitionierte Vorstellungen. Und angesichts der Verbesserungen jetzt im deutsch-französischen Verhältnis, denke ich, könnte das deutsch-französische Tandem hier sehr, sehr wichtige Initiativen innerhalb der Europäischen Union und damit auch mit Wirkung auf die transatlantischen Partner und die regionalen Partner im nahen und mittleren Osten anschieben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Fischer, 60 Jahre Israel, wie lautet Ihr Glückwunsch?
Joschka Fischer: Mein Glückwunsch ist ein Wunsch, dass der Gründungsprozess möglichst bald durch einen Ausgleich und Frieden zum Abschluss kommt. Das ist das, was ich Israel am meisten wünsche und was ich auch den Palästinensern am meisten wünsche. Die Tragödie muss ein Ende haben, weil die Alternative ist, es geht so weiter. Das kann niemand wollen, der sich Sicherheit und Frieden für Israel wünscht und auch Sicherheit und Frieden für die Palästinenser. Das setzt einen Ausgleich voraus. Ich wünsche allen meinen israelischen Freunden und Israel, dass dieser Prozess durch einen Frieden, durch ein Ende von Terror und Gewalt und durch einen Ausgleich mit den Palästinensern und arabischen Nachbarn zu einem positiven Abschluss gebracht werden kann.
Deutschlandradio Kultur: Herr Fischer, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Joschka Fischer: Damals, vor allen Dingen nach dem Sechstagekrieg und unter dem Einfluss auch der innenpolitischen Konfrontation hier, vor allem mit dem Verlagshaus Springer, war die Position, die ich damals hatte, die, dass es einen dritten Weg geben muss, jenseits sozusagen Israel auf der einen Palästinenser auf der anderen Seite. Es gab eine antiimperialistische Begeisterung für die Unterstützung der Palästinenser.
Aber es hat sich sehr schnell rausgestellt, dass dies alles Illusionen waren, vor allem im Zusammenhang mit dem linksradikalen Terrorismus, der Entführung der Air-France-Maschine nach Entebbe Mitte der 70er Jahre, wo junge Deutsche aus Frankfurt beteiligt waren, die dann jüdische von nichtjüdische Passagieren selektiert haben, das heißt, entlang der Pässe aufgeteilt haben. Da war mir klar, dass es sich um Illusionen handelte, und dass letztendlich hinter diesem sogenannten Antizionismus nichts anderes als Antisemitismus stand.
Für mich war die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit, vor allem mit dem Nationalsozialismus, das konstitutive Element meiner Politisierung. Da war für mich auch klar, dass diese Position falsch ist und dass ich mein Verhältnis zu Israel geändert habe. Wir waren damals auch sehr stark an dem Traum einer Einstaatenlösung orientiert, dass Palästinenser und Israelis wirklich in einem Staat zusammenleben könnten. Das waren damals vor allem trotzkistische Linke in Israel, eine kleine Gruppe, die dies vertreten hat, und an der wir uns stark orientiert haben. Aber auch das hat sich als Illusion erwiesen.
Tragischerweise läuft die aktuelle Entwicklung eher in die Richtung, dass die Zweistaatenlösung, nämlich Palästinenser und Israelis jeweils in ihrem eigenen Staat als Nachbarn, Seite an Seite friedlich lebend, mehr und mehr in Gefahr gerät.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch einen Moment bei '68. Das ist dieses Jahr 40 Jahre zurück. Wir haben 60 Jahre Israel. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, die Haltung damals zu Israel, der Antizionismus war nicht unbedingt einem Ruhmesblatt dieser Linken?
Fischer: Nein, das war es definitiv nicht. Vor allen Dingen stand da uneingestandenermaßen das deutsche Erbe dahinter. Das ist manchen erst später klar geworden, mir auch. Aber natürlich gab es da ein uneingestandenes Erbe. Nicht umsonst war die Situation dort die, dass die Rechtsradikalen in dem einen Lager und die linkradikalen RAF-Leute in einem anderen Lager bei der PLO ausgebildet wurden. Spätestens da hätten sämtliche Alarmklingeln angehen müssen. Aber es gab auch Bombenattentate, einen Terroranschlag auf ein jüdisches Altenheim, was mit einer politischen Auseinandersetzung nun sicher nichts zu tun hatte, sondern purer Antisemitismus war ohne jeden Zweifel.
Deutschlandradio Kultur: Israel feiert den 60. Jahrestag seiner Staatsgründung. Es gibt seit Jahrzehnten relativ gute deutsch-israelische Beziehungen. Wie würden Sie das Verhältnis heute beschreiben?
Fischer: Wenn Sie als Deutscher Jad Vashem besuchen, werden Sie unmittelbar mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert. Das ist nicht nur die Tragödie des deutschen und des europäischen Judentums, des jüdischen Volkes, sondern es ist auch die Tragödie der Täter. Ich habe Deutschland, unser Land repräsentiert, gemeinsam mit Bundespräsident und Bundeskanzler im Jahr 2005.
Zum Beispiel war da eine Sitzung der Generalversammlung anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz, wobei dort nicht mehr sehr viele Menschen zu befreien waren. Die waren entweder tot oder starben noch nach der Befreiung aufgrund ihres elenden körperlichen Zustandes oder sind auf den Todesmärschen zu Tode gekommen. Nach der Räumung des Vernichtungslagers Auschwitz wurden die Häftlinge von der SS Richtung Westen getrieben.
Ich war da bei der Generalversammlung. Dort sprach der Vertreter Israels, der Vertreter Polens, der UN-Generalsekretär, all die anderen. Und dann warteten alle auf einen, und zwar nicht auf mich als Person, sondern als Vertreter Deutschlands. Das muss uns klar sein, dieser Teil der Geschichte ist nicht vergangen. Der prägt unser Verhältnis zu Israel und wird es lange prägen.
Deutschlandradio Kultur: Wir hören andererseits aus Israel, die sind inzwischen auch drei Generationen weiter, dass diese prägende Wirkung der Shoah auch als konstitutives Element des Bewusstseins der Israelis, abnimmt. Ist das so?
Fischer: Es transformiert sich von jeder Generation. Ich bin die zweite Generation. Die Generation meiner Kinder oder gar meiner Enkelkinder, wenn die mal erwachsen sind, wird natürlich eine andere sein, ohne jeden Zweifel. Aber verschwinden wird die Verantwortung für diesen schrecklichsten Teil unserer Geschichte, der deutschen Geschichte, in modernen Zeiten nicht. Selbstverständlich tritt mehr und mehr auch Gegenwart und Zukunft in unseren Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in den Vordergrund, was gut, wichtig und richtig ist. Aber es wird immer auch den Bezug zur Vergangenheit geben.
Deutschlandradio Kultur: Wenn der Bezug zur Vergangenheit bleibt, und der muss wahrscheinlich bleiben, sagt aber beispielsweise Moshe Zuckermann, er ist Soziologe an der Uni Tel Aviv, das sei vielleicht auch ein Problem. Denn gerade deutsche Regierungen könnten israelische Regierungen an manchen Stellen überhaupt nicht kritisieren. Ist das die besondere Anormalität der Normalität?
Fischer: Dass Kritik, die von Deutschen kommt, es besonders schwer hat, ist relativ einfach nachzuvollziehen. Da muss man sich doch ernsthaft Gedanken machen. Es ginge uns, wenn wir Israelis wären, genauso. Nach der Devise: Wenn die uns kritisieren, na ja, mit der Vergangenheit, was steckt denn wirklich dahinter?
Im Übrigen stimmt es auch so nicht. Der entscheidende Punkt ist: Die Israelis, wie auch die Palästinenser sind voller Misstrauen gegeneinander und natürlich auch nach außen, weil zu viel Enttäuschung, zu viel Isolierung stattgefunden hat. Das heißt, wenn Kritik wirksam sein soll, dann muss sie auf Vertrauen gründen. Dann, das ist meine Erfahrung, kann man über alles sprechen – vielleicht nicht auf dem großen Marktplatz, aber wenn man die notwendige Sensibilität und das Vertrauen hat, kann man über alles sprechen.
Und ich nehme für mich in Anspruch, das habe ich getan, auch wenn ich sagen muss, dass manche Kritik an Israel - auch bedingt durch das Medienbild, Panzer schießt auf einen mit Steinen Bewaffneten - teilweise falsch dargestellt wird. Ich kenne beide Seiten und weiß auch, was offiziell dargestellt wird, sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite. Israel fühlt sich gerade in Europa oft - zurecht, finde ich - missverstanden, falsch kritisiert. Das hat natürlich das Misstrauen gerade gegenüber europäischer Kritik verstärkt. Ich meine, dass da Deutschland eher eine Vertrauensposition hat, die man klug und auch sensibel nutzen muss.
Deutschlandradio Kultur: Der frühere Botschafter Primor hat dieser Tage drauf hingewiesen, dass im Grunde Israel jetzt nur noch 200 Kilometer von der Europäischen Union entfernt ist durch Zypern, und verspricht sich insbesondere von Deutschland eine Rolle hinsichtlich der Verbindung zur Europäischen Union. Ist das eine Position, die Deutschland gut einnehmen kann?
Fischer: Die haben wir immer eingenommen. Mit "wir" meine ich generell nicht nur eine Bundesregierung, sondern nahezu alle Bundesregierungen. Da gibt es eine lange Kontinuität. Ich habe es erlebt. Ich war teilweise im Europäischen Außenministerrat sehr isoliert. Es gab Zeiten, da war ich fast allein. Aber das hat mich nicht davon abgehalten, die legitimen Interessen Israels zu vertreten, genauso wie wir umgekehrt natürlich, gerade als enge Freunde Israels, immer drauf gedrungen haben zu versuchen, dem Frieden eine Chance zu geben und auch die legitimen Interessen der Palästinenser zu berücksichtigen und zu versuchen, hier mit unseren bescheidenen Möglichkeiten beizutragen, einen Ausgleich herbeizuführen.
Ich freue mich, dass sich in der EU die Lage diesbezüglich geändert hat und dass es heute einfacher ist. Aber es war immer so, dass Deutschland darauf geachtet hat, dass in den EU-israelischen Beziehungen diese Beziehungen nicht erodieren oder sich gar dramatisch verschlechtern, sondern dass sie sich verbessern. Das war nicht immer einfach.
Deutschlandradio Kultur: Aber ohne die Amerikaner geht im Nahen Osten gar nichts.
Fischer: Nein, weil die EU oder gar einzelne europäische Mitgliedsstaaten, das ist ja die große Illusion des Vermittelns etc. in der deutschen Öffentlichkeit, keine Sicherheitsgarantien geben können. Dafür sind wir einfach nicht stark genug, nicht integriert genug im Sektor der Sicherheit. Da geht es wirklich um existenzielle Fragen. Das sehen Sie ja auch daran: Die Araber oder die Palästinenser, die auf der einen Seite immer großen Wert auf Solidaritätserklärungen der Europäischen Räte legen, aber wenn es Ernst wird, wenn es um Verhandlungen geht, fährt man nach Washington – selbstverständlich – und nicht nach Brüssel.
Deutschlandradio Kultur: Nun haben wir ja eine parallele Situation zu der vor ungefähr acht Jahren. Damals hat Präsident Clinton auf den letzten Metern seiner Amtszeit versucht, eine endgültige Friedenslösung hinzubekommen. Jetzt versucht es George Bush. Sind die Chancen jetzt eher schlechter oder eher besser?
Joschka Fischer: Eher schlechter, weil alle drei wesentlichen Akteure erheblich geschwächt sind oder sehr stark geschwächt sind. Bush ist nur noch begrenzt handlungsfähig, wenn man es optimistisch sehen will. Olmert, weiß man nicht, wird er tatsächlich eine Zukunft haben, angesichts der offensichtlich ganz intensivierten Vernehmung seitens der Staatsanwaltschaft? Aber was sind seine Spielräume, selbst wenn er die politische Zukunft hat? Kann er denn tatsächlich das liefern, was Abbas braucht, da gibt es große Zweifel, ohne dass nicht sofort die Koalition dann zerbrechen würde? Und umgekehrt: Abbas ist natürlich durch drei schwere Niederlagen gegenüber Hamas entscheidend geschwächt. Die erste Niederlage bei freien und geheimen Wahlen, die zweite Niederlage im Bürgerkrieg von Gaza und die dritte Niederlage, als es Hamas gelungen ist, mit der Sprengung der Grenzbefestigungen zu Ägypten aus der Isolation auszubrechen. Das darf man nicht unterschätzen, was das heißt.
Selbst wenn sie ein Papier hinbekommen, es soll ja nur ein so genanntes Rahmenabkommen sein, stellt sich die Frage: Was steht da drin? Und zweitens: Welche Bedeutung hat es? Es ist ja beeindruckend, wie wenig das in beiden Öffentlichkeiten, weder in der israelischen, noch in der palästinensischen Öffentlichkeit, wirklich eine Bedeutung hat. Das gab es so in der Vergangenheit auch nicht. In Zeiten, in denen da verhandelt wurde, hatte es eine andere Bedeutung. Insofern gehöre ich da zu den Skeptikern, bin allerdings auch der Meinung, man soll den Prozess unbedingt am Laufen halten – es gibt keinen anderen Weg– und darauf setzen, dass mit der neuen amerikanischen Regierung dann das Interesse an einer regionalen Neuordnung steigt. Das werden die Amerikaner machen müssen, wenn sie aus dem Irak abziehen wollen, ohne ein Desaster anzurichten. Da wird dann auch der israelisch-palästinensische Ausgleich meines Erachtens eine sehr große Rolle spielen.
Die Erfahrung war die: Wenn seitens der USA und anderer internationaler Akteure, aber entscheidend der USA, ernsthafte Anstrengungen einer Lösung unternommen wurden, dass dann – siehe Madrid, die Verhandlungen nach dem Ende des Kalten Krieges, die damals vom Vater des jetzigen amerikanischen Präsidenten und seinem Außenminister Baker begonnen wurden – beide Seiten plötzlich anfangen, sich ernsthaft zu bewegen, weil sie nicht wollen, dass ihnen eine Lösung von außen aufgedrückt wird.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt zwei Schulen. Die einen sagen: Man muss in das Zentrum des Nahost-Konflikts reingehen und sich darauf konzentrieren – Palästina, Israel. Die anderen sagen: Man muss das von der Peripherie her lösen. Die Einflusszonen von Iran, Libanon. Was stimmt?
Joschka Fischer: Beides nicht. Beides ist der alte Nahe Osten. Beides ist durch den Irakkrieg und den Aufstieg des Irans zu einer potenziellen Hegemonialmacht in der Region und damit zu einer Schwerpunktverlagerung Richtung Persischer Golf nicht mehr so richtig. Wir haben heute eine neue Verbindung der verschiedenen Krisen, die sich im Wesentlichen eben durch die Destabilisierung des Irak durch die USA und bei gleichzeitiger Stärkung des Irans ausgedrückt hat. Der Nahost-Konflikt ist nach wie vor ein sehr wichtiger Konflikt, damit ich nicht missverstanden werden, gehört sogar zum Kern des Konflikts, ist aber nicht mehr von dieser Dominanz, wie traditionell. Dennoch, eine regionale Neuordnung, die einen neuen Regionalkonsens der relevanten beteiligten Regionalmächte voraussetzt, wird es nicht geben, ohne dass es einen israelisch-palästinensischen Frieden gibt. Insofern besteht an dem Punkt Optimismus, dass der nächste amerikanische Präsident nicht wie die Vorgänger Clinton und Bush jeweils sieben Jahre gewartet haben bis ans Ende Ihrer Amtszeit oder sechs Jahre im Falle Clinton, sondern dass er das ganz oben ansetzt, weil das zentrale Interesse sein wird, eine Lösung für den Irak und zugleich für den Persischen Golf, für die gesamte Region hinzubekommen.
Deutschlandradio Kultur: Wo müsste denn die neue amerikanische Regierung, wer auch immer sie stellen mag, den Hebel ansetzen, um im Nahen Osten tatsächlich Friedensperspektiven zu eröffnen?
Joschka Fischer: Es ist bekannt heute. Alle sind sehr schnell der Meinung, wie das Endergebnis aussehen muss. Ein etwas leicht modernisiertes Taba. Taba war damals der Badeort auf ägyptischer Seite der Grenze zu Israel, wo in der Endphase der Clinton-Regierung die palästinensisch-israelischen Unterhandlungen weitergegangen sind, bis sie dann nicht mehr weitergingen.
Es läuft im Wesentlichern auf die Grenzen vom Juni 67 hinaus, vor dem 6-Tagekrieg, inklusive Jerusalem mit den dort verhandelten Grenzfragen, inklusive Sicherheit, Wasser. Territoriumsaustausch wird dabei auch eine Rolle spielen. Was man nicht weiß, ist, wie man dort hinkommt. Der entscheidende Punkt wird sein, dass die Supermacht ihre Interessen hier wird vertreten müssen. Ich sage nochmals: Das ist ein regionaler Interessenausgleich, eine Neuordnung dieser Region. Dazu wird man die Mächte, die gegenwärtig blockieren und die Radikalen unterstützen, Syrien und Iran, mit einbeziehen müssen. Einen iranisch-saudischen Interessenausgleich herbeizuführen, wird alles andere als einfach. Da warne ich davor, diese Problematik zu unterschätzen. Und ich denke, man wird anfangen müssen darüber nachzudenken, wie man Hamas einbezieht. Auch das wird ein Faktor werden, wenn man zu einem Interessenausgleich kommen will. Ohne amerikanische Führung wird das nicht gehen. Das ist der entscheidende Hebel.
Deutschlandradio Kultur: Wir wissen, einer von Dreien wird amerikanischer Präsident, entweder Obama, Mc Caine oder Clinton. Welcher wäre mit Blick auf eine Lösung der Vielversprechenste?
Joschka Fischer: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich meine, es reduziert sich mittlerweile auf zwei. Meine Auffassung ist die, dass jeder amerikanische Präsident natürlich die amerikanische innenpolitische Agenda immer klar vor Augen hat. Zwei Jahre nach dem Amtsantritt werden Kongresswahlen sein. Das ist schon mal ein festes Datum. Dann hat er noch ein Jahr und dann beginnt bereits der Wahlkampf für die Wiederwahl. Es wird dauern, bis die neue Regierung sich installiert hat. Also, die Zeitfenster sind relativ eng. Die innenpolitische Agenda sagt sehr klar jedem amerikanischen Präsidenten: Du musst eine Lösung für Irak herbeiführen.
Nun ist weder die Mc Caine Vorstellung, wir bleiben da 100 Jahre, realistisch, ich glaube auch nicht, dass es seiner Politik entsprechen wird, noch die der Demokraten, die sagen, wir wollen ganz schnell abziehen, so dass sich alles darauf konzentriert, eine politische Lösung für diese Anhäufung von Konflikten zu finden, das heißt, sowohl für das Nuklearprogramm des Iran, als auch für die Zukunft des Irak, für einen Interessenausgleich im Persischen Golf, für die Frage Libanon – eine ganz wichtige Frage auch für die Sicherheit Israels, wie wir beim letzten Libanonkrieg gesehen haben – und des Ausgleichs mit Syrien und ganz zentral natürlich das israelisch-palästinensischen Konflikts. Billiger ist das nicht mehr zu haben. Ich glaube auch nicht, dass es noch gehen wird, indem man sagt: Also, lasst uns eine Reihenfolge bilden. Wir fangen bei A an und arbeiten uns dann so langsam durch. Durch die neue Situation, die durch die Destabilisierung des Irak entstanden ist und durch die massive Stärkung des Iran hat sich die Situation verändert.
Wenn es gelingt, den zentralen Konflikt mit dem Iran zu begrenzen oder sogar einer Lösung zuzuführen in einem neuen Regionalkonsens, dann – glaube ich – werden all die anderen Konflikte nicht automatisch gelöst, aber die Lösbarkeit dieser Konflikte wird dann wesentlich realistischer sein.
Deutschlandradio Kultur: Es scheint ja, als ob das alles die Aufgabe der Amerikaner wäre, wie Sie es beschreiben. Was hat eigentlich Europa dann im Nahen Osten noch zu suchen?
Joschka Fischer: Wir spielen eine merkwürdige Rolle. Bei der letzten großen internationalen Konferenz, die ja von Präsident Bush angeschoben wurde in Annapolis, da bestand die Situation, dass auf der einen Seite Präsident Bush und die Konfliktparteien die Hauptrolle hatten, bei einer möglichen Implementierung des Friedens allerdings alle sagten: Für Sicherheit brauchen wir die Europäer. Die Amerikaner können es nicht machen. Andere werden zu schwach sein. Wir brauchen die Europäer. Wirtschaftlicher Wiederaufbau: Wir brauchen die Europäer. Institutionen aufzubauen für den palästinensischen Staat: Wir brauchen die Europäer. Überall, wo es um die Umsetzung, um die Durchsetzung einer möglichen Vereinbarung ging, sagten alle, da brauchen wir die Europäer. Die Europäer saßen am Katzentisch.
Warum? Weil wir einfach zu schwach sind, weil wir nicht integriert handeln. In der Währung sind wir heute eine Macht, weil wir eine gemeinsame Währung haben. Im Außenhandel sind wir eine Macht international, weil wir gemeinsam handeln. In der Außen- und Sicherheitspolitik sind wir nach wie vor der gemischte Chor, wo die Abstimmung beim Gesang nicht immer optimal läuft. Das wirkt nicht sehr beeindruckend. Insofern sind wir selber Schuld. Wir spielen dort zum Beispiel im Libanon eine ziemlich wichtige Rolle. Wir spielen auch bei der Stabilisierung der palästinensischen Autonomiebehörde eine zentrale Rolle. Darauf ist Israel auch angewiesen. Auch wenn es früher manchmal Kritik gab, hinter verschlossenen Türen wurde natürlich dann sofort gesagt, ihr müsst das weitermachen, weil wir uns ein Vakuum dort nicht erlauben können. Also, unsere Rolle dort ist nicht zu unterschätzen, aber sie ist aufgrund der nichtexistenten Geschlossenheit, auch der nichtexistenten handlungsfähigen europäischen Institutionen in dem Bereich…
Deutschlandradio Kultur: Und das wird sich nicht wesentlich ändern?
Joschka Fischer: Ich hoffe, dass der Grundlagenvertrag, der Reformvertrag das ändern wird. Wenn er ratifiziert wird, dann wird sich das ein stückweit ändern. Mit dem Verfassungsvertrag hätte es sich definitiv geändert.
Deutschlandradio Kultur: Stichwort Siedlerfrage: Viele sagen, diese Siedlerfrage war eigentlich ein Problem, das wir uns selbst geschaffen haben, wir müssen das beenden. Das können wir aus eigenen Kräften. Dafür brauchen wir nicht die arabischen Nachbarn, wir müssen das selbst tun. Ist das vielleicht ein erster Schritt, der von israelischer Seite aus getan werden muss?
Joschka Fischer: Es ist eine der zentralen Fragen. So, wie auf der palästinensischen Seite die Frage des Terrors, der Gewalt, des Raketenbeschusses, der Sicherheit die zentrale Frage ist, so ist auf der israelischen Seite die zentrale Frage, die zu leisten ist, die Frage der Siedlungen – überhaupt keine Frage. Aber ich sehe nicht, dass die palästinensische Behörde Sicherheit liefern kann. Viele Israelis sagen sich: Wenn wir uns zurückziehen, bedeutet das, dass dann Gewalt und Terror folgen werden, dass wir also nur die Frontlinie zurücknehmen. Solange das der Mehrheitseindruck in Israel ist, selbst bis weit in die Linke hinein, sehe ich nicht wirkliche Fortschritte. Aber Kern sind die Siedlungen.
Auf der anderen Seite ist bei den Palästinensern natürlich die Frage: Wir verlieren, seitdem wir in Oslo den Vertrag ausgehandelt und dann im Rosengarten des Weißen Hauses unterschrieben haben, zunehmend an Territorium. Heißt Frieden für uns nur, dass wir sozusagen nicht lebensfähige Staatsteile bekommen oder einen nicht lebensfähigen Staat? Oder wird man uns wirklich einen Staat geben? Da ist das Misstrauen sehr groß. Das macht sich eben an den Siedlungen fest, wie umgekehrt die Frage der Gewalt und des Terrors die zentrale Frage ist.
Da sehe ich nicht, dass beide stark genug sind, da im Moment groß was liefern zu können, weil sie schlicht und einfach innenpolitisch keinen so starken Rückhalt haben. Für beide Regierungen ist das Risiko, wenn sie scheitern, extrem groß. Wenn die Koalition in Israel etwa bricht, weiß jeder, was die Alternative sein wird. Es wird keine Alternative sein, die links von der jetzigen Regierung ist, sondern eher rechts. Dasselbe gilt beim Scheitern vom Abbas. Man wird es dann nicht mit einer liberalen pro-westlichen palästinensischen Gruppierung zu tun haben, sondern mit Hamas – auch keine Frage.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt die These, dass – so sehr die äußere Bedrohung wirksam ist – es inzwischen auch eine innere Bedrohung gibt, dass das Land so voller Widersprüche ist, dass die Gesellschaft die kaum noch aushält. Ist die innere Bedrohung für dieses Gefüge in der israelischen Gesellschaft so groß, wie des zuweilen beschrieben wird?
Joschka Fischer: Ich sehe nicht, dass das Land an seinen inneren Widersprüchen ernsthaft Schaden nehmen würde. Es macht im Gegenteil die große Dynamik des Landes aus. Israel ist heute eine der modernsten Gesellschaften überhaupt und hat gelernt, auch mit seinen Widersprüchen umzugehen. Also, da – das muss ich ehrlich sagen – mache ich mir weniger Sorgen. Die Frage ist, wie diese tragische Konfrontation zwischen Israel und Palästinensern beendet werden kann. Da gibt es durchaus Anlass zu tiefer Skepsis.
Nachdem ich nicht mehr Außenminister war, hatte ich die Gelegenheit anders zu reisen in die palästinensischen Gebiete, mich mit anderen Menschen da zu treffen, Menschen von der Straße oder pro-westlichen, mittelschichtsorientierten Männern und Frauen, die man als Außenminister so nicht trifft in der spontanen Situation. Die ist nicht herstellbar. Man kann natürlich den Botschafter oder die Ständigen Vertretungen treffen, aber die Atmosphäre ist dort anders. Auch auf der israelischen Seite ist mein Eindruck der, dass große Resignation herrscht, dass bei der Frage der Zweistaatenlösung eine Mischung aus resigniertem Wir-glauben-nicht-mehr-dran und Es-hat-eh-alles-keinen-Zweck existiert. Das ist natürlich nicht zu unterschätzen.
Mein Eindruck ist der, dass der Westen, die internationale Gemeinschaft jedes Interesse dran haben muss, auch die moderaten arabischen Staaten, dass die Zweistaatenlösung uns nicht unter den Händen zerrinnt. Das ist eher die Perspektive der Radikalen, die darauf setzen, dass letztendlich die Demographie zu Lasten Israels entscheiden wird. Das wiederum ist in Israel eine große Sorge. Ich bin eher besorgt, dass Resignation und Hoffnungslosigkeit sich breitmacht und die Radikalen auf beiden das Sagen haben werden. Es wird wichtig sein, dass man deswegen jetzt, wenn die neue amerikanische Regierung gewählt und dann einigermaßen im Amt installiert ist, auch seitens der Europäer alles tut.
Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass die Europäer hier, Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, auch als deutsch-französisches Tandem initiativ werden, um einwirken zu können in der formativen Phase der Bildung der neuen amerikanischen Regierung. Da gibt es eine Phase, da werden die Politiken definiert. Wenn Europa sich darauf vorbereitet und Angebote machen kann, politische Angebote, aber auch dann materielle Angebote, wäre das meines Erachtens extrem hilfreich und könnte damit auch die transatlantischen Beziehungen verbessern. Das gilt auch für andere Teile dieser großen Krisenregion. Man muss jetzt nicht dasitzen und nichts tun.
Ich würde mir wünschen, dass hier die Europäer die Chance nutzen. Die französische Präsidentschaft ist ja eine Chance, die jetzt kommt. Die Franzosen haben da ja durchaus ambitionierte Vorstellungen. Und angesichts der Verbesserungen jetzt im deutsch-französischen Verhältnis, denke ich, könnte das deutsch-französische Tandem hier sehr, sehr wichtige Initiativen innerhalb der Europäischen Union und damit auch mit Wirkung auf die transatlantischen Partner und die regionalen Partner im nahen und mittleren Osten anschieben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Fischer, 60 Jahre Israel, wie lautet Ihr Glückwunsch?
Joschka Fischer: Mein Glückwunsch ist ein Wunsch, dass der Gründungsprozess möglichst bald durch einen Ausgleich und Frieden zum Abschluss kommt. Das ist das, was ich Israel am meisten wünsche und was ich auch den Palästinensern am meisten wünsche. Die Tragödie muss ein Ende haben, weil die Alternative ist, es geht so weiter. Das kann niemand wollen, der sich Sicherheit und Frieden für Israel wünscht und auch Sicherheit und Frieden für die Palästinenser. Das setzt einen Ausgleich voraus. Ich wünsche allen meinen israelischen Freunden und Israel, dass dieser Prozess durch einen Frieden, durch ein Ende von Terror und Gewalt und durch einen Ausgleich mit den Palästinensern und arabischen Nachbarn zu einem positiven Abschluss gebracht werden kann.
Deutschlandradio Kultur: Herr Fischer, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.