Jona, die Taube

Von Evelyn Bartolmai |
Jona soll das Friedensangebot des Ewigen überbringen, sie nicht für ihre Missetaten, Laster und Sünden zu vernichten.
Er folgt tatsächlich dem Befehl, sich in Bewegung zu setzen, doch anstatt nach Ninive zu wandern und dort zu predigen - verkriecht sich Jona und rennt weg! Genau deshalb wird dieser Text zu Jom Kipur gelesen, denn er enthält eine eindringliche Kritik an menschlicher Schwäche, erklärt Markus Lange, Rabbinerassistent an Jewish Theological Seminary in New York. Denn Jona verweigert sich, der Auftrag des Ewigen ist für ihn keine Ehre, sondern eine Last, die er nicht tragen will:

"Vielleicht ist Jona zu sehr mit sich selbst beschäftigt, ja, und hat Angst um seine eigenen kleinen Dinge in seinem eigenen kleinen Leben und ist nicht in der Lage, über sich selbst hinauszuschauen und zu sagen, ich tue jetzt etwas, das auch für andere gut ist. Und ich glaube, wir alle machen das, im Kleinen und vielleicht sogar auch im Großen, zuhause, wenn große Aufgaben daher kommen, dann laufen wir nicht sofort da hin. Wir sind zögerlich, wir haben Angst, wir wissen nicht, worauf wir uns einlassen. Und Jona ist ein Mensch, und das macht ihn so sympathisch, er ist durch und durch menschlich."

Der Prophet Jona steht nicht allein als Bote eines göttlichen Auftrages, sondern er ist ein Symbol für das gesamte jüdische Volk, das den Auftrag hat, lihijot or legoyim - den Völkern ein Licht zu sein. Und daher ist es ganz und gar kein Zufall, dass in dieser Geschichte als Beispiel für die Verderbnis eine nicht-jüdische Stadt gewählt wird, die durch den Appell des jüdischen Propheten gerettet werden soll. Nicht dass es Verderbnis und Ruchlosigkeit nicht auch in jüdischen Städten gegeben hätte, aber diese bewusste Erweiterung auf den außerjüdischen Bereich steht ja gerade für die Universalität des Jom Kipur. In logischer Fortführung von Rosch haSchana, wo über das weitere Schicksal der gesamten Schöpfung zu Gericht gesessen wurde, vollendet sich das Urteil zu Jom Kipur auch über die gesamte Schöpfung. Aus Liebe zu dieser seiner Schöpfung öffnet der Ewige die Tore des Himmels zur Umkehr in den Tagen bis Jom Kipur, denn Er will ja die Menschen nicht sterben lassen, sondern gibt ihnen immer wieder die Möglichkeit, den schlechten Weg zu verlassen. Deswegen wurde zu Rosch haSchana das Schofar geblasen mit dem Aufruf "Wachet auf, ihr Schlafenden, kehret um zum Allmächtigen, denn Er ist gnädig und barmherzig!" Solange die Tore offen stehen, hat der Mensch die Gelegenheit, sich eines Besseren zu besinnen und mit guten Taten ein hartes Urteil zu mildern.

In seinen Reaktionen auf die Flucht und Verweigerung des unwilligen Propheten Jona ist der Allmächtige allerdings auch sehr konsequent. Und so erfahren wir in der Geschichte, wie Jona in alle möglichen Gefahren gerät, die mehr als einmal sein Leben bedrohen. Das sind die Prüfungen, die der Ewige dem Menschen auferlegt. Und wenn der Ewige Jona nicht sofort ins gewiss nicht unverdiente Verderben fallen lässt, dann deshalb, weil Jona – wie übrigens jeder andere auch - als Einzelner Verantwortung für die gesamte Menschheit trägt. Und wann, wenn nicht zu Jom Kipur und kurz vor der endgültigen Besiegelung des weiteren Schicksals, erinnert der Ewige an diese noch immer uneingelöste Verpflichtung.

"Gott sagt nicht, okay Jona, du bist ein Prophet, der jetzt keine Lust hat, das zu machen, ich suche jemand anderes. Nein, Gott sagt, Jona, ich will dich! Und das ist für mich eine wichtige Sache, die Botschaft hier, Jona, ich habe dich auserwählt für diesen Auftrag, bleib dran! Und Gott gibt Jona eigentlich eine neue Chance, und vielleicht auch mit Widerwillen nimmt Jonah diesen Auftrag dann ein zweites Mal an, und das lernen wir am Ende der Gesichichte, dass er da immer noch störrisch ist, aber Gott sagt, ich bleib dran. Und das passiert zwischen Jona und Gott genauso, wie es passiert zwischen Ninive und Gott, dass Gott ein Interesse am Menschen hat, an jedem Einzelnen, und sagt, wenn ich zu dir sage, kehre zu mir und lebe mit mir, dass Gott immer die Türen offen hat und ein offenes Ohr hat."