John Wray: "Gotteskind"

Glaube und Verblendung

Buchcover des Romans "Gotteskind" von John Wray
Was treibt Menschen an, die ihrer Religion mit Terror zum Sieg verhelfen wollen? - Das fragt John Wray in seinem Roman "Gottestkind". © Altaf Zargar / dpa / Rowohlt
Von Ingo Arend · 29.01.2019
In "Gotteskind" erzählt John Wray von einer jungen US-Amerikanerin, die zu den Taliban überläuft. Der Roman schildert, wie aus aufrichtigem Glauben unmerklich Gewaltbereitschaft wird - und zeigt, dass Wray ein literarischer Virtuose ist.
Gotteskrieger. Das Wort ist zu einer gefürchteten Vokabel der internationalen Politik geworden. Entstanden im afghanischen Bürgerkrieg für die Kämpfer gegen die sowjetische Invasion, bezeichnet es heute alle Menschen, die ihrer Religion mit Bomben und Terror zum Sieg verhelfen wollen. Was treibt sie an?
Mit seinem jüngsten Roman "Gotteskind" belegt der amerikanische Autor John Wray erneut, dass er einer der jüngeren internationalen Autoren ist, die ästhetisch deutlich über den Tellerrand des eigenen Ich hinauszugreifen vermögen.
Schon in seinen ersten drei bislang in Deutschland erschienenen Romanen hatte der 1971 in Washington geborene Autor mit österreichischen Wurzeln drei eigenwillige Charaktere in ganz unterschiedlichen Szenerien und Zeiten erfunden.
Auch in seinem jüngsten Werk gelingt Wray die Konstruktion einer höchst komplexen Welt. In "Gotteskind" lässt er die 18 Jahre alte Amerikanerin Aden Sawyer im Jahr 2001 zusammen mit einem Freund von Kalifornien nach Pakistan aufbrechen.

Action und sensible Introspektion

Wray will das brisante Thema Dschihad aus den Medienklischees lösen. Mutproben, Anschläge und Mord sind zwar Teil seines Plots. Es treten aber auch Mullahs auf, die vor dem Heiligen Krieg mit der Kalaschnikow warnen. Im Kern will der Autor aber die psychische Disposition dazu ausloten: Aden ist unzufrieden mit dem bigotten Leben ihrer muslimischen Eltern in den USA.
Auf der Suche nach dem reinen Glauben landet die als Mann verkleidete junge Frau erst in einer Koranlehrschule in der Nähe des Khyber-Passes. Sie verbrennt ihren Pass und ändert ihren Namen in Suleyman. Erst will sie nur den "heiligen Koran lernen, mit Herz und Verstand".
Dann schließt sie sich doch den Mudschahedin an. Während in New York die Twin-Towers in Flammen aufgehen, entgeht sie in Afghanistan nach einem Luftangriff von US-Truppen nur knapp dem Tod und der Versklavung.

Ein literarischer Virtuose

Wray mischt Ich-Erzählerin und Erzähler, um hautnah nachvollziehbar zu machen, wie aus aufrichtigem Glauben unmerklich Gewaltbereitschaft wird. "Gnädig zu allen. Barmherzig zu jedem" – von Adens dem Koran entlehnten Lebensmotto bleibt am Ende nichts. Die "Darstellung des gläubigen Menschen", die der Autor Daniel Kehlmann an dem anspruchsvoll komponierten, von Bernhard Robben gut übersetzten Buch bewundert, ist dem Autor freilich nur bedingt gelungen.
Dazu fehlt es den Dialogen über Gott, den Koran und die Welt an Tiefe. Und dem Motiv der Geschlechterambivalenz bekommt es nicht gut, dass Wray die erotische Spannung zwischen dem von den Kameraden immer misstrauisch beäugten "Suleyman, dem Anmutigen" und seinem attraktiven Gruppenführer Ziar Khan am Ende kitschverdächtig "im apokalyptischen Dämmerlicht" auflöst.
Wray ist ein literarischer Virtuose. Mühelos wechselt er von der Innen- in die Außenperspektive. Er beherrscht die Action-Logik genauso souverän wie die sensible Introspektion. Und ihm gelingen höchst differenzierte Charaktere.
Dennoch bleibt am Ende nicht viel mehr als die Erkenntnis, dass die hehrsten Vorsätze nicht vor dem Sündenfall schützen. Und ein gescheiterter Gotteskrieger am Ende dann doch ein Gottesglück haben kann.

John Wray: "Gotteskind"
Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Rowohlt, Hamburg 2019
344 Seiten, 23 Euro

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