Als ich zum ersten Mal Herbie Hancock hörte, war das für mich so etwas wie eine Offenbarung.
John McLaughlin wird 80
John McLaughlin bei einem Konzert in Prag 2017 © picture alliance / CTK / dpa / Ondrej Deml
Der schnellste Gitarrist der Welt
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John McLaughlin war ein Wegbereiter des Jazzrock und gilt vielen Kennern als brillantester Gitarrist seiner Generation. Nun wird der Avantgardist und Großmeister, dessen Fingerfertigkeit und Ideenreichtum immer noch erstaunt, 80 Jahre alt.
„Ich bin einfach nur glücklich, wenn mir eine musikalische Idee kommt“, erzählt John McLaughlin. „In gewisser Weise ist das wie bei einem Maler. Ich bin mit ein paar Malern befreundet, und meist wissen sie nicht, was sie als Nächstes machen wollen. Im Großen und Ganzen warten sie auf eine Eingebung und dann legen sie los.“
Er hatte Miles Davis erst 24 Stunden zuvor kennengelernt. Und eins musste man Davis lassen: Er war verdammt spontan. „Wir haben morgen einen Termin“, hatte er nach einem Handshake und ein paar Höflichkeiten gesagt. „Bring deine Gitarre mit.“
Treffen mit dem "Fürst der Finsternis"
Nun stand John McLaughlin am 18. Februar 1969 zusammen mit Davis im New Yorker CBS-Studio und zerbrach sich den Kopf, was der Mann, den so viele den „Fürsten der Finsternis“ nannten, eigentlich von ihm wollte. Bislang hatte er sich für einen ganz annehmbaren Gitarristen gehalten, aber noch nie so auf dem Schlauch gestanden.
„Ich schwitzte am ganzen Körper, und er sagt zu mir: ‚Wieso spielst du nicht so, als könntest du gar nicht Gitarre spielen?’ Und ich denke, will der mich auf den Arm nehmen, sich ein Späßchen auf meine Kosten machen? Was bitte meint er damit, dass ich so spielen soll, als hätte ich’s nicht drauf? Das ist voll Zen, ein Koan.“
Wie klingt eine klatschende Hand?
Ein Koan, das ist eine unlösbare Rätselfrage, die Zen-Meister ihren Schülern stellen, um diese zu tieferer Erkenntnis gelangen zu lassen; eins der berühmtesten Koans lautet: „Du kennst den Klang von zwei klatschenden Händen. Wie klingt das Geräusch einer klatschenden Hand?“
Aber der Witz an Miles Davis’ Koan bestand darin, dass das rote Licht bereits an war – Band läuft. Seine Improvisationen auf Davis’ Album „In a Silent Way“ und dem Nachfolger „Bitches Brew“ sollten John McLaughlin aus dem britischen Yorkshire weltberühmt machen. Und nicht nur ihn, sondern gleich ein ganzes Genre, das Fusion genannt wurde; eine elektrifizierte Kombination von Jazz-, Rock- und Funk-Elementen.
Fusion Jazz – das war Provokation und Reanimation zugleich, und John McLaughlin stand als Galionsfigur an vorderster Bühnenfront. Erst mit Miles Davis, dann mit dem Schlagzeuger Tony Williams und schließlich mit seinen eigenen Bands Mahavishnu Orchestra und Shakti: mal bilderstürmerisch und molto furioso, mal weltmusikalisch, hypnotisch, meditativ.
Ohne Tradition keine Moderne
Musik und spirituelles Leben seien zwei Seiten derselben Medaille, betonte McLaughlin immer wieder. Und natürlich hat der Sohn einer Violinistin nie vergessen, dass es ohne Tradition keine Moderne gibt:
„Die harmonischen Grundstrukturen der europäischen Komponisten haben dem Jazz erst diese Tiefe und Ausdruckskraft verliehen", sagt John McLaughlin.
Herbie Hancock und Bill Evans seien, erklärt McLaughlin, "beide schwerst beeinflusst vom französischen Impressionismus eines Satie, eines Debussy, eines Ravel – die Harmonien, die den modernen Jazz geprägt haben, stammen in direkter Linie von diesen Komponisten.“
Das Risiko des Virtuosen
Als John McLaughlin 1980 mit Al Di Meola und Paco de Lucia das Akustik-Livealbum „Friday Night in San Francisco“ einspielte, galt er als schnellster Gitarrist der Welt – ein Virtuose, der das Hochrisiko lief, als olympischer Affe im Zirkus der Superlative verewigt zu werden.
Heute spielt er auch schon mal mit jungen Talenten Songs des Rappers Pharrell Williams auf der Veranda oder bringt mit seiner neuesten Formation, der 4th Dimension, noch einmal alles zusammen: seine Vorbilder Django Reinhardt, Bill Evans und John Coltrane, Mississippi Blues und Flamenco, kontemplative Trance und psychedelisches Stahlgewitter.
Womöglich steckt auch dahinter ein Zen-Gedanke: Um mit sich selbst eins zu werden, muss man ab und zu auch mal ein paar Welten verschmelzen.