Johan Simons zum Start der Ruhrtriennale

Eine tolle Geschichte einfach erzählt

Ins rechte Licht gerückt: Der niederländische Intendant der Ruhrtriennale, Johan Simons, wollte ein neues Publikum anlocken.
Ins rechte Licht gerückt: Der niederländische Intendant der Ruhrtriennale, Johan Simons, wollte ein neues Publikum anlocken. © dpa / picture alliance / Bernd Thissen
Moderation: Dieter Kassel · 18.08.2017
Der scheidende Leiter der Ruhrfestspiele, Johan Simons, hat für diese letzten Festspiele einen Romanstoff von Don DeLillo auf die Bühne gebracht. Wichtig war dabei für ihn: "Eine tolle Geschichte. Und auch einfach zu erzählen."
Dieter Kassel: Heute Abend wird die Ruhrtriennale in Bochum eröffnet mit einer Operninszenierung. Und ein paar Tage später gibt es dann, wie jedes Jahr bisher, auch eine eigene neue Inszenierung des scheidenden Leiters der Ruhrfestspiele Johan Simons. Er zieht weiter – er bleibt im Ruhrgebieht –, ans Schauspielhaus in Bochum anschließend, aber seine letzte Inszenierung für die Ruhrtriennale ist ein Stück Musiktheater nach einem Roman von Don DeLillo, der sich mit der Finanzwelt beschäftigt. Dafür hat Johan Simons extra intensiv recherchiert, mit einem Finanzexperten geredet, und ich habe ihn deshalb am Anfang unseres Gesprächs gefragt, ob er eigentlich diesen Irrsinn der Finanzwelt inzwischen versteht.
Johan Simons: Nein, überhaupt nicht. Ich verstehe nur etwas davon. Ich habe Bücher darüber gelesen und ich habe mich beraten lassen von Leuten. Aber das ist so wirklich etwas, wo man denkt: Je mehr ich drüber lese, je mehr ich mit Leuten drüber spreche, desto weniger weiß ich davon. Aber es ist natürlich eine Geschichte: In der Geschichte geht es um einen Börsenspezialisten, einen der reichsten Männer der Welt. Er besitzt Milliarden. Und er hat auch noch eine Frau, die auch unglaublich reich ist. Aber das ist altes Geld, es ist altes Familienkapital. Und dann steigt er morgens in seine Limousine und setzt all sein Geld, all sein Familiengeld, all sein eigenes Geld und das Geld der Familien seiner Frau auf den Yen. Er wettet darauf, dass der Yen nach unten geht, aber an diesem Tag geht der Yen nach oben. Damit verliert er all sein Geld, und er bekommt es auch noch zu tun mit einem alten Arbeitsnehmer, der ihn ermorden möchte - und genau das geschieht auch am Ende. Es ist eigentlich die Geschichte von Ikarus, also: Ich denke, ich kann alles tun, was ich möchte, und an einem Tag verliere ich alles. Also es ist einfach eine tolle Geschichte. Und auch einfach zu erzählen.
Kassel: Ja, das sagen Sie jetzt gerade selber. Ich wollte es etwas anders formulieren, aber nicht nur diese Geschichte, wie sie Don DeLillo sich ausgedacht hat für seinen Roman, sondern auch die Geschichten, die wir aus der Realität, aus Zeitungen, aus dem Fernsehen kennen über diese Finanzwelt – eigentlich ist das doch schon großes Theater, auch ohne, dass man als Künstler da noch mal drüber geht.

Bei der Ruhrtriennale funktioniert Oper sehr gut

Simons: Ja, das ist großes Theater, aber wohl ein Theater von sehr schlechter Qualität.
Kassel: Dass Sie nun gerade aus einem Roman eben kein Sprechtheater gemacht haben, sondern ein Musikstück – das ist mein Eindruck –, ich habe nicht nachgezählt, aber mein Eindruck ist, auch schon aus den beiden vergangenen Jahren Ruhrtriennale, aber auch aus dem Programm von diesem Jahr, dass da doch Inszenierungen, die entweder reine Musikinszenierungen sind oder wo Musik eine Rolle spielt, eine gewisse Dominanz haben im Vergleich zum reinen Wort. Ist das auch diesen doch zum Teil auf positive Art und Weise sehr speziellen Veranstaltungsorten geschuldet, dass Sie sagen: Da braucht man den großen Klang, das große Event?
Simons: Ja, denn die Orte sind so groß, da braucht man auch irgendwo große Sachen. Darum funktioniert auch - finde ich - Oper meistens sehr gut in der Ruhrtriennale.
Kassel: Ist das auch so ein Spagat, wenn man so große Orte füllen muss, wenn man das hinkriegen muss, an so vielen Stellen einen Spagat zwischen Innovation, zwischen progressiver Kultur, zwischen Hochkultur, aber auch zwischen dieser massentauglichen Eventkultur?
Simons: Nein, nein. Da braucht man überhaupt … Ich habe nie in meinem Leben eine Konzession gemacht, was das anbelangt, denn ich bin selber aus sehr einfachen Verhältnissen. Also ich wusste überhaupt nichts von Kunst als Kind. Ich war sehr gläubig und protestantisch auch, und der einzige Komponist, den ich kannte, war Bach, aber ich wusste überhaupt nicht, dass Bach so berühmt war. Ich fand nur, wenn ich Bach hörte, da dachte ich: 'Oh, schöne Musik!' Und später habe ich entdeckt, wie wichtig Bach gewesen ist in der ganzen Musikgeschichte, und vieles, was in meinem Leben auf mich zugekommen ist, habe ich Leuten zu verdanken, die einfach mehr wussten als ich und die mich an der Hand mitgenommen haben in eine Welt, in eine an vielen Gedanken reiche Welt. Also das könnte jedermann: Ich meine, ich wohne in einem Dorf in Holland, wirklich ein kleines Dorf, und mir gegenüber wohnt eine Bauersfrau, die nehme ich manchmal auch mit, und ich bin immer überrascht, was sie für Sachen versteht und welche Sachen nicht. Es gibt auch Sachen, die sie nicht versteht, aber manchmal gibt es auch totale Überraschungen, dass man denkt: 'Wow, das ist schön, dass sie das alles verstanden hat oder auf jeden Fall den Genuss gehabt hat, mal die große Kunst zu hören, zuzugucken.' Also ich finde es manchmal ein bisschen arrogant, wenn man denkt: 'Ich gehe jetzt mal Theater machen für Leute, die niemals ins Theater kommen. Das ist auch eins meiner Credos: Theater machen für Leute, die niemals ins Theater kommen, aber da muss man wirklich keine einzige Konzession machen. Das geht nicht - Konzessionen!

Musik bringt uns auf eine Ebene, wo man sich freut

Kassel: Sie haben im Vorfeld auf Pressekonferenzen bei Interviews davon gesprochen, dass ja viele Menschen – ich glaube, Sie selber auch – den Eindruck haben, die Welt sei aus den Fugen geraten im Moment. Es passiert so viel, was gefährlich wirkt, was wir teilweise nicht verstehen. Ich meine nicht nur die Finanzwelt, über die wir schon sprachen. Also Sie haben gesagt, Sie wollen auch Trost spenden. Ich glaube, da sind Sie von einigen Kritikern missverstanden worden: Trost heißt für Sie aber nicht Eskapismus...
Simons: Nein, natürlich nicht. Das hat nichts…
Kassel: Aber wie kann Kunst trösten auf so einem Festival?
Simons: Musik bringt uns auf eine Ebene, wo man sich freut und tief betrübt darüber sein kann, dass die Welt so ist wie die ist. Also, das finde ich trostreich. Trostreich ist nicht nur Freude, trostreich ist auch das doppelte Verhältnis, was wir haben mit dem Tod. Ich meine: Wenn jemand beerdigt wird, ein sehr guter Freund, dann ist das zum Teil schrecklich, bewegend vielleicht, aber es ist immer auch etwas Großartiges darin, dass man dicht an seine Gefühle kommt, dass man versteht, dass der Tod immer anwesend ist im Leben. Das hört sich alles ein bisschen schwer an, aber das denke ich auch über diese Cosmopolis: Menschen denken manchmal, dass sie das ewige Leben haben, viele denken das eigentlich und das kann man auch denken, aber man muss auch immer wieder wissen, dass es nur zeitbegrenzt ist.
Kassel: Wenn man jetzt wie Sie ein solches Festival organisiert hat, bespielt, möchte ich das mal so nennen, mit so speziellen Orten, die ganz andere Formen erfordern, wenn man dann wieder an ein, von der Form her, vom Raum schlicht, ja doch klassisches Theater geht, wenn auch ein ganz besonderes in Bochum, können Sie eigentlich etwas, das Sie bei der Ruhrtriennale gelernt haben, mitnehmen jetzt ans Schauspielhaus?
Simons: Ja. Das Schauspielhaus ist für mich auch ein Traum, und der Traum kommt dort her, das sagt der neue Intendant immer, wenn man irgendwo neu hingeht, dann ist es immer ein Traum. Aber dieser Traum ist ein existierender Traum, denn ich bin früher als Student nach Berlin gefahren, um die Schaubühne anzugucken - damals mit Peter Stein. Oder ich bin nach Bochum gefahren, um mir die Regisseure hier -o wie Claus Peymann oder Peter Zadek - anzugucken. Also wenn dann die Frage kommt: Möchtest du mal Intendant werden in Bochum - die ich mit "Ja!" beantwortet habe -, dann komme ich eigentlich in ein Haus, das ich besser kenne aus dem Zuschauerraum, und ich komme eher guckend auf die Bühne, als dass ich auf der Bühne stehe und in den Zuschauerraum gucke. Jetzt ist natürlich mein Job, dass das, was auf der Bühne geschieht, aufregend sein muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Wir berichten in der Sendung Fazit am 18. August von 23.05 Uhr an live von der Ruhrtriennale.

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