Jogis Geheimnis

Auf der Grundlage eigener Aussagen des Bundestrainers sowie seiner Bekannten und Verwandten versucht Bausenwein, sich dem Fußballverständnis von Joachim Löw anzunähern. Aus dem Mosaik zahlreicher Gedanken entsteht ein Traum - der Traum vom perfekten Spiel.
Der jüngste Aufschwung des deutschen Fußballs ist ohne Joachim Löw kaum denkbar. Aber wie entschlüsselt man das Geheimnis, wenn sich der Vater des Erfolgs nicht greifen lässt? "Was er wirklich denkt und fühlt, kann man kaum erkennen", sagt DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth, einer von Löws langjährigen Weggefährten. "Irgendwie bleibt er immer unverbindlich, auch wenn er verbindlich wirkt."

Als erfahrener Hersteller von Biografien hat Christoph Bausenwein so ziemlich alle Informationen über Joachim Löw zusammengetragen, die es auf dem Markt gibt. Zwar hat er auch selbst mit Löw gesprochen, aber der Großteil der Zitate stammt aus Interviews, die andere geführt haben. Aus dieser detektivisch genauen Presseschau, erweitert um zahlreiche persönliche Begegnungen mit Bekannten und Verwandten des Bundestrainers, deutet der Autor Löws Traum vom perfekten Spiel. Das macht Bausenwein nicht schlecht.

Im Sommer 2004 lag der deutsche Fußball am Boden. Bei der EM-Endrunde in Portugal war die Mannschaft bereits nach der Gruppenphase ausgeschieden. Teamchef Rudi Völler trat zurück. Nachfolger wurde Jürgen Klinsmann, sein Assistent Joachim Löw, mit dem er vor Jahren zusammen den Trainerschein gemacht hatte. Im schwerfälligen Apparat des Deutschen Fußballbunds blieb kein Stein auf dem anderen. Jürgen Klinsmann war das Gesicht der Fußballrevolution: Statt Verwaltungsfußball sollte in Zukunft schnell, offensiv und direkt gespielt werden. Dazu musste aber das gesamte veraltete Konzept der Fußballausbildung umgekrempelt werden. Eine Herkulesaufgabe. Strategischer Kopf der Mission war von Anfang an Joachim Löw.

Löw war zu dieser Zeit, im Sommer 2004, fast vergessen. Ein mittelmäßiger Ex-Fußballprofi, der auch als Trainer kaum Erfolg hatte. Unterbrochen von langen Phasen der Arbeitslosigkeit hangelte sich Löw von Engagement zu Engagement. Er arbeitete viel im Ausland: in der Türkei, in der Schweiz und in Österreich. Bausenwein macht sich die Mühe, alle Stationen nachzuzeichnen. Deutlich wird, dass Löw trotz der Widerstände immer beharrlich an seiner Idee vom riskanten, technisch anspruchsvollen Hochgeschwindigkeitsfußball festgehalten hat. Überall ist der introvertierte Badener mit seiner Spielphilosophie der Zeit voraus.

Die Misserfolge, Zerwürfnisse und Entlassungen haben Löw für seine Aufgabe beim DFB gestählt. Spätestens nach der WM 2006 in Deutschland, dem legendären Sommermärchen, als Löw Klinsmann in der Chefposition beerbte, ist aus dem netten Jogi ein knallharter, akribisch arbeitender Herr Bundestrainer geworden. Seiner Vision vom attraktiven Fußball ordnet der Fußballfachmann Löw alles unter. Wie fundiert sein Konzept ist, arbeitet Bausenwein im letzten Teil des Buches mit vielen konkreten Beispielen zu Löws Taktik- und Spielverständnis heraus.

Persönliches weiß man kaum; abgesehen davon, dass er zum Espresso gern eine Zigarette raucht, sich schick kleidet und öfter auf hohe Berge klettert. Löw schottet sich und sein privates Umfeld so weit wie möglich ab. Auch Bausenwein kann da wenig Neues beisteuern. Aber das ist auch gar nicht nötig. Es ist für das Verständnis der Besessenheit, mit der Joachim Löw daran arbeitet, den Fußball zu verbessern, völlig unerheblich.

Besprochen von Thomas Jädicke

Christoph Bausenwein: Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011
351 Seiten, 24,90 Euro