Joghurt-Kulturen unter Aufsicht

Von Alexandra Wrann · 11.10.2013
"Koschere" Frischmilch, Joghurt, Quark und Käse konnten orthodoxe Juden, die in Deutschland leben, sonst nur aus dem Ausland beziehen. Deshalb haben sie sich mit einem Bauern in Schleswig-Holstein zusammengetan, der sich an die jüdischen Reinheitskriterien hält.
"Das ist jetzt schon heiß auf 96 Grad …, das ist jetzt … 96,4 da glaub ich oder 5."

In weißen Gummistiefeln und weißer, dicker Schürze aus wasserdichtem Kunststoff steht Milchbauer Hans-Hinrich Kruse neben dem Stahl-Bottich und liest die Temperatur am kleinen runden Thermometer neben dem Rohr ab. Literweise Wasser fließt aus dem Rohr in die große Tonne.

Fast kochen muss das Wasser, um das gesamte Leitungssystem der kleinen Molkerei hygienisch-rein zu spülen. Jeden Tag reinigt Bauer Kruse die Rohre. Doch heute muss er besonders gewissenhaft arbeiten - denn er wird beobachtet: Zwei Schritte weiter steht Aleksander Krush. Im schwarzen Anzug, die schwarzen Schuhe in blauen Plastik-Überziehern, verfolgt der Mann mit den krausen Locken, dem Hut und dem schwarzen Bart das Geschehen.

Krush ist Maschgiach - ein jüdischer Beauftragter, der die Einhaltung der jüdischen Speisegesetze kontrolliert. Jeden Sonntag um sechs Uhr besucht er Bauer Kruse in seiner Molkerei. Denn Kruse ist der einzige Landwirt in Deutschland, der koschere Frischmilch für die jüdische Gemeinde in Deutschland produziert.

Besonders wichtig: 24 Stunden lang durfte die Anlage nicht benutzt werden und muss nun gründlich gereinigt werden, erklärt Maschgiach Krush.

"Wir müssen trennen die koschere von nicht-koschere Milch und deswegen wir müssen erst einmal das ganze System ganz sauber haben ohne die Reste von Milch von letzte Produktion."

Mit einer großen Spülbürste schrubbt Bauer Kruse die mit heißem Wasser gefüllten 20-Liter-Milch-Kannen. Das oberste Gebot, die Reinheit, das ist für Kruse keine Besonderheit. Hygienisch sauber, das betont er, ist seine Anlage immer. Ganz egal, ob koschere oder nicht-koschere Milch abgefüllt wird. Problematisch war anfangs dagegen die 24-stündige Ruhezeit der Anlage, denn …

"Gemolken wird sowieso, 365 Tage. Die Milch, die wir nicht verarbeiten, geht zu einer großen Molkerei und wir versuchen das durch die Erfahrung am Freitagnachmittag zu machen, wie für Eisdielen ein bisschen im Voraus zu produzieren. Das kann man machen."

Große Gewinne fährt Kruse mit der koscheren Milch nicht ein, der Preis, 1,20 Euro pro Liter, unterscheidet sich kaum vom nicht-koscheren Produkt. Für die orthodoxen Juden ist Kruses Arbeit dagegen viel wert. Frischmilch, Joghurt, Quark und Käse konnten sie sonst nur aus dem Ausland beziehen, aus Belgien etwa oder Frankreich.

Dass seine Arbeit auf Schritt und Tritt begleitet wird - das war auch für Bauer Kruse anfangs neu.

"Zuerst wars gewöhnungsbedürftig, weil immer eine Person hinter einem stand.. Aber das ist ja nichts Schlechtes, man hat ja nichts zu verbergen, bloß, dass man aufpassen muss, dass wenn man rückwärts geht, dass man nicht gegen ihn läuft."

Inzwischen ist das Vertrauen in Kruses Arbeit so groß, dass Maschgiach Krush nicht mehr jeden Handgriff beaufsichtigt - stattdessen hilft er mit. Er gießt die großen Kannen aus und spült sie noch einmal durch.

"SK" steht für "Super-koscher"
Landwirt Kruse dreht den Hahn am Tank auf, die Milch plätschert in den Edelstahl-Bottich. Mit einer großen Kelle schöpft er die Flüssigkeit in die Kannen. Koscherer Joghurt soll aus der Milch entstehen. Aus dem Tiefkühlfach im kleinen Kühlschrank nebenan, zieht Bauer Kruse eine Plastiktüte - die Joghurt-Kultur. "SK" steht auf der Verpackung: "Super-koscher". Das bedeutet, diese Milchsäurebakterien wurden unter Aufsicht eines Rabbiners gezüchtet, ihr Ursprung kann genau zurückverfolgt werden.

Mit einer kleinen Waage messen Kruse und Krush die Menge ab. Kleine, weiße Klümpchen rieseln in eine Petrischale. Gleichmäßig verteilt Aleksander Krush die gefrorenen Flocken auf die zehn Milchkannen.

Auch bei der Käse-Herstellung musste Kruse umdenken. Statt tierischem Lab, wie es die meisten Käsereien verwenden, setzt er nun mikrobielles Lab ein, damit die Milch gerinnt, eindickt und schließlich zu Käse reifen kann. Es wird aus Schimmelpilzen gewonnen, tierisches Lab dagegen stammt aus dem Labmagen von Kälbern. Milch und Fleisch aber - das gehört in der jüdisch-orthodoxen Küche getrennt.

Bevor er aufbricht, schaut Maschgiach Krush noch kurz bei den Kühen vorbei. Im Melkstand nebenan stehen 24 Tiere, 12 auf jeder Seite, über Saugpfropfen an ihren Eutern wird die Milch abgepumpt.

Der Maschgiach schreitet den Mittelgang entlang, schaut prüfend auf Hinterläufe und Euter der Tiere. Auch hier gilt: Fleisch und Milch dürfen nicht miteinander in Kontakt kommen. Ein verletztes Euter, aus dem Blut in die Milch gelangen könnte - das ist tabu. Dem Maschigach genügt ein kurzer Blick.

"Das ist erst mal genug. Ich bin kein Fachmann, aber ich weiß, vom deutschen Gesetz müssen auch die Tiere gesund sein, bevor die Milch auf den Markt kommt, deswegen verlassen wir uns an der Stelle auf das deutsche Gesetz."

Und auf die guten Erfahrungen mit Bauer Kruse. Er tritt auf den Hof und geht Richtung Auto - natürlich mit zwei Kannen besonders frischer koscherer Milch unter dem Arm.
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