Jochen Schimmang: "Altes Zollhaus"

Ein Blick auf die alte BRD

Mit Schimmang lernt man, das Kleine, Unbedeutende, zu lieben
Ein Roman über Freundschaft, Alter und das Verschwimmen von Zeiten und Grenzen. © picture alliance / dpa / Gero Breloer / Nautilus
Von Jörg Magenau · 28.02.2017
Mit seinem neuen Roman "Altes Zollhaus, Staatsgrenze West" schreibt Jochen Schimmang weiter an seiner Chronologie der Bundesrepublik. Mit ihm lernt man, das Kleine, Unbedeutende, Mode-Abgewandte zu lieben – und darin das Leben. Keine Seite ist langweilig!
Gregor Korff war einer, "der sich immer gerne am Rand aufgehalten hat". Wichtiger als seine maoistische K-Gruppe war ihm schon Anfang der 70er-Jahre das Fußballspielen. Und auch als er Berater eines CDU-Ministers in Bonn wurde, blieb er lieber unsichtbar. Gregor Korff war der stille Held in Jochen Schimmangs Roman "Das Beste, das wir hatten" aus dem Jahr 2009, einem Abgesang auf die gute, alte Bundesrepublik und die 80er-Jahre. Sein neuer Roman "Altes Zollhaus, Staatsgrenze West" knüpft daran an, aber man muss das Frühere nicht kennen, um sich darin wohlzufühlen.
Korff hat nun tatsächlich die Randlage erreicht, die ihm schon immer entsprach. Im fiktiven Örtchen Granderath an der holländischen Grenze hat er ein altes Zollhaus erworben. Von da aus beobachtet er die Welt, die ziemlich klein und überschaubar ist, so wie das flache Land am Niederrhein. Doch seine Erinnerungen und seine Träume führen zu verschiedenen Grenzerlebnissen, die ihn prägten: Die erste Auslandsreise mit den Eltern in die Schweiz, Jahre des Herumziehens in Europa, die innerdeutsche Grenze (die in einem seiner Träume in einer modernisierten Version erscheint), oder Ereignisse aus dem Herbst 1977, als per Hubschrauber nach Terroristen gefahndet wurde. Schimmang ist auch in diesem Roman ein leiser Chronist der Bundesrepublik, der an den eigenen Lebensstationen entlang erzählt.
Das Verhältnis von Peripherie und Mitte, Provinz und Großstadt treibt ihn um. "Zentrale Randlage" hieß eine von ihm herausgegebene Anthologie für Städtebewohner, "Grenzen Ränder Niemandländer" ein 2015 erschienener Essay- und Fotoband, während sein voriger, in der Zukunft spielender Roman "Neue Mitte" in der Hauptstadt Berlin angesiedelt war. Wer genau las, fand dort in einer Regierungsbibliothek ein Buch von Gregor Korff mit dem Titel "Das Sonja-Komplott".

Unaufgeregter Ton und sparsame Handlung

Das spielt nun im neuen Roman insofern eine Rolle, als Korff damit wohlhabend geworden ist, obwohl er es gar nicht selbst geschrieben hat. Aber es enthält seine Liebes-Geschichte mit Sonja, die sich als Stasi-Spitzel herausstellte. Schimmang liebt derlei literarische Querverweise und werkimmanente Verschachtelungen.
Und er bevorzugt einen verhaltenen, unaufgeregten Erzählton und sparsame Handlungsführung. Obwohl wenig Spektakuläres geschieht, ist keine Seite langweilig. Die Grenzregion bietet seltsame Figuren vom Rand der Gesellschaft: Da ist ein ehemaliger Doppelagent für BND und DDR, der sich mit Arno Schmidt beschäftigt und einen Roman aus nichts als Zitaten montieren möchte. Mit ihm wird die Geheimdienstthematik aus "Das Beste, das wir hatten" fortgesetzt. Oder da ist der junge Mann, der über den NS-Juristen Carl Schmitt promoviert und Rat bei Korff sucht. Und da sind die zwei märchenhaften Kinder, die sich auf ihrem Weg durch Europa für eine Nacht bei ihm aufhalten und wie verirrte Engel wirken.
Korff, anfangs ein misanthropischer Weltflüchter, freundet sich mit ihnen allen an, öffnet und verwandelt sich dabei und bleibt so trotz ortsfester Lebensweise in Bewegung. Seine Wandlung ist auch die Konsequenz dessen, dass er alles aufschreibt, was ihm widerfährt. So wird ihm die Gegenwart kostbar, auch wenn er als älterer Herr nicht mehr viel zu tun hat. Mit Schimmang lernt man, das Kleine, Unbedeutende, Mode-Abgewandte zu lieben – und darin das Leben.

Jochen Schimmang: Altes Zollhaus, Staatsgrenze West
Edition Nautilus, Hamburg 2017
190 Seiten, 19,90 Euro

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