Jiddische und deutsche Musikkultur

Von Wolfram Nagel · 15.07.2011
Beim Festival "Yiddish Summer Weimar" gibt es Meisterkurse, Jam-Sessions, Symposien und Teilnehmer aus aller Welt, die diesmal vor allem eines vereint: Sie wollen die Verknüpfungen zwischen jiddischer und deutscher Kultur in der Musik erkunden.
Die Musikschule Ottmar Gerster in Weimar am Nachmittag. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag versammeln sich Teilnehmer des Yiddish Summer zu den Workshops.

So auch Manuala Becker aus Freiburg. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit jiddischer Sprache, Kultur und Musik. Sie ist Fördermitglied der liberalen Jüdischen Gemeinde und unterrichtet an der Freiburger Uni im Fach Judaistik.

Manuala Becker: "Mich hat das eben gereizt, weil ich nirgends so wie hier so viel Input erfahre ... sowohl Sprache, als auch intensive Arbeit am musikalischen Fortkommen und eben den ganzen kulturellen Aspekt."

Ester Bratschko: "”Es ist eine Musikrichtung, in der man sich sehr emotional ausdrücken kann, was in anderen Musikformen nicht so leicht zu finden ist. Und das spricht mich sehr an auch einfach von der Tonsprache.""

Sagt Ester Bratschko, die in Wien Germanistik studiert. Und nebenbei singt sie jiddische Trinklieder, Liebeslieder oder auch Tanzlieder.

Bratschko: "Ich bin über Klezmer dann zum Lied gekommen und auch die jiddische Sprache kann für mich sehr viel transportieren. Auch, wenn ich sie eigentlich nicht sprechen kann, sondern nur singe. Es klingt sehr schön, es eine sehr tiefe emotionale Ebene."

In Weimar gibt es jiddische Sprachkurse, Kurse für jiddische Tänze, Einführungsseminare für Klezmer und die jiddische Kultur insgesamt. Und sogar ein Meisterkurs für das jiddische Kunstlied wird angeboten. Doch passend zum Leitthema "Ashkenaz" befassen sich Dozenten und Studenten in dieser Woche mit dem jiddischen Lied vom Mittelalter bis heute.

Alan Bern: "Und drei Themen sind Ashkenaz 1, nämlich deutsch-jiddisch, diese deutsch-jiddische Kultur, und dann Ashkenaz 2, osteuropäisch-jiddisch, und Ashkenaz X, nämlich jetzt die Gegenwart, und was haben diese drei Sachen überhaupt miteinander zu tun."

Sagt Alan Bern, der Spiritus-Rektor des Weimarer Lern-Festivals und musikalischer Leiter der Klezmer-Band Brave Old World. Der Musiker aus Blumington in den USA lebt seit 1987 in Deutschland. Er studierte zeitgenössische Musik und vertont auch jiddische Lieder. Wie das Gedicht "In Spuren von Libschaft" der israelischen Dichterin Rifka Basman, das Teilnehmer des Workspops einstudieren.

Den Klang der jiddischen Wörter hat Alan Bern zum ersten Mal bei seinen Eltern gehört. Die Großeltern stammen aus Besarabien und Lemberg. Dort war Jiddisch Umgangssprache.

Alan Bern: "Meine Eltern haben beide jiddisch gesprochen unter sich, haben immer gestritten, weil sie zwei unterschiedliche Dialekte gesprochen haben, aber die haben Jiddisch gesprochen, wie ganz ganz viele ... damit die Kinder sie nicht verstehen, also es war ein Code, eine Geheimsprache unter sich. Nichtsdestotrotz: Ganz viele Klänge waren mir vertraut als ich nach Deutschland kam, weil Jiddisch ja Ursprünge in der deutschen Sprache hat."

Für Alan Bern ist es wichtig, sich endlich einmal mit diesen Ursprüngen zu beschäftigen, zumal in Weimar, Stadt der Dichter und Philosophen. Entstanden ist Jiddisch schließlich in Ashkenaz, in Deutschland, noch vor den großen Pogromen des Mittelalters.

Alan Bern: "Wir haben in dieser Woche einige Doktoranden von den besten Judaistik-Programmen in den USA, die nach Weimar kommen, um etwas zu lernen, was sie sogar in den USA nicht lernen können. Und die Dozenten, die hier unterrichten, sagen immer, das Erste was auffällt ist das Niveau der Teilnehmer, und wie ernst. Wir fangen an jeden Tag spätestens um 9.30 Uhr, und wir machen nie vor Mitternacht Schluss."

Avery Gosfield: "”Es ist Musik aus dem 16. Jahrhundert. Wir haben Texte, aber keine Noten für die Musik. Aber es gibt viele vergleichbare Lieder in der Literatur. Wir haben jetzt eines der jiddischen Stücke gehört, für das wir eine neue Melodie gefunden haben, man kann sagen, eine neue Komposition für den alten Text.""

Sagt die Flötistin Avery Gosfield. Sie ist in Philadelphia geboren, lebt aber in Europa. Ihr Spezialgebiet ist die jüdisch-italienische Kultur seit dem 16. Jahrhundert. Konzerte und Vorträge führen sie um die ganze Welt. Hier in Weimar leitet sie den Workshop Ashkenaz eins für das ursprüngliche jiddische Liedgut.

Itzik Gottesman: "Mein Interesse, was ich forsch, jiddische Volkslieder, von ältere Singers Volkslieder ... das ist mein Forschinteress ... jiddische Volkslieder."

Der Musik-Ethnograph Itzik Gottesman leitet den Liedworkshop für Fortgeschrittene im Themenbereich Askenasz zwei, also die jiddische Musik-Kultur Osteuropas. Die Sprache beherrscht er fließend, - kein Wunder, ist er doch Mitherausgeber des "Forverts", einer 1897 gegründeten jiddischen Wochenzeitung in den USA.

Itzik Gottesman: "Un es is ned nur a New Yorker Zeitung, s is a internationale Zeitung. Jiddisch wird geschrieben mit de Buchstaben von hebräisch. Das is a problem. Die russisch Jidden, die verstehen jiddisch, und sie können sprechen jiddisch, aber sie können nicht leijsn jiddisch ... a Radioprogramm verstehen se."

Und eben auch jiddische Lieder, wie "Af die grine felder" aus der Bukowina. Wehmütig erzählt es von einem toten Soldaten auf dem Schlachtfeld und von einem schwarzen Vogel, der nach Hause fliegen soll, weil niemand Kaddish für ihn sagen kann?

Alan Bern: "Dass es eine Gruppe von jungen Menschen gibt, die diesen Stil singen können, ist erst seit zwei Jahren hier in Weimar möglich. Es ist tatsächlich eine Wiederbelebung eines Stils, der ganz tief mit jiddischer Kultur und jiddischen Musik zu tun hat. Und ich finde es einfach sehr sehr schön, dass jetzt diese Übergabe von dem Askenaz 2 Team, dass das ihnen gelungen ist, diesen Stil zu übertragen auf jüngere Menschen. Dadurch lebt diese Musik weiter."

Eine Musik, die in allen Zeiten von vielen äußeren Einflüssen geprägt wurde, sagt Alan Bern. Die moderne jiddische Musik und auch Klezmer schöpfen ohnehin vom Jazz, von der Balkanmusik oder vom traditionellen Kunstlied. Und so kann man im Workshop Ashkenaz X sogar hören wie sich ein deutsches und ein jiddisches Volkslied vermischen.

Alan Bern: "Und Ashkenaz X ist einfach die Auseinandersetzung, alles, was jetzt passiert in der Rezeption und Produktion von jiddischer Kultur in Deutschland , wobei wegen der Globalisierung, muss man auch sagen, das was in Deutschland passiert ist, immer nur ein Knotenpunkt unter ganz vielen, was sich auf der ganzen Welt entwickelt."

Und der Yiddish Summer sei eben eine der wenigen Möglichkeiten in Deutschland und auch weltweit, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, sagt Alan Bern. Er wünscht sich allerdings mehr Resonanz aus den jüdischen Gemeinden.

Schließlich lebten dort viele alte Zuwanderer, die sich noch an die jiddische Tradition erinnern, und auch junge Leute, die wieder jiddisch lernen könnten. Und so träumt der Initiator des Festivals nun davon, neben dem Yiddisch Summer eine Akademie in Weimar zu gründen, an academie for other Music, wie er sagt, für jiddische Musik und Kultur.