Jiddische Jamsessions in Weimar

Von Ulrike Greim · 23.07.2007
Das ist eine einzigartige Mischung: Am Fuße des Ettersberges in Weimar, also im Schatten von Buchenwald wird yiddische Musik gemacht. Höchstprofessionell und gleichzeitig offen für alle, die sie lernen wollen. Es wird jüdisch geredet und gelehrt, es wird musiziert und getanzt - auch auf den Straßen und in den Cafes der Stadt. ‚Yiddish Summer Weimar’ nennt sich das Festival, das aus Workshops, Konzerten, Jam-Sessions und ein Symposium besteht. Vor sieben Jahren hat es klein begonnen und ist seitdem kräftig gewachsen - es ist mittlerweile weltweit einmalig in der Mischung aus Konzerten, inhaltlichen Angeboten und dem pädagogischen Angebot. Ulrike Greim hat sich umgehört.
Ein paar Töne sind die Grundlage, variiert aus C-Dur. ‚Spielt damit’, hatte Paul Brody gesagt, der Mann, der mit unglaublichem Tempo auf seiner Trompete wilde Partien vorgibt.

"Wir machen das mal so. Es gibt einen Grundrhythmus, und ihr setzt ein, mal auf 'eins', mal auf 'drei und'."

Rund 40 Musiker, Profis und Laien, ein Kind, Jugendliche, aus aller Herren Länder sitzen in einem großen Kreis im Saal der Weimarer Musikschule. Die Fenster sind auf, die Luft weht lau. Es ist ungewohnt und herzerfrischend, was Teilnehmende des Instrumentalworkshops hier lernen und wie es hier lernen.

Noten gibt es nicht. Nur Themen, Phrasen, Ideen. Alles ist erlaubt. Jeder kann von jedem profitieren, sagt Alan Bern, der Programmchef des Yiddish Summer.

"Meine Überzeugung ist, dass, wenn ein Student Kontakt hat zum neuen Stoff - Musik - egal was, das soll ihn öffnen und inspirieren. Also man soll wirklich neue Horizonte nicht nur außen sondern in sich entdecken. "

Hier geht es um keine fertigen Konzepte, es geht um die eigene Kreativität, darum, ins eigene Musizieren zu kommen, sagt Alan Bern.

"Was soll ich sagen: das ist für mich das Wesentliche am menschlichen Dasein, dass man erst einmal die eigenen Grenzen sieht, erfasst, und dann versucht, darüber hinaus zu wachsen."

Der Yiddish Summer ist ein musikalisches Crossover. Es geht - und da spricht der Wissenschaftler - also nicht nur um Klezmer, also die Instrumentalmusik osteuropäischer Juden.

"Nun, ich verwende seit ungefähr zwölf Jahren den Begriff 'new jewish music' für meine eigene Musik und für viele meiner Kollegen, weil wir viele andere Stilelemente reinbringen: Jazz, kompositorische Elemente aus der klassischen Musik, Improvisation, die nie in der Klezmer-Musik zuhause waren. Ich möchte ziemlich genau mit solchen Begriffen umgehen."

An dem Tag, an dem in der Gedenkstätte Buchenwald an die Errichtung des KZ vor 70 Jahren erinnert wurde, startete der Yiddish Summer mit einem furiosen Konzert. Während oben auf dem Berg erstmals ein Buch mit den Namen der Toten der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, feierten unten in der Stadt rund 200 Menschen die lebendige Musik, die im Klezmer Heimat und Inspiration hat. Alan Bern lud sechs Musiker aus drei Kontinenten ein zu einer Eigenproduktion, die er "Diaspora Redux" nannte.

"Ich kenne kaum einen unserer jüdischen Künstler, der nicht an einem dieser wenigen freien Tage, die in diesem Programm sind, diesen Besuch dahin unternimmt. Alle nicht-jüdischen ebenfalls. Irgendwie ist es verknüpft, aber es ist nicht existenzieller Bestandteil unseres Programms. Wir machen keine Exkursionen nach Buchenwald. Die einzige Exkursion, die wir machen, ist die zur jüdischen Gemeinde nach Erfurt."

Stefanie Erben, die Organisatorin des Yiddish Summer Weimar, hat dieses Festival mit entwickelt. Ursprünglich aus der Frage, wie man das Schloss Ettersburg, auf der Rückseite Buchenwalds, wieder belebt. Als die ersten Klezmer-Workshops regen Zulauf hatten, wurde das Programm immer größer. Nun als vierwöchige Sommerakademie.

"Erst der Instrumentalkurs, dann der jüdische Tanzworkshop, der ist gesplittet in Tänzer und in Musiker, und dann kommt der jiddische Liedworkshop, der ist parallel zum Sprachkurs in diesem Jahr. Da probieren wir immer was, ich glaube das ist diesmal eine gute Kombination."

"Ich bin eigentlich nur gekommen, um das Symposium und das Konzert zu hören, und war dann spontan so begeistert von dem, was hier passiert, dass ich mich an meine Klaviervergangenheit erinnerte und mich kurzfristig in diesen Kurs eingetragen habe."

Simone Mahrenholz, die an der FU Berlin Philosophie unterrichtet, sitzt nun in der großen Runde und lernt Musik neu. Es geht, sagt Paul Brody, der gerade die Regie hat, nicht um Richtig oder Falsch. Es geht um das Finden von Tönen, Melodien, Rhythmen, um eigene Interpretation.

"Alle Musiker, die hier in diesem Konzert gespielt haben, können es sehr, sehr gut vermitteln, können in einer Art und Weise von Musik reden, wie ich es eigentlich schon lange vermisst hatte."

Neben ihr, der kerzengerade sitzende Mann, ist Japaner und studiert Kunstgeschichte.

Über Marc Chagall, erzählt er, kam er zur jüdischen Kultur, nun ist er zum wiederholten Male hier in Weimar zum Yiddish Summer. Er mag das Flair der kleinen Stadt. Und die profitiert von den Jam Sessions, mit denen der Yiddish Summer abends in die Restaurants geht. Und von den Konzerten mit den Großen der Szene.