"Jetzt spiel ich auch noch den Zwillingsbruder"

Mirco Kreibich in "Was ihr wollt" am Thalia Theater Hamburg
Mirco Kreibich in "Was ihr wollt" am Thalia Theater Hamburg © Thalia Theater Hamburg
Von Elske Brault |
Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Diesen Buchtitel macht Regisseur Jan Bosse zur Leitlinie von Skakespeares Komödie der Irrungen um eine vertauschte Geschlechtsidentität.
Wie zu Shakespeares Zeiten nämlich, da Frauen nicht Theater spielen durften, übernimmt ein junger Mann hier die weibliche Hauptrolle. Mirco Kreibich spielt eine Frau, die sich als Mann ausgibt: Die junge Viola, in Illyrien gestrandet, tritt als "Cesario" in die Dienste des Herzogs Orsino. Der schickt sie/ihn als Liebesboten zu seiner Angebeteten Olivia. Doch während Viola leidet, weil sie sich in Orsino verliebt hat, verguckt Olivia sich ihrerseits in den falschen Jüngling.

Die Paradiesinsel Illyrien ist im Bühnenbild von Stéphane Laimé ein Naturkundemuseum, ein künstliches Paradies mit Pappmaché-Bäumen und ausgestopftem Steinbock. Dort sitzen zu Beginn alle Protagonisten belämmert herum, und den Abend eröffnet nicht Viola, sondern der Herzog Orsino mit einem traurigen Liedchen von Rocko Schamoni: "I’m not sorrowful, I’m just tired." Alle sind hier ein wenig müde vom Nichtstun und beschäftigen sich mangels drängender Aufgaben mit den eigenen Gefühlen, mit der Liebe.

Ein Eimer Wasser, eigenhändig über den Kopf gegossen, genügt, um aus Mirco Kreibich eine zitternde, bibbernde Schiffbrüchige zu machen. Und der ihm die neuen (Männer)-Kleider bringt, hält auch für den Rest des Abends die Fäden in der Hand: Karin Neuhäuser als Narr übernimmt die Rollen des Kapitäns, der Hausangestellten bei Olivia, des Hofnarren bei Orsino. Mit der ihr eigenen Nonchalance beherrscht sie die Männer um sich herum mit einem Halbsatz, einem Lidschlag. Jeden verhöhnt dieser weibliche Narr, von jedem nimmt er Geld dafür, und er setzt auch die Komödie in Gang, die in "Was ihr wollt" von jeher der eigentliche Lachgarant ist: Mit einem falschen Brief lässt er Olivias Haushofmeister Malovoglio glauben, seine Herrin sei in ihn verliebt. Sehr zur Freude von Olivias Onkel, des Trunkenboldes Tobias von Rülp, und seines dämlichen Freundes Bleichenwang.

Bruno Cathomas als Rülp und Jörg Pohl als Bleichenwang ziehen alle Register des Slapstick-Repertoires und des derben Humors: Sie rutschen auf Bananenschalen aus, beschmieren einander mit Schokolade wie mit Kot, verrenken sich die Glieder und verharren in einer absurden Pas-de-Deux-Stellung, um, mit ein paar Zweiglein als Busch verkleidet, Malovoglios Reaktion auf den falschen Brief zu beobachten. Sie benehmen sich noch rüpelhafter, lauter, alberner und ekelhafter, als Shakespeare das ohnehin ins Textbuch geschrieben hat. So sorgt dieser Nebenschauplatz auch in der sprachlich sanft modernisierten Fassung von Jan Bosse und Gabriela Bußacker für Lachsalven im Publikum, droht allerdings, die Hauptsache in den Hintergrund zu drängen.

Denn wenn Haushofmeister Malovoglio sich mit gelben Strümpfen und gekreuzten Strumpfbändern zum Affen macht, weil der Brief ihm suggeriert hat, dies gefalle seiner Herrin Olivia, dann ist dies doch nur die in die Dienstbotenfarce gewendete Kehrseite jenes Liebeswahns, der auch Olivia und Orsino fest im Griff hat. Sie, Bibiana Beglau, lässt glatt die Urne mit der Asche ihres toten Bruders fallen, als sie Viola/Cesario erblickt, streift die Trauer ab und mit einem bodenlangen Flower-Power-Kleid die neue Verliebtheit über. ihn, Alexander Simon als Orsino, übermannt im Gespräch mit Cesario die Sehnsucht nach Olivia, er fällt über den Gefährten her und wälzt sich mit ihm leidenschaftlich am Boden. So entzündet der falsche Cesario/die falsche Viola in allen wahn-witzige Begierde. Schwierig wird es erst, als Mirco Kreibich feststellt: "Jetzt spiel ich auch noch den Zwillingsbruder."

Dieser Sebastian nämlich löst die Verwechslungskomödie in Wohlgefallen auf, er sorgt bei Shakespeare dafür, dass Olivia schließlich einen Mann abbekommt und Orsino in der enttarnten Viola die passende Hetero-Partnerin findet. Doch hier übernimmt Mirco Kreibich beide Rollen, wechselt flugs von Viola zu Sebastian, indem er kurz die Schultern strafft und sich in Positur wirft. Mit dem Erfolg, dass er am Ende zwischen Olivia und Orsino hin und her über die Bühne rast und beide in Sachen Liebe leer ausgehen. "Narr" Karin Neuhäuser tritt ans Mikrophon und singt eines jener traurigen Liedchen, die, wenngleich nur sparsam als Tupfer eingestreut, diesem Theaterabend seine Melancholie verleihen: "Der Regen fällt und fällt, und ich trinke auf das Ende dieser Welt." Vorhang.

Man kann hier an den Klimawandel denken, der die Natur womöglich bald zu einem im Museum konservierten Ausstellungsstück macht. Doch vor allem stiftet Jan Bosse einen Abgesang auf die Theaterwelt: Mit Sätzen wie "Das gehört zu deiner Rolle" oder "Nein, nicht noch ein Brief" thematisieren die Protagonisten, dass in ihrer Kunstwelt alles Spiel ist. Allerdings fehlt damit auch der Identitätssuche des Geschlechts-verwirrten Cesario/Viola/Sebastian die existentielle Verzweiflung. "Was ihr wollt" bleibt auch in dieser an Finessen reichen Inszenierung, was es immer war: eine nicht allzu tief schürfende Komödie mit Gags jeder Sorte und Machart. Eben das, was das Publikum seit Shakespeares Zeiten will.

Informationen des Thalia Theaters Hamburg zu "Was ihr wollt"