Jetzt geht's los
Hundert Tage hat die Koalition, um zu überzeugen, meint Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des "Tagesspiegel". Angela Merkel, und sei sie die erste Kanzlerin, werde sicher keine Lehrzeit zugestanden.
"There ain’t no stoppin’ us now", jetzt hält uns keiner mehr auf, so sangen sie damals in Amerika, als mit Bill Clinton eine neue Zeit begann. Die Babyboomers kamen, und alles wurde anders, neu. Es wurde sogar besser, die Politik wandte sich den Menschen zu, schuf Jobs, Jobs, Jobs, die Wirtschaft brummte im Takt der neuen Melodie, das Staatsdefizit sank und sank, es wurde sogar ein Überschuss erwirtschaftet. Ach ja, Amerika. Damals.
Nun sagt man doch, dass mit Jahren Verspätung nach Deutschland kommt, was in den USA war. Das wäre was. Wenn sie jetzt Gesänge anstimmen würden, dann würden wir ganz schön gucken. Oder wenn sie auch nur sagten: Was soll uns jetzt noch stoppen. Aber schön wär’s schon, so eine Stimmung. Bloß leider: Sie ist nicht so. Und die Lage ist, wie sie ist: ernst. Dementsprechend war das Größte der großen Koalition am gestrigen Tag ein kleines Lächeln. Das höchste der Gefühle war ein Blick nach oben, wo in der Balustrade des Paul-Löbe-Hauses für die Abgeordneten die Anhänger standen. Und was trank Angela Merkel? Selters, nicht Sekt.
Jetzt geht’s aber trotzdem los. Es muss. 100 Tage haben sie in der Koalition, um zu überzeugen, und die haben sie auch wieder nicht. Angela Merkel auch nicht, und sei sie die erste Kanzlerin. Es wird ihr keine Lehrzeit zugestanden werden. Denn der Koalitionsvertrag ist die Verlängerung der Agenda 2010 in die Zukunft, und wer weiß, wie lange diese Konstellation eine hat.
Eine Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt, auf die müssen wir länger warten. Eine Gesundheitsprämie, oder anders: Kopfpauschale, wird es so auch nicht geben. Die Türkeipolitik bleibt, wie sie ist, sie wird höchstens von anderen Worten begleitet.
In den Irak marschieren deutsche Soldaten genauso wenig wie zu rot-grünen Zeiten, Frankreich bleibt wichtig wie seit ewigen Zeiten. Vielleicht wird es härter für Russlands Putin, mit der Kanzlerin, die eine gebrauchte DDR-Bürgerin ist, wie ihr Entdecker Lothar de Maiziere immer so schön über sie und seinesgleichen sagte.
Jetzt geht’s los, das ja. Aber was? Was losgeht, ist zum einen eine große Inventur der Bundesrepublik. Da wird schon überlegt, Ministeriumsgebäude zu verkaufen. Aber damit fängt es erst an. Inventur ist die Überprüfung dessen was ist.
Danach kommt – möglicherweise eine Remedur, mit einem ganz neuen Anfang. Denn wer Kurven von Ereignissen lesen und Ergebnisse berechnen kann – und das kann eine Physikerin wie Merkel, das kann auch ein Ingenieur wie Matthias Platzeck –, der und die wissen: Es ist noch sehr die Frage, ob manches, das drei Jahre nicht richtig funktioniert hat, im vierten Jahr funktioniert. Nicht jeder Plan geht auf, das bringen Merkel und Platzeck als Wissen sowieso mit, das ist, sagen wir, auch ihre kritische Masse.
Die Agenda 2010 gibt es drei Jahre. Und die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik 25. Über den Erfolg lässt sich trefflich streiten, der Christdemokrat Heiner Geißler, kein Linker, würde ihn sogar energisch bestreiten.
Aber weil die beiden so sind, wie sie sind, weil sie nicht aus der so genannten politischen Klasse der alten Bundesrepublik kommen, kann das auch eine Chance sein. Die Ostler sind anders. Sie haben Revolutionen hinter sich, in jeder Beziehung. Was sind ihnen da Reformen? Alltag. Sie haben keine Angst, alles in Frage zu stellen, und das müssen wir uns und Ihnen auch wünschen.
Wenn Merkel, der neuen Kanzlerin, zugegebenermaßen das Pathos abgeht, so doch nicht die Fähigkeit, den kantschen Imperativ zu erfüllen, der besagt: Bediene dich deines Verstandes. Und wie sagte Wolfgang Schäuble, der Stratege der Union: erst das Handwerk, dann das Pathos. Handwerk kommt hinzu, das stimmt; zu regieren heißt nicht, sich selbst permanent zu illuminieren. Wichtig ist, dass die Gesetzesvorlagen stimmen.
Merkel gemäß ist allerdings auch eher von einer Großversuchsanordnung zu sprechen; wenn’s nicht klappt, dann muss sie verändert werden. Pathos kommt mit der Aufgabe. Auch ein bisschen mit Platzeck, wie man so hört. Der kann immerhin schon so innig reden.
Ja, besser ist es, sie lassen sich am Anfang nicht stoppen. Wir brauchen eine neue Zeit, eine Gründerzeit, das war ein kluger Begriff von Angela Merkel. Und richtig ist, was Matthias Platzeck sagt: Deutschland hat die Kraft, immer wieder neu anzufangen. Wenn beides zusammenkommt und beide Recht behalten, dann wäre das eine wirklich große Koalition.
Nun sagt man doch, dass mit Jahren Verspätung nach Deutschland kommt, was in den USA war. Das wäre was. Wenn sie jetzt Gesänge anstimmen würden, dann würden wir ganz schön gucken. Oder wenn sie auch nur sagten: Was soll uns jetzt noch stoppen. Aber schön wär’s schon, so eine Stimmung. Bloß leider: Sie ist nicht so. Und die Lage ist, wie sie ist: ernst. Dementsprechend war das Größte der großen Koalition am gestrigen Tag ein kleines Lächeln. Das höchste der Gefühle war ein Blick nach oben, wo in der Balustrade des Paul-Löbe-Hauses für die Abgeordneten die Anhänger standen. Und was trank Angela Merkel? Selters, nicht Sekt.
Jetzt geht’s aber trotzdem los. Es muss. 100 Tage haben sie in der Koalition, um zu überzeugen, und die haben sie auch wieder nicht. Angela Merkel auch nicht, und sei sie die erste Kanzlerin. Es wird ihr keine Lehrzeit zugestanden werden. Denn der Koalitionsvertrag ist die Verlängerung der Agenda 2010 in die Zukunft, und wer weiß, wie lange diese Konstellation eine hat.
Eine Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt, auf die müssen wir länger warten. Eine Gesundheitsprämie, oder anders: Kopfpauschale, wird es so auch nicht geben. Die Türkeipolitik bleibt, wie sie ist, sie wird höchstens von anderen Worten begleitet.
In den Irak marschieren deutsche Soldaten genauso wenig wie zu rot-grünen Zeiten, Frankreich bleibt wichtig wie seit ewigen Zeiten. Vielleicht wird es härter für Russlands Putin, mit der Kanzlerin, die eine gebrauchte DDR-Bürgerin ist, wie ihr Entdecker Lothar de Maiziere immer so schön über sie und seinesgleichen sagte.
Jetzt geht’s los, das ja. Aber was? Was losgeht, ist zum einen eine große Inventur der Bundesrepublik. Da wird schon überlegt, Ministeriumsgebäude zu verkaufen. Aber damit fängt es erst an. Inventur ist die Überprüfung dessen was ist.
Danach kommt – möglicherweise eine Remedur, mit einem ganz neuen Anfang. Denn wer Kurven von Ereignissen lesen und Ergebnisse berechnen kann – und das kann eine Physikerin wie Merkel, das kann auch ein Ingenieur wie Matthias Platzeck –, der und die wissen: Es ist noch sehr die Frage, ob manches, das drei Jahre nicht richtig funktioniert hat, im vierten Jahr funktioniert. Nicht jeder Plan geht auf, das bringen Merkel und Platzeck als Wissen sowieso mit, das ist, sagen wir, auch ihre kritische Masse.
Die Agenda 2010 gibt es drei Jahre. Und die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik 25. Über den Erfolg lässt sich trefflich streiten, der Christdemokrat Heiner Geißler, kein Linker, würde ihn sogar energisch bestreiten.
Aber weil die beiden so sind, wie sie sind, weil sie nicht aus der so genannten politischen Klasse der alten Bundesrepublik kommen, kann das auch eine Chance sein. Die Ostler sind anders. Sie haben Revolutionen hinter sich, in jeder Beziehung. Was sind ihnen da Reformen? Alltag. Sie haben keine Angst, alles in Frage zu stellen, und das müssen wir uns und Ihnen auch wünschen.
Wenn Merkel, der neuen Kanzlerin, zugegebenermaßen das Pathos abgeht, so doch nicht die Fähigkeit, den kantschen Imperativ zu erfüllen, der besagt: Bediene dich deines Verstandes. Und wie sagte Wolfgang Schäuble, der Stratege der Union: erst das Handwerk, dann das Pathos. Handwerk kommt hinzu, das stimmt; zu regieren heißt nicht, sich selbst permanent zu illuminieren. Wichtig ist, dass die Gesetzesvorlagen stimmen.
Merkel gemäß ist allerdings auch eher von einer Großversuchsanordnung zu sprechen; wenn’s nicht klappt, dann muss sie verändert werden. Pathos kommt mit der Aufgabe. Auch ein bisschen mit Platzeck, wie man so hört. Der kann immerhin schon so innig reden.
Ja, besser ist es, sie lassen sich am Anfang nicht stoppen. Wir brauchen eine neue Zeit, eine Gründerzeit, das war ein kluger Begriff von Angela Merkel. Und richtig ist, was Matthias Platzeck sagt: Deutschland hat die Kraft, immer wieder neu anzufangen. Wenn beides zusammenkommt und beide Recht behalten, dann wäre das eine wirklich große Koalition.