"Jetzt fange ich erst richtig an"

Von Brigitte Neumann · 24.12.2008
Vincent Klink gilt als Intellektueller unter Deutschlands Sterneköchen. Der Name seines Restaurants "Wielandshöhe" in Stuttgart Degerlich ist eine Referenz an den schwäbischen Dicher und Aufklärer Christoph Martin Wieland. Sternekoch Klink, fast 60, schreibt Bücher, vertreibt eine Küchenzeitschrift, macht die Kochsendung "ARD Buffet" - und beginnt gerade mit Trompetenunterricht.
Ein paar Tage vor Weihnachten hoch über der Württembergischen Landeshauptstadt in Stuttgart-Degerloch. Hier liegt malerisch an der Haltestelle einer Bergbahn das Sternerestaurant "Wielandshöhe". Noch ist alles dicht. Nur in der Küche werkeln zwölf junge Leute und das erstaunlich entspannt. Da betritt der Chef Vincent Klink die Szene.

Barocke Figur, die sinnlichen Lippen eines Karpfens, der Gang eines Cowboys. Sein Blick ist unwirsch. Er ist zu spät. Die Schulsprechstunde seines Sohnes dauerte länger. Gattin Elisabeth ist auch nicht gerade in Höchststimmung. Sie murmelt etwas von eiligen Pflichten, marschiert Richtung Restaurant, wo sie noch letzte Hand an die Tischdekoration anlegen will.
Mit strammem Schritt durchmisst Klink jetzt die Küche. Ein konzentrierter Blick in die Runde und er weiß, dass seine Leute jeden Topf unter Kontrolle haben. In einer Stunde kommen die Gäste. So lange ist Zeit für ein Gespräch. Über Musik - der Küchenchef liebt Miles Davis und spielt Querflöte und Trompete, übers Kochen - natürlich - und über Weihnachten ...

"Heutzutage haben wir an Weihnachten geschlossen, und ich muss sagen, fast lieber würde ich arbeiten und Andere beglücken und bekochen. Weil es tatsächlich so diese Zwangsvereinigung mit Leuten ist, die man sich nicht hat frei wählen können, also mit der Verwandtschaft.

Das erfordert für so einen freiheitsliebenden Typen wie mich schon Überwindung, und - so könnte man sagen - ist Weihnachten in gewisser Art ein Trainingslager, dass man sich eben zusammenreißt und dass man vielleicht auch tolerant ist."

Dieses Trainingslager der Toleranz kennt Klink von klein auf. Es wurde allweihnachtlich in Schwäbisch-Gmünd aufgeschlagen, dort wo er aufgewachsen ist. Wenn an Heilig Abend Opi und Opa zu Besuch kamen, ging es zur Sache. Der eine war nämlich ein humanistisch gebildeter Feingeist und der andere einer, der lauthals seiner SA-Karriere nachtrauerte.

Die sechs Klink-Geschwister im Geschenkerausch kriegten nur am Rande mit, wie sich nach einem alljährlichen kurzen Wortgemetzel eine grimmige Stille zwischen den Erwachsenen ausbreitete. Und die Männer ins Raucherzimmer verschwanden, um sich das Maul mit qualmenden Stumpen zu stopfen.

Vincent Klink ist einer der besten Köche Deutschlands. Er kocht, was die Region bietet. Jäger Egon hat heute Feldhasen gebracht, also steht auf der Speisekarte Klinks Spezialrezept "Hase in Blutsauce". Molekular-Schäumchen, Trüffel, Hummer, und auf allem das Löffelchen Kaviar, das gibt es bei Klink nicht. In der "Wielandshöhe" werden die überlieferten und vom Vergessenwerden bedrohten Gerichte unserer Klimazone gekocht.

"Also, ich habe es eindeutig von meinem Vater, der war fanatischer Hobbykoch, der war in den 60er Jahren schon bei Bocuse und den anderen Dreisterne-Köchen in Frankreich, hat eine Kochkunstbibliothek gehabt von mindestens 1000 alten, teuren Kochbüchern - und hat von nichts anderem geredet als vom Kochen. Der Herr Tierarzt. Und das habe ich von ihm.

Meine Mutter, die war eher ein Fan von Nescafe und von Ravioli in der Dose - Abteilung 'Die Befreiung der Frau' - um sich das möglichst leicht zu machen. Weil wir waren sechs Kinder, und das war sowieso schon schwierig. Aber dass hier die Qualität des Kochens im Haushalt aufrechterhalten wurde, war Sache des Vaters, und das ist an mich übergegangen."

Trotzdem ist sich Vincent Klink sicher, dass jeder Profikoch eine Menge weiblicher Gene braucht. Weil Kochen etwas mit Fürsorge zu tun hat. Jeden Abend, so auch an diesem, läuft Klink deshalb ein paar Mal aus der Küche, geht von Tisch zu Tisch, um bei seinen 70 Gästen nachzufragen, ob es auch munde.

Dann stapft er zurück in die Küche, vier mal zehn Meter, vollgestellt mit vier breiten Herdzeilen, wo er am Kopfende ein Kabuff hat, die Komandozentrale. Da steht ein Computer, und Stapel seiner kulinarischen Kampfschrift "Häuptling eigener Herd" warten auf den Versand.

Aus der Ecke holt er seine Neuerwerbung, eine alte Trompete, die er jetzt stolz herzeigt. Er redet von seiner Lieblingsplatte, die ihn seit 40 Jahren begleitet, Kind of Blue von Miles Davis, und dass er sich jetzt auch in die Richtung aufmachen wolle.

"Viele denken ja - man ist ja in diesem Alter praktisch schon im Vorruhestand - wir schalten jetzt zurück. Nein, jetzt fange ich erst richtig an. Jetzt weiß ich, wie es geht. Warum soll ich jetzt langsamer machen? Deswegen habe ich meine Querflöte jetzt weggelegt, die ich ganz gut beherrscht habe.

Und meine Sehnsucht war immer Trompete. Das habe ich jetzt vor sechs Wochen begonnen. Dadurch, dass ich die Atemtechnik von der Flöte habe, geht es natürlich ab. Ich sage das deshalb, einfach um den Leuten Mut zu machen, neue Dinge anzufangen."

Vincent Klink wird im Januar 60 Jahre alt.