Jetzt bin ich Millionär

19.06.2013
Um 1930 schrieben die russischen Autoren Ilja Ilf und Jewgeni Petrow die humoristisch-kritischen Romane "Zwölf Stühle" und "Das goldene Kalb oder die Jagd nach der Million". Der zweite Klassiker über die Situation der noch jungen Sowjetunion wird jetzt noch einmal herausgegeben.
"Das goldene Kalb oder die Jagd nach der Million", erschienen 1931, ist die Fortsetzung des Erfolgsromans "Zwölf Stühle". Im Mittelpunkt steht wiederum der Schelm Ostap Bender. Er hat einen Willen und sucht den Weg: "Ich will weg von hier. Letztes Jahr sind bei mir ernsthafte Unstimmigkeiten mit der Sowjetmacht entstanden. Sie will den Sozialismus aufbauen. Ich will nicht. Das ist mir zu langweilig."

Das ist charakteristisch für die Komik von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow: Lachen über die Sowjetmacht ist möglich, weil sie unter der Hand doch wieder ins Recht gesetzt wird. Denn diese "Langeweile" ist ja die Eigenschaft eines Erz-Individualisten, mithin: eines Typs von gestern, der quer zur kollektivistischen Epoche steht, sich deshalb aber auch als Hauptfigur eines humoristischen Romans eignet.

Bender schmiedet seinen Plan: einen NÖP-Millionär will er um sein Geld bringen und dann: Ab nach Rio! Doch die von Lenin veranstaltete Zwischenphase mit privatkapitalistischen Lizenzen ist vorbei, die Sowjetunion steht im Zeichen von Zwangskollektivierung und erstem Fünfjahresplan. Millionäre sind scheu geworden. Der eine, den Bender und seine kleine Ganoventruppe anvisieren – ein gewisser Alexander Korejko –, führt inzwischen eine Schein-Existenz als braver Buchhalter und wartet auf die Rückkehr des Kapitalismus.

"Automobilmachung" ist angesagt: Mit einer Klapperkiste, dem "Gnu", setzen sich der "große Kombinator" und seine Kumpanen auf die Spuren des heimlichen Millionärs: ein Roadmovie durch ein Land im Totalumbruch, an dem an vielen Stellen die alten Untugenden in neuem Gewand durchscheinen: Bürokratismus, Prinzipienreiterei, Eigennutz und Eitelkeiten diverser Art. Vor allem die Sowjet-Liebe zu pompösen Formeln, die eine schäbige Wirklichkeit aufschmücken, wird satirisch produktiv.

Als die Bender-Bande Korejko in Tschernomorsk ausfindig macht, eröffnet sie zu Tarnzwecken erst einmal ein Kontor, genauer: "Tschernomorsker Filiale des Arbatower Kontors zum Ankauf von Hörnern und Hufen". Überall heiße Worte – und wenig dahinter. Auf die Revolution folgt die Resolution.

"Das Goldene Kalb oder Die Jagd nach der Million" ist als Fortsetzungsroman erschienen, und das merkt man dem mit 470 Seiten doch recht länglichen Buch an. Der Faden der Handlung hängt manchmal durch, viele Episoden erscheinen nur lose hineingeknüpft. Es sind Kabinettstücke darunter, etwa die Geschichte von Wassissuali Lochankin, der in Hungerstreik tritt, weil ihn seine Frau verlassen will – da zerreißt er demonstrativ seine Brotkarte. Die Handlung führt schließlich bis nach Zentralasien. "Jetzt bin ich Millionär", kann Bender am Ende ausrufen – nur hat er nichts davon. Privatkapital lässt sich im Sowjetreich nicht in Werte transferieren.

Bleibt Satire nicht immer ihrer Zeit verhaftet? Die "Jagd nach der Million" ist noch heute eine amüsante Lektüre, weil sich der Roman bei genauerem Hinsehen als menschliche Komödie der Gier erweist. So wurde das Buch auch für die Machthaber von 1931 akzeptabel – wenn der Sozialismus noch nicht reibungslos funktioniert, dann sind daran vor allem die kleinen "menschlichen Schwächen" schuld. Viele der Späße wären Jahre später kaum noch möglich gewesen. In Sowjetrussland sei "das Irrenhaus der einzige Platz, wo ein normaler Mensch leben kann", heißt es einmal. Was damals vielleicht bloß ein Jux war, liest sich heute als düsterer Scherz mit tieferer Bedeutung.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Ilja Ilf und Jewgeni Petrow: Das goldene Kalb oder die Jagd nach der Million
Aus dem Russischen von Thomas Reschke,
Die Andere Bibliothek 2013,
473 Seiten, 38 Euro