Jessie Ware: "Glasshouse"

"Kalkuliert ist das Album nicht"

Jessie Ware auf der Bühne
Jessie Ware auf der Bühne © picture alliance / dpa / Leszek Szymanski
Jessie Ware im Gespräch mit Christoph Müller · 08.03.2018
"Das sind einfach Freunde, die großartige Popmusik schreiben", sagt Jessie Ware über ihre Zusammenarbeit mit Erfolgsproduzent Benny Blanco und Superstar Ed Sheeran. Die beiden hätten ihr geholfen, zum Songwriting zurückzukehren und sich vom Druck zu befreien, radiotauglich zu sein.
Sie moderiert einen Podcast übers Kochen, engagiert sich für die Rohingya-Minderheit in Myanmar und schreibt Songs für Stars wie Nicki Minaj: Jessie Ware. Die britische Musikerin hat im Herbst ihr drittes Album "Glasshouse" veröffentlicht. Darauf sind Balladen, die manchmal an Sadé, manchmal an Anita Baker erinnern – und immer auch ein wenig beeinflusst sind von elektronischer Clubmusik.
Auf der Platte arbeitet sie mit vielen anderen Musikern zusammen, etwa mit Superstar Ed Sheeran oder Benny Blanco, einem der gefragtesten Pop-Produzenten der Gegenwart.
Liest man nur die Namen, könnte man denken, es handele sich um eine Platte, die komplett am Reißbrett entstanden ist. Christoph Möller hat Jessie Ware deshalb gestern vor ihrem Konzert in Berlin als erstes gefragt, inwieweit sie kalkuliert an das Album herangegangen ist.

Songs mit Ed Sheeran schreiben

Jessie Ware: Auf dem Papier sieht das vielleicht so aus, aber tatsächlich ist Benny Blanco einer meiner besten Freunde. Und klar, Ed Sheeran ist der größte Popstar der Welt, aber auch jemand, mit dem ich mich extrem wohl fühle und total gut Songs schreiben kann. Die beiden sind also einfach Freunde, die großartige Popmusik schreiben.
Ich habe viel von ihnen gelernt. Es ist schwierig, einen guten Popsong zu schreiben und wenn du es kannst, hast du es geschafft. Trotzdem: Kalkuliert ist das Album nicht.
Christoph Möller: Sie hatten, wenn ich das richtig gelesen habe, auch so eine kleine künstlerische Krise, während sie "Glasshouse" produziert haben. Können Sie vielleicht mal erklären, was da passiert ist, und waren vielleicht in dem Moment auch die Musikerinnen und Musiker, mit denen Sie zusammengearbeitet haben, eine wichtige Stütze?
Ware: Wissen Sie, ich bin in dieser komischen Welt, in der ich nicht so richtig Pop bin und irgendwie doch. Ich bin nicht Rita Ora oder Taylor Swift.
Möller: Noch nicht.
Ware: Das sind natürlich großartige Künstlerinnen, aber ich glaube nicht, dass ich jemals so berühmt werde. Ich stand aber trotzdem sehr unter Druck. Es fühlte sich an, als sei ich nicht von meiner künstlerischen Selbstbestimmung geleitet, sondern vom Radio!
Ich hatte Angst, nie wieder im Radio gespielt zu werden – und deshalb nie wieder eine Platte herausbringen zu können.

Aus Angst total verrückt geworden

Ich bin total verrückt geworden und habe die Musik deshalb nicht für mich, sondern für irgendwelche Radiomanager geschrieben. Erst als Benny Blanco irgendwann gesagt hat, dass ich totalen Mist mache, ist mir klar geworden, dass ich unbedingt herausfinden musste, wer ich bin. Ich habe also meine Haltung geändert und bin wieder selbstbewusster geworden.
"Glasshouse" ist eine Platte, auf der ich versucht habe, meine Fähigkeiten als Songwriterin zu verbessern. Ich wollte Geschichten erzählen – und einen wichtigen Abschnitt in meinem Leben dokumentieren. Ich bin Mutter geworden und lauter Worte und Emotionen schwirrten durch meinen Kopf.
Übers Songwriting habe ich meine künstlerische Integrität wiedergefunden. Und wer weiß, wie mein nächstes Album klingt, aber sicher ist: Ich werde nicht nochmal versuchen, Songs nur zu schreiben, damit sie im Radio laufen können, denn das funktioniert nicht.
Möller: Sie haben es gerade schon gesagt, Sie sind Mutter geworden. Ein Song, in dem es darum geht, ist "Sam", den Sie mit Ed Sheeran zusammen geschrieben haben, es ist auch der Name Ihres Ehemanns, mit dem Sie schon lange zusammen sind. Ich denke, Sie haben ihn geschrieben während der Aufnahmen, denn er antizipiert so ein bisschen das Leben einer Mutter.
Sie singen unter anderem "I am wondering what kind of mother will I be?", also ich frage mich, welche Art von Mutter ich sein will? Jetzt wird Ihre Tochter bald zwei Jahre alt. Was für eine Mutter sind Sie denn geworden? Und wie ist es, ein Kind zu haben und trotzdem eine professionelle Popmusikerin zu sein?
Ware: Ich will nicht lügen. Es ist echt schwer, die richtige Balance zu finden: Mutter zu sein und auf Tour gehen. Ich habe die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen. Jetzt sitze ich hier mit Ihnen, wir machen ein Interview und es macht Spaß, aber ich könnte genauso gut bei meiner Tochter sein. Sie ist tatsächlich gerade mit auf Tour und wir versuchen, alles zu dokumentieren, weil es sich so außergewöhnlich anfühlt. Wer weiß, ob ich das mit meinem nächsten Kind auch machen kann?

Die Musikwelt ist ein unsicheres Pflaster

Es fühlt sich gut an, auf der Bühne zu sein und zu wissen, dass sie in meiner Nähe ist und ich sie sehe, wenn ich morgens früh aufwache. Trotzdem ist es gerade in der Musikwelt mit Kindern total schwierig. Weil nichts wirklich sicher ist. Du sitzt ständig auf heißen Kohlen und hoffst, dass die Leute deine neue Musik mögen und du weitermachen kannst.
Trotzdem mag ich es, eine Mutter zu sein, genauso wie ich meine Arbeit mag. Ich bin jetzt sogar noch etwas ehrgeiziger geworden und tue alles dafür, auch eine gute Mutter zu sein.
Möller: Sie haben Ihre Tochter auch letztes Jahr zum Women's March mitgenommen, um für Frauen- und Menschenrechte zu protestieren, und hatten da ein Schild, auf dem stand "baby girls deserve a better future", also "kleine Mädchen verdienen eine bessere Zukunft". Wie könnte denn diese bessere Zukunft aussehen?
Ware: Es ist eine Zukunft, in der sie gleichwertig behandelt wird; in der sie eine starke, unabhängige, selbstsichere Frau sein kann; in der alles möglich ist und sie nicht eingeschränkt wird, nur weil sie eine Frau ist; es ist eine Zukunft, in der Menschen wie Donald Trump nicht mehr an der Macht sind. So eine Zukunft wünsche ich mir.
Möller: Ich frage mich bei dieser ganzen Debatte immer, welche Rolle eigentlich Musikerinnen und Musiker spielen? Weil Sie verarbeiten ja schon die Welt um sich herum in ihren Songs, und manchmal frage ich mich, ob es wirklich wichtig ist, dass sie dann noch so extra - ich sage es mal ein bisschen provokativ - aktivistisch auftreten und die politische Gegenwart kommentieren müssen. Was denken Sie darüber?

Mehr oder weniger zufällig politisch

Ware: Ich kann total verstehen, was Sie meinen. Ich zum Beispiel bin mehr oder weniger zufällig eine politische Künstlerin geworden, weil ich meine Meinung auf sozialen Medien teile. Es ist komisch, aber mittlerweile werde ich in jedem Interview darauf angesprochen. Ich meine, klar habe ich Meinungen, klar war ich gegen Brexit. Aber andere sind viel politischer als ich.
Trotzdem spüre ich eine gewisse Verantwortung gegenüber meinen Fans. Ich versuche, soziale Medien als etwas Positives zu sehen, womit ich die Leute ermutigen kann, die richtigen Dinge zu tun. Ob ich immer weiß, was richtig ist? Wahrscheinlich nicht, aber es fühlt sich trotzdem so an.
Möller: Sie sind auch Botschafterin für Unicef und waren in Myanmar gerade bei den Rohingya-Geflüchteten. Ist es nicht auch ein bisschen komisch, dass heutzutage Popmusikerinnen die Arbeit machen, die eigentlich Regierungen machen müssen?
Ware: Für Unicef zu arbeiten, ist extrem wichtig für mich. Und für mich ist das in Ordnung, sollten die Leute eher zuhören, wenn ich über die schrecklichen Zustände in den Flüchtlings-Camps in Bangladesch rede, über die hygienischen Zustände, den Fakt, dass 60% der Geflüchteten Kinder sind. Dann sage ich das so häufig, wie es sein muss.
Aber ja: Es ist traurig, dass eine Sängerin das erledigen muss. Aber ich mache weiter und hoffe, gehört zu werden. Mein Vorteil ist, dass ich keine politische Agenda habe und aus einer menschlichen Perspektive berichten kann.
Ich habe mit Frauen gesprochen, deren Männer und Kinder vor ihren Augen mit Macheten hingerichtet oder einfach erschossen worden sind. Sie haben sich wochenlang im Wald versteckt, bevor sie nach Bangladesch fliehen konnten. So lange mir irgendjemand zuhört, werde ich diese Geschichten erzählen.

Jessie Ware: Glasshouse

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