Jerzy Montag: Schäuble wird zum "Verfassungsabschaffungsminister"
Die Grünen haben ihre Kritik an den Vorschlägen von Innenminister Wolfgang Schäuble zur Terrorbekämpfung bekräftigt. Die Partei werde sich an der Lösungssuche beteiligen, sofern es Gesetzeslücken gebe, sagte der rechtspolitische Sprecher Jerzy Montag. Was Schäuble aber vorgeschlagen habe, sei eines Innenministers nicht würdig.
Jörg Degenhardt: Über schärfere Antiterrorgesetze in Deutschland hat Bundesinnenminister Schäuble laut nachgedacht und damit eine heiße Diskussion ausgelöst. Die Opposition wettert, die Grünen wollen gar seinen Rücktritt, aber auch vom Koalitionspartner kommt heftige Ablehnung. Selbst im Unionslager sind etwa die Überlegungen zum gezielten Töten von Terroristen auf Kritik gestoßen. Schäuble will außerdem mehr staatliche Eingriffsbefugnisse gegen sogenannten Gefährder, die nicht abgeschoben werden können. Am Telefon ist der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen-Bundesfraktion Jerzy Montag. Ich grüße Sie!
Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen!
Degenhardt: Wir haben gehört, wie das in Großbritannien gehandhabt wird. Ist es nicht normal, dass auch hier in Deutschland Denkanstöße diskutiert werden? Muss Ihre Partei da gleich den Rücktritt des Innenministers fordern?
Montag: Wir diskutieren schon zur Sache und fordern nicht nur den Rücktritt des Bundesinnenministers, sondern wir sagen vorneweg, wenn es Probleme bei der rechtsstaatlichen Verfolgung islamistischer Terroristen gibt, wenn es Gesetzeslücken gibt, dann reden wir darüber, dann analysieren wir die Schwächen und dann beteiligen wir uns auch an Problemlösungen. Wenn es aber darum geht, unseren Rechtsstaat umzubauen in einen Präventionsstaat, wenn es darum geht, dass der Verfassungsschutzminister Schäuble zu einem Verfassungsabschaffungsminister wird, dann sagen wir, hier ist die Grenze, er überschreitet sie, er ist für dieses Amt nicht geeignet.
Degenhardt: Das heißt, der Bundesinnenminister stellt Ihrer Meinung nach den Rechtsstaat infrage?
Montag: Er stellt ihn nicht nur infrage, sondern er will ihn in Teilbereichen, zu denen er sich äußert, abschaffen. Immerhin gilt bei uns die Regel, dass sich der Innenminister an die Verfassung zu halten hat, und nicht die Verfassung nach den Wünschen des Bundesinnenministers zu ändern ist. Aber genau das fordert Schäuble jeden Tag, indem er sagt, er will den Bundeswehreinsatz im Innern haben, er will die Grenze zwischen Krieg und Frieden auflösen – besonders empörend, er will eine staatliche Lizenz zum Töten.
Degenhardt: Was ist denn aber verwerflich daran, wenn der Innenminister Extremfälle und damit verbundene möglicherweise ungeklärte Rechtsfragen anspricht?
Montag: Jeder kann bei uns debattieren, diskutieren, selbst das Undenkliche zu Gehör bringen, aber er ist dann auf dem Stuhl des Bundesinnenministers der Falsche.
Degenhardt: Machen wir es mal praktisch: Was ist zum Beispiel mit der vorsorglichen Inhaftierung von Terrorverdächtigen? Es gibt doch auf der anderen Seite den Unterbindungsgewahrsam für Hooligans, oder ist das etwas ganz anderes?
Montag: Also man darf in dieser Debatte wirklich nicht Äpfel mit Birnen permanent durcheinanderbringen. Wir haben den Unterbringungsgewahrsam für Hooligans, auch in anderen Fällen kann die Polizei in manchen Bundesländern bis zu 14 Tage Menschen in Haft nehmen, wenn unmittelbar eine Störung der öffentlichen Ordnung droht. Wenn klar ist, dass Hooligans zu einem Fußballspiel wollen, um dort Randale zu machen, dann darf die Polizei sie festhalten, bis das Fußballspiel beendet ist. Mit solchen Vergleichen werden Nebelkerzen gezündet, das ist nicht das, was Herr Schäuble will. Er möchte doch niemanden für paar Tage in Gewahrsam nehmen, weil klar ist, dass derjenige oder diejenige irgendeine Ordnung stören will. Er will Menschen, von denen er behauptet, sie seien Terroristen, wozu er aber keine Beweise liefert, vielleicht auch nicht liefern kann, vorsorglich in Haft nehmen. So was nannte man in Deutschland früher mal Schutzhaft. Ich empfehle Herrn Schäuble bei jedem Vorschlag, zuerst einmal in Karlsruhe nachzufragen, dann kriegt er die Antwort auf seine Vorschläge.
Degenhardt: Aber wir haben gerade im Beitrag aus London gehört, dass die Kollegen dort, die Politiker viel weiter sind. Es gibt zwar Proteste, aber es gibt keinen Aufschrei in der Bevölkerung. Warum sind wir hier in Deutschland da offensichtlich zögerlicher, wenn es darum geht, unsere Antiterrormaßnahmen zu effektivieren?
Montag: Also es gibt in England natürlich auch eine lebhafte und sehr kontroverse Diskussion, etwas anderes hätte ich von einer so alten und ehrwürdigen Demokratie auch gar nicht erwartet. Und wir haben festzustellen, dass trotz erweiterter Befugnisse der Polizei in England es dort zu Terroranschlägen kommt und auch zu Versuchen von solchen Anschlägen. Bei uns in Deutschland arbeitet die Polizei höchst effektiv. Wir wissen, dass die Sicherheitsbehörden die Gefährder, wenn sie denn zur Tat schreiten wollen, im Griff hat. Es gibt keine Lücken im System, über die wir gerne diskutieren würden, wenn Herr Schäuble sie uns konkret benennen würde. Und verfassungswidrige Vorschläge zu machen, ist zwar leicht, aber eines Innenministers nicht würdig.
Degenhardt: Weil Sie jetzt den Bundesinnenminister, Herr Montag, noch mal angesprochen haben, in der "Süddeutschen Zeitung" war gestern bezogen auf die Schäuble-Vorschläge von einer notwendigen Provokation die Rede. Diese Notwendigkeit sehen Sie also nicht?
Montag: Ich erkenne sie als Notwendigkeit in der Strategie des Bundesinnenministers Schäuble. Er provoziert eine Debatte, provoziert lautstarke Proteste, um hinter dieser Wolke des verbalen und diskutiven Aufruhrs hindurchzuschlüpfen mit den Vorschlägen, die er tatsächlich durchsetzen will. Ich bin auch nicht der Auffassung, dass Herr Schäuble tatsächlich denkt, er könnte den politisch motivierten und staatlich angeordneten Mord in Deutschland durchsetzen. Er will unterhalb dieser Diskussionsschwelle das erreichen, was seit Jahren sein Ziel ist: Er will das Grundgesetz ändern lassen, um die Bundeswehr im Innern einsetzen zu können, er will den Rechtsstaat in einen Präventionsstaat umwandeln, und er will uns alle, alle Bürgerinnen und Bürger dieses Staates, präventiv im Auge haben können. Das sind seine Ziele, das ist die Taktik, die er verfolgt. Und wir Grünen erkennen das und diskutieren ganz rational und vernünftig über die Situation.
Degenhardt: Über die Sicherheitsdebatte, die der Bundesinnenminister ausgelöst hat, sprach ich mit dem rechtspolitischen Sprecher der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion, mit Jerzy Montag. Vielen Dank für das Gespräch.
Montag: Schönen Tag.
Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen!
Degenhardt: Wir haben gehört, wie das in Großbritannien gehandhabt wird. Ist es nicht normal, dass auch hier in Deutschland Denkanstöße diskutiert werden? Muss Ihre Partei da gleich den Rücktritt des Innenministers fordern?
Montag: Wir diskutieren schon zur Sache und fordern nicht nur den Rücktritt des Bundesinnenministers, sondern wir sagen vorneweg, wenn es Probleme bei der rechtsstaatlichen Verfolgung islamistischer Terroristen gibt, wenn es Gesetzeslücken gibt, dann reden wir darüber, dann analysieren wir die Schwächen und dann beteiligen wir uns auch an Problemlösungen. Wenn es aber darum geht, unseren Rechtsstaat umzubauen in einen Präventionsstaat, wenn es darum geht, dass der Verfassungsschutzminister Schäuble zu einem Verfassungsabschaffungsminister wird, dann sagen wir, hier ist die Grenze, er überschreitet sie, er ist für dieses Amt nicht geeignet.
Degenhardt: Das heißt, der Bundesinnenminister stellt Ihrer Meinung nach den Rechtsstaat infrage?
Montag: Er stellt ihn nicht nur infrage, sondern er will ihn in Teilbereichen, zu denen er sich äußert, abschaffen. Immerhin gilt bei uns die Regel, dass sich der Innenminister an die Verfassung zu halten hat, und nicht die Verfassung nach den Wünschen des Bundesinnenministers zu ändern ist. Aber genau das fordert Schäuble jeden Tag, indem er sagt, er will den Bundeswehreinsatz im Innern haben, er will die Grenze zwischen Krieg und Frieden auflösen – besonders empörend, er will eine staatliche Lizenz zum Töten.
Degenhardt: Was ist denn aber verwerflich daran, wenn der Innenminister Extremfälle und damit verbundene möglicherweise ungeklärte Rechtsfragen anspricht?
Montag: Jeder kann bei uns debattieren, diskutieren, selbst das Undenkliche zu Gehör bringen, aber er ist dann auf dem Stuhl des Bundesinnenministers der Falsche.
Degenhardt: Machen wir es mal praktisch: Was ist zum Beispiel mit der vorsorglichen Inhaftierung von Terrorverdächtigen? Es gibt doch auf der anderen Seite den Unterbindungsgewahrsam für Hooligans, oder ist das etwas ganz anderes?
Montag: Also man darf in dieser Debatte wirklich nicht Äpfel mit Birnen permanent durcheinanderbringen. Wir haben den Unterbringungsgewahrsam für Hooligans, auch in anderen Fällen kann die Polizei in manchen Bundesländern bis zu 14 Tage Menschen in Haft nehmen, wenn unmittelbar eine Störung der öffentlichen Ordnung droht. Wenn klar ist, dass Hooligans zu einem Fußballspiel wollen, um dort Randale zu machen, dann darf die Polizei sie festhalten, bis das Fußballspiel beendet ist. Mit solchen Vergleichen werden Nebelkerzen gezündet, das ist nicht das, was Herr Schäuble will. Er möchte doch niemanden für paar Tage in Gewahrsam nehmen, weil klar ist, dass derjenige oder diejenige irgendeine Ordnung stören will. Er will Menschen, von denen er behauptet, sie seien Terroristen, wozu er aber keine Beweise liefert, vielleicht auch nicht liefern kann, vorsorglich in Haft nehmen. So was nannte man in Deutschland früher mal Schutzhaft. Ich empfehle Herrn Schäuble bei jedem Vorschlag, zuerst einmal in Karlsruhe nachzufragen, dann kriegt er die Antwort auf seine Vorschläge.
Degenhardt: Aber wir haben gerade im Beitrag aus London gehört, dass die Kollegen dort, die Politiker viel weiter sind. Es gibt zwar Proteste, aber es gibt keinen Aufschrei in der Bevölkerung. Warum sind wir hier in Deutschland da offensichtlich zögerlicher, wenn es darum geht, unsere Antiterrormaßnahmen zu effektivieren?
Montag: Also es gibt in England natürlich auch eine lebhafte und sehr kontroverse Diskussion, etwas anderes hätte ich von einer so alten und ehrwürdigen Demokratie auch gar nicht erwartet. Und wir haben festzustellen, dass trotz erweiterter Befugnisse der Polizei in England es dort zu Terroranschlägen kommt und auch zu Versuchen von solchen Anschlägen. Bei uns in Deutschland arbeitet die Polizei höchst effektiv. Wir wissen, dass die Sicherheitsbehörden die Gefährder, wenn sie denn zur Tat schreiten wollen, im Griff hat. Es gibt keine Lücken im System, über die wir gerne diskutieren würden, wenn Herr Schäuble sie uns konkret benennen würde. Und verfassungswidrige Vorschläge zu machen, ist zwar leicht, aber eines Innenministers nicht würdig.
Degenhardt: Weil Sie jetzt den Bundesinnenminister, Herr Montag, noch mal angesprochen haben, in der "Süddeutschen Zeitung" war gestern bezogen auf die Schäuble-Vorschläge von einer notwendigen Provokation die Rede. Diese Notwendigkeit sehen Sie also nicht?
Montag: Ich erkenne sie als Notwendigkeit in der Strategie des Bundesinnenministers Schäuble. Er provoziert eine Debatte, provoziert lautstarke Proteste, um hinter dieser Wolke des verbalen und diskutiven Aufruhrs hindurchzuschlüpfen mit den Vorschlägen, die er tatsächlich durchsetzen will. Ich bin auch nicht der Auffassung, dass Herr Schäuble tatsächlich denkt, er könnte den politisch motivierten und staatlich angeordneten Mord in Deutschland durchsetzen. Er will unterhalb dieser Diskussionsschwelle das erreichen, was seit Jahren sein Ziel ist: Er will das Grundgesetz ändern lassen, um die Bundeswehr im Innern einsetzen zu können, er will den Rechtsstaat in einen Präventionsstaat umwandeln, und er will uns alle, alle Bürgerinnen und Bürger dieses Staates, präventiv im Auge haben können. Das sind seine Ziele, das ist die Taktik, die er verfolgt. Und wir Grünen erkennen das und diskutieren ganz rational und vernünftig über die Situation.
Degenhardt: Über die Sicherheitsdebatte, die der Bundesinnenminister ausgelöst hat, sprach ich mit dem rechtspolitischen Sprecher der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion, mit Jerzy Montag. Vielen Dank für das Gespräch.
Montag: Schönen Tag.