Jenseits von starren Kategorien
01.09.2009
Jeder trägt ein Bild des Zweiten Weltkriegs in sich, eine auf historischem Wissen und Erzählungen gegründete Vorstellung von sechs der schrecklichsten Jahre, die den europäischen Kontinent heimgesucht haben, eine Vorstellung, die zusammengehalten wird von Mutmaßungen und Assoziationen.
Nach der Lektüre von Norman Davis' dickem Buch über den Zweiten Weltkrieg wird wohl jeder sein Bild verändert haben. Davis stellt zwar keine revolutionären Thesen auf, sondern verrückt die Dinge nur etwas - aber dadurch erscheint vieles plötzlich in anderem Licht.
In einem ersten großen Kapitel lässt der Autor die Chronologie des Krieges ablaufen und schafft Zusammenhänge. Wobei er weder Zahlen anhäuft noch trockene Fakten aneinanderreiht, sondern erzählt. Einen der folgenden Abschnitte bezeichnet er als "Soldaten" und beschreibt darin alles Militärische: Von den Helden bis zur Sanität, von den Waffen bis zur politischen Kontrolle, jeweils die großen Akteure der Alliierten und der Achsenstaaten vergleichend. Ebenso macht er es im Kapitel "Zivilisten". Übereinander gelegt ergeben die einzelnen Bereiche alsbald ein plastisches Bild des Geschehens zwischen 1939 und 1945.
Für den Autor ist wesentlich, den Raum zu benennen, in dem am Intensivsten gekämpft wurde: Die größten Schlachten, die größten Verluste ereigneten sich in Osteuropa und der damaligen Sowjetunion. Moskaus damalige und spätere Vasallenstaaten hatten am meisten zu leiden. Große Regionen mussten wechselnde Besatzungen - einmal der Wehrmacht, einmal der Roten Armee - über sich ergehen lassen, verbunden mit dem jeweiligen Terror beider Regime.
Davis lässt dabei keinen Zweifel: Es gab nicht Gut und Böse in reiner Form. An der Ostfront, schreibt er, standen sich zwei Ungeheuer gegenüber. Auch die Alliierten hatten sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht, insbesondere die Sowjetunion. Sie hatte schon lange, bevor der Krieg ausbrach, Konzentrationslager geschaffen, unter Stalin wurden Millionen Menschen umgebracht, oft wahllos, lediglich, um ein Klima des Schreckens im Land aufrechtzuerhalten. Dem Westen wirft Davis vor, jahrelang dem sowjetischen Regime allzu arglos aufgesessen zu sein. Ebenso frech wie Hitler seine anfänglichen Erfolge einfahren konnte, ohne dass die demokratische Welt protestierte, so rücksichtslos verfuhr auch Stalin. Großbritannien und die USA wagten nicht, ihm in den Arm zu fallen, teils aus Feigheit, teils aus Desinteresse. Am deutlichsten bekam Polen die Ignoranz seiner Verbündeten zu spüren, Immer wieder ließen die Westmächte Polen im Stich und beugten sich dem Diktat Stalins.
Davis erzählt dies alles ohne Gehässigkeit, mit der kühlen Genauigkeit des Chronisten. Er verweist auf schier unglaubliche Zahlen – an Opfern, an Material, an Soldaten, an investiertem Geld. Trotzdem ist sein Buch kein trockener Bericht, sondern ein spannendes Lesebuch über den Zweiten Weltkrieg, das man mitunter atemlos verschlingt. Es kann einen Beitrag dazu leisten, dass künftig Hitler und Stalin als Diktatorenpaar auf gleicher Stufe der Bösartigkeit gesehen werden, ohne deshalb die Gräueltaten der Nazis in irgendeiner Weise zu schmälern oder zu relativieren.
Besprochen von Stefan May
Norman Davis: Die große Katastrophe - Europa im Krieg 1939 - 1945
Aus dem Englischen von Thomas Bertram und Harald Stadler
Droemer Verlag, München 2009
848 Seiten, 36 Euro
In einem ersten großen Kapitel lässt der Autor die Chronologie des Krieges ablaufen und schafft Zusammenhänge. Wobei er weder Zahlen anhäuft noch trockene Fakten aneinanderreiht, sondern erzählt. Einen der folgenden Abschnitte bezeichnet er als "Soldaten" und beschreibt darin alles Militärische: Von den Helden bis zur Sanität, von den Waffen bis zur politischen Kontrolle, jeweils die großen Akteure der Alliierten und der Achsenstaaten vergleichend. Ebenso macht er es im Kapitel "Zivilisten". Übereinander gelegt ergeben die einzelnen Bereiche alsbald ein plastisches Bild des Geschehens zwischen 1939 und 1945.
Für den Autor ist wesentlich, den Raum zu benennen, in dem am Intensivsten gekämpft wurde: Die größten Schlachten, die größten Verluste ereigneten sich in Osteuropa und der damaligen Sowjetunion. Moskaus damalige und spätere Vasallenstaaten hatten am meisten zu leiden. Große Regionen mussten wechselnde Besatzungen - einmal der Wehrmacht, einmal der Roten Armee - über sich ergehen lassen, verbunden mit dem jeweiligen Terror beider Regime.
Davis lässt dabei keinen Zweifel: Es gab nicht Gut und Böse in reiner Form. An der Ostfront, schreibt er, standen sich zwei Ungeheuer gegenüber. Auch die Alliierten hatten sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht, insbesondere die Sowjetunion. Sie hatte schon lange, bevor der Krieg ausbrach, Konzentrationslager geschaffen, unter Stalin wurden Millionen Menschen umgebracht, oft wahllos, lediglich, um ein Klima des Schreckens im Land aufrechtzuerhalten. Dem Westen wirft Davis vor, jahrelang dem sowjetischen Regime allzu arglos aufgesessen zu sein. Ebenso frech wie Hitler seine anfänglichen Erfolge einfahren konnte, ohne dass die demokratische Welt protestierte, so rücksichtslos verfuhr auch Stalin. Großbritannien und die USA wagten nicht, ihm in den Arm zu fallen, teils aus Feigheit, teils aus Desinteresse. Am deutlichsten bekam Polen die Ignoranz seiner Verbündeten zu spüren, Immer wieder ließen die Westmächte Polen im Stich und beugten sich dem Diktat Stalins.
Davis erzählt dies alles ohne Gehässigkeit, mit der kühlen Genauigkeit des Chronisten. Er verweist auf schier unglaubliche Zahlen – an Opfern, an Material, an Soldaten, an investiertem Geld. Trotzdem ist sein Buch kein trockener Bericht, sondern ein spannendes Lesebuch über den Zweiten Weltkrieg, das man mitunter atemlos verschlingt. Es kann einen Beitrag dazu leisten, dass künftig Hitler und Stalin als Diktatorenpaar auf gleicher Stufe der Bösartigkeit gesehen werden, ohne deshalb die Gräueltaten der Nazis in irgendeiner Weise zu schmälern oder zu relativieren.
Besprochen von Stefan May
Norman Davis: Die große Katastrophe - Europa im Krieg 1939 - 1945
Aus dem Englischen von Thomas Bertram und Harald Stadler
Droemer Verlag, München 2009
848 Seiten, 36 Euro