Jens Sparschuh: "Ich glaube, sie haben uns nicht gesucht"

Rezensiert von Michael Opitz |
Jens Sparschuh hat seinem 1997 erschienenen Erzählungsband "Ich dachte, sie finden uns nicht" eine kleine Verstecklehre eingeschrieben. In der gleichnamigen Titelgeschichte hegt der Autor gewisse Hoffnungen, dass man ihn und die Seinen in jenen im Umbruch befindlichen Zeiten nach 1989 in der Eintrachtstraße im Berliner Norden vielleicht übersehen würde.
Doch solche Hoffnungen erweisen sich sehr bald als trügerisch. Vor dem Entdeckungsenthusiasmus der Nachwendezeit konnte auch die auf dem Stadtplan nur wenige Millimeter lange Straße nicht verschont bleiben. Aussitzen ließen sich die draußen vehement um sich greifenden Veränderungen nur schlecht. Und wer es versuchte, wie die zentrale Figur in Sparschuhs Roman "Der Zimmerspringbrunnen", sah sich plötzlich mit dem Umstand konfrontiert, dass man dennoch umgezogen worden war, auch wenn man sich nicht aus dem Haus begeben hatte.

Nach acht Jahren hat Jens Sparschuh nun unter dem schönen Titel "Ich glaube, sie haben uns gar nicht gesucht" den zweiten Teil seiner archäologischen Reminiszenzen vorgelegt. Nicht nur beide Titel korrespondieren miteinander, sondern auch den in beiden Bänden versammelten Geschichten ist eine gemeinsame Intention unterlegt: Absicht des Autors ist es gerade nicht, waches Zweifeln zu zerstreuen, sondern die wie hingestreut daherkommenden Geschichten fügen sich zu einem Zeitbild, aus dem sich Geschichte, aber auch Gegenwart entziffern lässt.

Erneut zeigt sich Sparschuh als subtiler Beobachter, der mit dem unbestechlichen Blick des Flaneurs seine unmittelbare Umgebung in Augenschein nimmt und dabei zu dem Schluss kommt: Mag sein, dass da einiges gefunden wurde, aber ebenso sicher ist sich der Autor auch, dass Entscheidendes grandios verfehlt wurde. Demnach gibt es unterschiedliche Weisen des Suchens, und Sparschuh macht mit seinen Geschichten deutlich, dass es bei dem Suchen, das ihm vorschwebt, gerade nicht um Besitzergreifen geht. Wenn er sich ans Entdecken und Erkunden macht, dann bereitet ihm das Auffinden von Dingen, die man überhaupt nicht gesucht hat wie in dem Journal einer Harzreise mit dem Titel "Sagenhafte Gegend", offensichtlich die größte Freude. Aber solche Entdeckungen macht der Autor auch, wenn er nicht in fremden Gegenden umherschweift, sondern Exkursionen in die eigenen Erinnerungslandschaften unternimmt wie in der Geschichte "Weltall, Erde, Mensch – und ich?" Das Ich, das hier wie ein Appendix, als fragwürdige Zugabe dem grenzenlosen Universum anhängt, macht nicht nur in dieser Geschichte die Erfahrung, dass es in den Weiten des Alls nicht gänzlich verloren, aber auch alles andere als aufgehoben ist.

Jens Sparschuh: Ich glaube, sie haben uns nicht gesucht. Zerstreute Prosa.
Kiepenheuer & Witsch
Köln 2005. 221 Seiten