Jens König: Gregor Gysi - Eine Biographie

Rezensiert von Olaf Leitner · 12.08.2005
Rechtszeitig zur Bundestagswahl hat der Journalist Jens König eine Biografie über den PDS-Politiker Gregor Gysi vorgelegt. Der Protagonist selbst wurde dafür zwar nicht befragt, dennoch ist es König gelungen, ein umfassendes Bild sowohl von Gysis Werdegang als auch von der inneren Struktur der DDR zu zeichnen.
Am 21. September 1995 beschloss der Bundestag die Erhöhung der Abgeordnetendiäten und koppelte sie an die Gehälter der Bundesrichter. Die Talkshow "3 nach 9" nahm dies tags darauf zum Anlass, einen Fachmann zu befragen, den Abgeordneten Gregor Gysi von der PDS, die, wie auch die FDP, dagegen gestimmt hatte.

Gysi: "Ein Ossi-Anwalt als Moralist im gesamtdeutschen Parlament - er hatte die Lacher auf seiner Seite: So liebt man Gregor Gysi und verflucht ihn. Eine intelligente, fachkundige, amüsante und für manche höchst dubiose Persönlichkeit. "

Im März 2001 erschien in der "tageszeitung" die Rezension eines Buches von Gregor Gysi. Enttäuschend sei das Buch, hieß es da, es halte nicht, was es verspreche, Gysi liefere nur Floskeln. Der Rezensent war Jens König, von 1989 bis 94 Chefredakteur der "Jungen Welt" und heute Leiter des Parlamentsbüros der "taz". König muss irgendwann beschlossen haben, das nachzuliefern, was er bei Gysi vermisst hatte, und so entstand eine 350-seitige Biografie des Politikers. Schlichter Titel: "Gregor Gysi".

Für sein Buch hat König viele Zeit- und Weggenossen des Gregor Gysi interviewt, sein Protagonist selbst aber ließ sich nicht befragen. So holte sich König wichtige Details aus Gysis Umfeld, und da er sehr gründlich recherchiert hat, ist dies letztlich nicht nur ein Buch über Gysi geworden, sondern eines über die DDR und ihre innere Struktur.

Geboren 1948 in Berlin, wächst Gysi, Neffe der Schriftstellerin Doris Lessing, quasi in einem exterritorialen Gebiet auf, in kulturvollem Ambiente und mit Kindermädchen:

"Den meisten DDR-Bürgern bleibt die Welt versperrt, zu den Gysis kommt sie nach Hause. Kampfgefährten aus der Zeit der Emigration (…), Verwandtschaft, die über die halbe Welt verstreut ist. (…)So ist es nicht verwunderlich, dass er Jahre später einräumt, die Abschottung der DDR in ihrem wirklichen Ausmaß lange nicht wahrgenommen zu haben. "

Die Leserschaft kommt jenen intellektuellen Hitler-Verfolgten nah, die sich auf der Flucht vor der Gestapo ins westliche Ausland durchgeschlagen hatten, aber nach Rückkehr, trotz ihrer erworbenen Weltgewandtheit, der Partei gegenüber strikte Loyalität wahrten und sich ihr widerspruchslos bis zur Selbstaufgabe unterwarfen. Unter ihnen waren viele Juden, zu denen auch in Teilen der Gysi-Clan gehörte. Gregor Gysi selbst bekennt sich nicht zum Judentum, weiß aber, schreibt König, "dass es nahezu unmöglich ist, sich dieser jüdischen Herkunft entziehen zu wollen." Und er zitiert Gysi:

"Im Scherz habe ich auch schon gesagt, dass es komisch ist, wenn jeder meine jüdischen Vorfahren kennt, aber keiner weiß, dass ich auch eine adlige Großmutter hatte. "

Großmutter Tatjana Lessing war eine geborene von Schwanebach. Klaus Gysi, der Vater, der "Übervater", hatte als Altkommunist, Widerstandskämpfer und loyal-dogmatischer Parteigenosse in der DDR Karriere gemacht, war bis zum Kulturminister aufgestiegen, war hie und da gestürzt und bald wieder auf wichtige Posten gesetzt worden. Trotz beinharter Identifikation mit der SED-Linie agierte er im Detail geschmeidig, war hoch gebildet, eloquent, ein Schürzenjäger und nicht ohne boshafte Ironie. Gelegentlich glaubt man, in ihm den Sohn Gregor wieder zu erkennen. Und umgekehrt.

Dessen Leben wird von Jens König nicht chronologisch aufgezeichnet, sondern in Zeitabschnitten, die einer Spannungsdramaturgie des Autors folgen. Es beginnt mit der Wende, die den DDR-Staranwalt Gysi in die Politik schleudert und ihn zum letzten SED- und zum ersten PDS-Chef aufsteigen lässt. Seinen bis dahin größten Auftritt hatte er am 4. November 89 anlässlich der großen Demonstration der Kunst- und Kulturschaffenden auf dem Berliner Alexanderplatz, wo sich etwa eine halbe Million Menschen versammelt hatten.

(…)

Mit kleinen Pointen wie dieser, die das Publikum erheitern, verschaffte er sich ein gutes Entrée für seine Rede, die knackige Aperçus enthielt wie jenes: "Die beste Staatssicherheit ist immer noch die Rechtssicherheit".

Laut Biograph König war Gregor Gysi seitens der DDR und besonders seitens der Endzeit-SED das wichtigste Rad im Getriebe, er war das Zünglein an der Waage politischer Prozesse und Entscheidungen. Er sicherte als Anwalt die aufkeimenden demokratischen Aktivitäten durch ständige Verweise auf die DDR-Verfassung in Richtung Obrigkeit ab und machte gar Egon Krenz, den letzten SED-Generalsekretär, mit dem Rechtssystem der DDR vertraut. Krenz’ens wohlwollende Kommentierung des Massakers in Peking indes war wenig geeignet, ihm großes Wohlwollen entgegen zu bringen. Dennoch nahm ihn Gysi an jenem 4. November am Alex in Schutz, denn Krenz habe sich bei den Leipziger Demonstrationen gegen den Einsatz von Gewalt entschieden - - -

(…)

Einen Großteil des Buches widmet Jens König der Frage, ob der Verdacht, Gysi habe für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet und ihm Informationen über seine Mandanten geliefert, zutrifft. Akribisch hat er die immer wieder gegen Gysi vorgebrachten Vorwürfe, Anklagen und Unterstellungen sowie Gysis Gegenklagen und Verteidigungsstrategien überprüft, er hat dazu ganz offensichtlich ein sehr umfangreiches Aktenmaterial studiert, ausgewertet und im Buch dokumentiert. Da gerät man beim Lesen bisweilen an die Grenze der Aufnahmefähigkeit. Eindeutige Antworten fand König nicht:

"Hat er nun für die Stasi gearbeitet oder nicht? Das bleibt für fast jeden, der an Gysi denkt, die Frage aller Fragen. Ist das ungerecht, weil es über zehn Jahre komplizierter Anwaltstätigkeit in der DDR im Spannungsfeld zwischen Staatsmacht und Opposition auf eine einzige Frage reduziert? Zeigt es nicht, dass der Stasi und ihrem perfiden Überwachungssystem bis heute Macht über Menschen gegeben wird? "

Gregor Gysi hat prominente Dissidenten und Regimegegner wie Robert Havemann, Rudolf Bahro oder Bärbel Bohley verteidigt oder juristisch beraten. Seine wirksamste Waffe gegen die Justizwillkür waren seine exzellenten Kenntnisse der DDR-Verfassung und der Gesetzbücher. Und seine Eloquenz.

"Gysi war die personifizierte Restelite des Ostens. Er erklärte den Ostdeutschen die Veränderungen, die sie nicht verstanden. Er nahm ihnen die Sprachlosigkeit, er war ihre Stimme. Er behauptete sich im Westen stellvertretend für sie. Das machte es ihnen leichter, mit ihrem Minderwertigkeitskomplex zu leben. "

König lobt Gysis Einfühlungskraft und seinen Drang, politische Haltungen miteinander zu versöhnen. Der Privatmann Gregor Gysi jedoch bleibt weiter im Nebel. Diese Biografie ist eine faktenpralle, gut lesbare Fleißarbeit, sie erinnert an eine widersprüchliche DDR-Wirklichkeit. Sie ist auch ein brauchbares Geschichtsbuch.
Jens König: Gregor Gysi
Jens König: Gregor Gysi© Rowohlt Verlag