Jens Eisel: "Cooper"

Rätselhafter Robin Hood der Lüfte

05:27 Minuten
Auf dem Cover ist die gezeichnete Silhouette eines Mannes mit Anzug zu sehen, der an einem roten Fallschirm hängt. Zu seinen Füßen flattern Dollarnoten durch die Luft. Auf der roten Fläche des Fallschirms sind Autorenname und Buchtitel zu sehen.
© Piper Verlag

Jens Eisel

CooperPiper, München 2022

225 Seiten

22,00 Euro

Von Hans von Trotha · 17.03.2022
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1971 entführt Dan Cooper in den USA ein Flugzeug. Er entkommt mitsamt Lösegeld per Fallschirm und wird nie wieder gesehen. Für diesen wahren Kriminalfall schreibt Jen Eisel in seinem Roman ein fiktives Ende. Doch auch das lässt Fragen offen.
USA, November 1971. Ein Flugzeug wird entführt. Es ist ein spektakulärer Fall. Eine Bombe kommt zum Einsatz. Der Entführer, Pseudonym: Dan Cooper, verlässt das Flugzeug mitsamt dem Lösegeld per Fallschirm. Weder das Geld noch der Täter werden je gefunden. Nach 45 Jahren schließt das FBI die Akte.
Wo Polizei, Gerichte und Geschichtsschreibung an ihre Grenzen stoßen, fängt Literatur an. Doch die Grenzen sind fließend. Das Instrument, in dem sich Fakten und Fiktion begegnen, ist die Hypothese. Für die einen ist sie ein Arbeitsmittel, das Indizien- und Beweisketten in Gang setzt.
Für den Schriftsteller ist sie Futter für die Fantasie. Und so macht sich Jens Eisel in seinem zweiten Roman daran, den Fall literarisch aufzuklären, den das FBI hat liegen lassen.

Ein Fall aus vier Perspektiven

Der Autor sortiert die ihm zugänglichen Fakten und Hinweise, besucht Schauplätze, nimmt lose Enden auf und vervollständigt sie zu einer Geschichte. Genau genommen sind es sogar vier. Eisel erzählt seine Story aus verschiedenen Perspektiven: der des Entführers („Richard hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass sich das Leben frontal auf ihn zubewegte“), einer Stewardess (damals hießen sie noch so), eines Piloten und eines FBI-Agenten.
Das literarische Vorgehen ist heikel, und es birgt Gefahren. So muss beim Überführen von Spekulationen in literarische Wahrheiten nicht nur die Glaubwürdigkeit der Psychogramme ein ums andere Mal hergestellt, sondern auch die Spannung immer wieder aufgebaut werden. Atmosphäre und Zeitkolorit liefern denkbar knappe Hinweise auf den historischen Kontext: Nixons Amerika ist im Krieg gegen Vietnam, im Radio läuft Deep Purple.

Schnörkellos und dialogreich erzählt

Überhaupt umschifft Eisel die Klippen, die seine erzählerische Versuchsanordnung bereithält, mithilfe eines auffällig schnörkellosen, dialogreichen Erzählens, nicht in der ersten Person, aber jeweils nah dran. Wie kaum eine Entführungserzählung kommt auch er nicht ohne eine Abwandlung des Stockholm-Syndrom-Motivs aus, der Identifikation von Entführten mit Entführern.
Hier nutzt Eisel die Gelegenheit nicht, die ihm die Multiperspektivität geboten hätte, etwa die Stewardess, die dem Entführer nahekommt und ein anderes Bild von ihm hätte zeichnen können als eine Medien-Öffentlichkeit, die ihn zum subversiven Robin Hood stilisiert.

Trotz Lösung bleiben Fragen offen

Coopers Verhalten während der Entführung ist schwer zu deuten: „Entweder war der Typ völlig übergeschnappt, oder er wusste ganz genau, was er tat.“ Das bringt Spannung in Eisels Versuchsanordnung, die letztlich dem Motto folgt, das er seinem FBI-Agenten in den Mund legt: „Menschen neigen dazu, nach Zusammenhängen zu suchen. Das liegt einfach in der Natur unserer Spezies.“
Diese Natur lotet Eisel aus, überraschend unaufgeregt und zurückhaltend angesichts der Dramatik der Situationen. Diese mittlere Distanz zum Geschehen kann man als besonders reizvoll und angenehm, aber auch als irritierend reserviert empfinden. Sie ermöglicht es dem Autor, am Ende seines interessanten literarischen Experiments eine Lösung zu suggerieren und die Sache doch auch wieder offen zu halten.
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