Jens Balzer: "Pop und Populismus"

"Ein rechtes Woodstock habe ich nirgendwo gefunden"

09:42 Minuten
Jens Balzer , aufgenommen im Oktober 2016, auf der 68. Frankfurter Buchmesse, in Frankfurt/Main (Hessen).
Untersucht den Pop im Debattengetümmel: Jens Balzer. © picture alliance/dpa-Zentralbild/Arno Burgi
Jens Balzer im Gespräch mit Vivian Perkovic · 13.05.2019
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Die Neue Rechte bedient sich ähnlicher Provokationsstrategien wie ehemals die 68er, sagt der Autor und Kolumnist Jens Balzer. Allerdings fehle ihr ein "Soundtrack".
Vivian Perkovic: Pop wird oft verstanden als das Gegenteil von Politik, glänzende Flächen, Emotionen, Feierei. Dabei war, ist und wird Pop auch immer gerade durch alles eben Erwähnte politisch sein. Von Anbeginn des Pop war er eine Reaktion auf gesellschaftliche Erwartungen und auch Zwänge, und er ist es immer noch als Plattform für manchmal queere, manchmal brachiale Identitäten.
Das Feld zwischen Pop und Populismus hat der Popkritiker und Autor Jens Balzer untersucht und ein Buch mit diesem Titel geschrieben. Vor der Sendung war Jens Balzer bei uns im Studio, und ich habe ihn zuerst gefragt, was denn Pop mit Populismus zu tun hat.
Jens Balzer: Das steckt ja eigentlich schon im Wort. Also Pop ist das Populäre, dann entsprechend auch das Populistische, wobei das Populistische ja eigentlich wiederum nicht das Populäre ist - also tatsächlich eine komplizierte Gemengelage.
Ich fand es interessant, das mal zueinander in Beziehung zu setzen, weil einerseits natürlich auffällig ist, dass, sagen wir, so die populistische Politik sich bestimmter Strategien bedient, die man aus der Populärkultur kennt und auch aus der Populärmusik, das aber andererseits trotz eines, sagen wir mal, Rechtsrucks, den man ja gesamtgesellschaftlich wahrnehmen kann und trotz einer auch immer konservativer werdenden Stimmungslage in der Popmusik, wie ich glaube, die man konstatieren kann, sich eigentlich für das, was man so die Neue Rechte nennt, kein wirklicher Soundtrack findet.
Es gibt schon so eine Bewegung ins Konservative hinein, aber das endet dann immer kurz davor, dass sich die Künstler und Künstlerinnen, die relevant in der Popkultur und in der Popmusik sind, dann doch nicht vereinnahmen lassen für die Neue Rechte. Warum eigentlich nicht, das war so eine der Fragen, die ich mir gestellt habe.

Es gibt kein rechtes Woodstock

Perkovic: Und so muss man dieses Buch auch lesen. Also, Sie machen da jetzt nicht eine Linie von der Erfindung des Pop –
Balzer: Nein.
Perkovic: – zu den Neuen Rechten, aber dieses ineinander ins Verhältnis setzen und diese Spannungsfelder dazwischen aufmachen, das ist total spannend, und man findet eigentlich alle aktuellen Debatten der jüngeren Vergangenheit wieder.
Sie ziehen da zum Beispiel eine Linie zwischen den Erfindern oder den Multiplikatoren des Pop, also den 68ern, die im vergangenen Jahr ja großes Jubiläum hatten, zu den Neuen Rechten. Was haben denn die 68er und die Rechten gemeinsam?
Balzer: Ja, das ist die Frage. Das wird immer behauptet, sie hätten viel miteinander gemeinsam. Das ist ja so der Debattenstand. Die Neuen Rechten sind gewissermaßen auch die neuen 68er, haben viele von den Provokationstechniken übernommen, die die 68er so hatten, also und auch den Glamour des jugendkulturellen Aufbruchs, das wird zumindest mal behauptet, aber wenn man näher hinguckt, muss man zumindest feststellen, dass es sowas wie, sagen wir mal… ein rechtes Woodstock habe ich bisher nirgendwo gefunden, und eine nennenswerte rechte Popmusik eigentlich auch nicht.
Jedenfalls gibt es nichts, was gerade jetzt so diesen subkulturellen Arm der Neuen Rechten, also den Identitären irgendwie als Soundtrack in irgendeiner Weise nahegekommen wäre, außer einigen versprengten und eher auch im Underground dann rezipierten Figuren.
Es gibt so einen neurechten Rapper, Komplott heißt der, in Halle, oder so ein skurriles Frauenquintett in Frankreich, das dann an der Speerspitze steht, aber wirkliche Gallionsfiguren - also selbst da, wo es ideologisch oder vom Weltbild her doch eine starke Nachbarschaft gäbe – also sagen wir mal Andreas Gabalier, der ja auch sehr nah an der FPÖ ist in Österreich – fehlt dann trotzdem immer doch der letzte Move, mehr zu sagen: so ich musiziere jetzt für euch.
Das bringt mich eigentlich zu der Ansicht, dass es so mit diesem Vergleich zwischen den 68ern und den Neuen Rechten doch nicht so weit her ist, also dass denen zumindest irgendwie alles fehlt, was so eine längerfristige popkulturelle Erdung bedeuten könnte.

Von rechts ist "kulturell nichts erschaffen worden"

Perkovic: Also sie kannibalisieren eigentlich eher so die Aufmerksamkeitsmaschine, die die Popkultur ja ist, und benutzen die für ihre Zwecke.
Balzer: Sagen wir mal, sie sind destruktiv. Also sie benutzen das irgendwie, die Provokationsmechanismen, um eingefahrene Routinen zu zerstören – das mag schon sein –, aber es fehlt ihnen... Also, es ist von rechts kulturell einfach nichts erschaffen worden, also so wie man sagen kann, also auch zu den 68ern und Woodstock, gab es ja jetzt auch durchaus gespannte Beziehungen, wie wir wissen, wenn wir in die Geschichte zurückblicken, aber es gibt natürlich eine breite, gerade in den 70er-Jahren, eine breite Verbindung zwischen den emanzipatorischen Bewegungen und der Popkultur, also Disco und die queere Bewegung. Das gibt es bei den Neuen Rechten alles nicht.
Perkovic: Spannend finde ich auch, also nicht nur zu gucken, was haben sie sich abgeguckt, was benutzen und laden sie mit neuen Inhalten neu auf, sondern ist vielleicht auch die Spaltung der Gesellschaft oder das Erstarken der Rechten eine Reaktion darauf, was der Pop so lange vorgemacht hat?
Der Pop ja als Vehikel für immerwährende Distinktion, für das Ausleben der eigenen, oft ja auch queeren Minderheitsidentität, wo gerade im Pop ganz große Plattformen, sehr große, erfolgreiche Plattformen da waren für Minderheiten. Kann man das Erstarken der Rechten als Gegenreaktion lesen?

Schlechte Gags über Auschwitz-Insassen

Balzer: Ich weiß nicht, ob man es als Gegenreaktion lesen kann. Also, das Buch beginnt mit diesem Kollegah- und Farid-Bang-Skandal beim Echo 2018, mit diesen inkriminierten Zeilen über die Auschwitz-Insassen sind schlechte Gags gemacht worden. Wenn man sich das mal ansieht, wie überrascht alle waren, dass da jetzt auch sowas wie antisemitische und auch diese extrem sexistischen Inhalte im Mainstream sich plötzlich verankert haben, dann stellt man ja fest, wenn man näher hinguckt, wir haben einfach nicht genau das verfolgt, was da in den letzten Jahren passiert ist.
Tatsächlich ist es so, dass wenn man das in der Geschichte gerade des deutschen Straßenrap zurückverfolgt bis Anfang der Nuller-Jahre, dass dieser enorme Boom des Sexismus und Antisemitismus und der Homophobie da schon ganz …
Perkovic: Aber wie hängt das denn mit rechts zusammen? Also gerade Straßenrap würde man ja jetzt auf’s erste Hören nicht unbedingt mit der erstarkenden Neuen Rechten zusammenbringen. Was sehen Sie da für Gemeinsamkeiten?
Balzer: Na ja, das mag schon sein irgendwie, aber ich glaube sehr, dass man sich auch aus diesem klassischen Rechts-Links-Lager verabschieden muss, weil natürlich sind Homophobie und Sexismus keine emanzipatorischen Strategien, und natürlich ist es so, dass am Ende des Tages Rapper wie Bushido, Kollegah und Farid Bang die gleichen Weltbilder und ideologischen Einstellungen vertreten wie die AfD.
Das wird bloß von der linken Popkritik immer ungern so miteinander in Beziehung gesetzt, weil es politisch nicht korrekt ist und weil natürlich die einen irgendwie von den anderen auch diskriminiert werden, aber am Ende des Tages – das wäre eine der Thesen des Buches –, vielleicht haben gerade die migrantisch geprägten Deutschrapper der Nuller-Jahre als nützliche Idioten der neuen biodeutschen Rechten gedient, weil sie dabei geholfen haben, deren reaktionäre Weltbilder in der Popkultur zu implementieren.

Die Sensibilität hat zugenommen

Perkovic: Und weil beide Seiten - auch da vielleicht eine Gemeinsamkeit - bei beiden eine Befremdung herrscht über das Selbstbewusstsein der Minderheitsidentitäten, die im Pop ja immer eine Plattform gefunden haben. Sie schreiben im Untertitel Ihres Buches auch von der Verantwortung.
Also jetzt gerade haben Sie die linke Popkritik schon angegangen und dieses Beispiel genannt von Kollegah und Farid Bang, wo alle sagten, huch, Antisemitismus im Rap, Sexismus im Rap, wo natürlich aber auch nach der #MeToo-Debatte noch mal eine neue Aufmerksamkeit und auch ein neuer Hebel für die Umsetzung, weil ich meine, die Kritik am Rap, die war ja schon langweilig, weil das misogynistisch ist und so, das hatten wir schon alle immer gehört und immer gesagt. Das hatte aber nie eine Wirkung. Da hat sich jetzt aber was geändert, oder?
Balzer: Ja, ich glaube tatsächlich, wir sind an einem Punkt, wo die Sensibilität dafür sehr viel stärker geworden ist als in den letzten Jahren und Jahrzehnten und wo man auch, sagen wir mal, solche Phänomene wie Sexismus im Deutschrap oder auch dann Antisemitismus nicht nur im Deutschrap, sondern auch in verschiedenen popkulturellen Formen, irgendwie mit einer größeren Aufmerksamkeit verfolgt.
Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass diese Sensibilisierung aufseiten der, sagen wir mal, emanzipatorischen Kräfte auch zu so einer Hypersensibilisierung geführt hat... Das haben wir auch eigentlich viel diskutiert unter dem Thema Identitätspolitik und was ist da los. Das kann man aber in den Debatten über den Pop auch betrachten, wo auf der Seite der Linken mehr Energie darauf verwandt wird, sich gegenseitig auf die Finger zu klopfen und zu zerfleischen und die Diskurse zu destruieren, als tatsächlich mal gemeinsam irgendwie so die Kontrahenten und Kontrahentinnen von der Seite der Neuen Rechten ins Visier zu nehmen.
Das ist ein Phänomen, das auch einen ganz zentralen Punkt hat bei der Beschreibung der gegenwärtigen Diskurslage und dass natürlich der Populismus von links genauso problematisch ist wie der Populismus von rechts. Ist auch eine der Thesen dieses Buches.

Aus dem Debattengetümmel zurückziehen

Perkovic: Ganz praktisch jetzt: Wie sollen denn auch zum Beispiel die Popkritik, aber auch der gemeine Hörer, die gemeine Hörerin, mit dieser Verantwortung, die Sie denen ja zuschreiben, wie damit umgehen?
Balzer: Ich glaube, die Popkritik müsste erst mal wieder versuchen, sich aus diesem Debattengetümmel zurückzuziehen. Ich habe das Gefühl, es sind alle gerade dabei, sich irgendwie einem bestimmten Lager zuzuordnen und dann jeweils von links nach rechts oder auch Binnen-links immer aufeinander rumzuhauen und sich Versäumnisse vorzuwerfen.
Ich glaube, es fehlt einfach erst mal eine Beschreibung der Lage: Wie genau funktioniert diese Polarisierung, die die Gesellschaft und die Popkultur gerade ergriffen hat, und wie hängen dann vielleicht auch, sagen wir mal, sowas wie identitäre Phänomenologien von links mit welchen von rechts zusammen, und wie kann man das gemeinsam in den Blick kriegen?
Ich glaube, die Kritik müsste erst mal wieder in die Verantwortung kommen, die Sache genau zu beschreiben, anstatt sich irgendwie sofort ins Getümmel zu werfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Jens Balzer: "Pop und Populismus: Über Verantwortung in der Musik"
Körber Stiftung, 2018
208 Seiten, 17 Euro

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