"Jeder sollte sich so akzeptieren, wie er ist"
Nach Einschätzung des Jugendarztes Wolfram Hartmann zeigt die hohe Zahl von Schönheits-OPs bei Minderjährigen, dass die Eltern nicht mehr in der Lage sind, mit Vernunft auf ihre Kinder einzuwirken. Wenn Probleme mit der eigenen Körperwahrnehmung bestehen, "dann gibt es eher die Indikation, psychologisch als operativ einzugreifen", sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
Frank Meyer: Die deutsche Bundesregierung denkt über ein Gesetz zu Schönheitsoperationen nach und darüber, ob man solche Operationen bei Jugendlichen nicht generell verbieten sollte. Angesichts der Zahlen scheint es Anlass für solche Überlegungen zu geben. Laut Vereinigung Plastischer Chirurgen werden zehn Prozent aller Schönheits-OPs an unter 20-Jährigen vorgenommen. Und es gibt Umfragen, nach denen 40 Prozent aller Mädchen von neun bis 14 sich gerne Fett absaugen lassen würden. Dr. Wolfram Hartmann, der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte ist jetzt für uns am Telefon. Wolfram Hartmann, es ist ziemlich schwierig, belastbare Zahlen über Schönheits-OPs bei Minderjährigen zu bekommen. Welche Zahlen kennen Sie denn? Wie groß ist das Problem überhaupt?
Dr. Wolfram Hartmann: Genaue Zahlen kennen wir nicht. Aber die Schätzungen liegen bei etwa 100.000 Operationen pro Jahr.
Meyer: Und welche Operationen werden da vorgenommen? Sind das die heute typischen Schönheits-OPs, neuer Busen, Fettabsaugen, neue Nase oder etwas ganz anderes?
Hartmann: Der größte Teil sind wahrscheinlich Operationen, die wir tolerieren können, nämlich das Anlegen der Ohren. Aber es gibt selbstverständlich auch einen nicht gering zu schätzenden Anteil an Operationen an der Brust, die nicht medizinisch indiziert sind. Und es gibt Operationen im Bereich der Nase, die nicht medizinisch indiziert sind. Und dann kommt das, was Sie eben schon in Ihrer Moderation genannt haben, Fettabsaugen.
Meyer: Und wie sollte man in Zukunft, wenn es tatsächlich ein solches Verbot geben sollte, wie sollte man dann abgrenzen zwischen medizinisch nötigen Operationen und zwischen unnötigen Operationen?
Hartmann: Das ist eigentlich kein Problem. Man sollte in jedem Fall einen Kinder- und Jugendarzt bzw. einen Kinderchirurgen zu Rate ziehen. Bei den abstehenden Ohren, die zu psychischen Belastungen führen, haben wir keine Probleme, hier eine Indikation zu stellen. Selbstverständlich auch nicht bei Operationen an der Nase, die mit einer Beeinträchtigung der Nasenatmung verbunden sind. Und natürlich bei allen angeborenen Fehlbildungen oder bei Veränderungen durch Tumoren oder Veränderungen durch Unfallfolgen.
Meyer: Und wie ist es bei einem Mädchen, das kommt, sagen wir mal, einen viel zu großen Busen hat, nach persönlichem Empfinden, und sagt, ich leide psychisch darunter, Sie müssen mir helfen?
Hartmann: Wenn es eine Asymmetrie der Brust ergibt, oder wenn die Brust so groß ist, dass sie massive Rückenbeschwerde verursacht, dann lässt sich selbstverständlich eine medizinische Indikation für einen operativen Eingriff finden. Aber die meisten Mädchen klagen ja über zu kleine Brüste. Und das ist sicherlich keine medizinische Indikation. Man muss ja auch bedenken, dass solche operativen Eingriffe an der Brust Folgen haben können, insbesondere ein Stillhindernis sein können. Und deshalb empfehlen wir den jungen Damen, sich doch mit ihrer Brustgröße zufrieden zu geben. Es gibt nicht die ideale Brustgröße.
Und deshalb ist es ganz wichtig, dass wir als Erwachsene den jungen Leuten eigentlich beibringen, dass sie an sich einen gesunden Körper, einen intakten Körper haben, dass sie sich selbst mit ihrem Erscheinungsbild zufrieden geben und nicht irgendwelchen Idealen anhängen, die ohnehin unerreichbar sind, und dabei vergessen, dass solche operativen Eingriffe, die ja in aller Regel in Narkose stattfinden, auch erhebliche Komplikationen haben können.
Meyer: Ja, wie groß sind denn überhaupt die Folgeschäden? Man spricht davon, dass bei bis zu einem Viertel aller Patienten Schäden auftreten, Begleiterscheinungen von Schönheitsoperationen. Welche Erfahrungen machen Sie dann im Bereich Kinder- und Jugendbehandlung?
Hartmann: Wir sehen selbstverständlich nach dem Fettabsaugen, dass es Narben gibt oder dass es Vertiefungen gibt, die sehr unschön sind. Man sieht nach Brustoperationen chronische Entzündungen. Man sieht aber eben auch, dass die Brüste anschließend asymmetrisch sind. Man sieht auch Wundheilungsstörungen. Das Ergebnis ist nicht immer so, wie die Patienten sich das vorstellen.
Meyer: Wenn so viele dieser Operationen schiefgehen, dann ist das ja auch ein Problem der Ausbildung der Ärzte und der Zulassung der Ärzte in diesem Bereich. Darüber wird ja jetzt auch diskutiert in der Bundesregierung. Wäre das nicht ein gangbarer Weg, statt zu sagen, wir verbieten so etwas generell bei Kindern und Jugendlichen, zu sagen, wir müssen die Qualifikation der Ärzte und deren Verantwortlichkeit verbessern?
Hartmann: Das ist grundsätzlich so, dass die Qualifikation der Ärzte auf dem höchsten Niveau sein muss. Aber trotzdem müssen wir in unserer Gesellschaft doch kritisch hinterfragen, ob es richtig ist, dass jemand mit seinem normalen Erscheinungsbild völlig unzufrieden ist und seinen Körper stylen möchte nach irgendeinem Vorbild. Wir sind schließlich keine Knetmasse, die man nach Belieben formen kann, sondern jeder ist ein Individuum. Jeder sollte sich so akzeptieren, wie er ist. Er sollte mit seinem Ich zurechtkommen, und wenn hier Probleme bestehen, dann gibt es eher die Indikation, psychologisch einzugreifen als operativ einzugreifen.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Dr. Wolfram Hartmann, dem Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte über Schönheitsoperationen bei Minderjährigen. Es gibt nun die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie in Deutschland. Die warnt vor einem solchen Verbot dieser Operationen, weil sie dann die Gefahr eines globalen Schönheitstourismus sieht, weil dann die Kinder und Jugendlichen eventuell ins Ausland ausweichen, wo wohlmöglich gepfuscht wird. Das muss man ja in unserer globalisierten Welt mitbedenken, wenn wir etwas bei uns durch Verbote zu regeln versuchen, dass es heute die Möglichkeit gibt, ins Ausland auszuweichen. Wäre das nicht eine realistische Gefahr?
Hartmann: Das nächste Ausland ist das europäische Ausland, und die EU gibt uns ohnehin sehr viele Richtlinien vor. Warum sollte die deutsche Bundesregierung nicht auch mal bei der EU darauf drängen, dass hier ein internationaler Standard erreicht wird, der entsprechend vorbildhaft sein kann? Das muss ja nicht sein, dass die Jugendlichen ins Ausland gehen. Wir werden das sicherlich nicht immer verhindern können. Aber das kann kein Grund dafür sein, medizinisch nicht indizierte Eingriffe in Deutschland zu genehmigen.
Meyer: Die Gesetzeslage ist ja so, dass heute die Eltern zustimmen müssen, wenn Kinder und Jugendliche zu solchen Operationen gehen. Was wissen Sie denn darüber, wer da der treibende Keil ist bei solchen Entscheidungen? Sind es mehr die Kinder, oder sind es oft auch die Eltern, die mit dem Aussehen ihrer Kinder unzufrieden sind?
Hartmann: Es sind mehr die Kinder, und die Eltern sind häufig nicht in der Lage, nicht dem Wunsch der Kinder nachzugeben, sondern sich dem zu widersetzen und mit Vernunft auf die Kinder einzuwirken.
Meyer: Sehen Sie denn Möglichkeiten aus Ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, diese junge Menschen besser gegen den Schönheits- und Normierungswahn unserer Gesellschaft zu schützen?
Hartmann: Wir versuchen, das den Jugendlichen im Gespräch klarzumachen. Aber wir sind natürlich nur ein Teil der Bezugspersonen der Jugendlichen. Der wichtigste Teil ist natürlich das Elternhaus und natürlich die Stärkung des Selbstbewusstseins der Jugendlichen durch Elternhaus, durch die Schule, dass sie nicht solchen Einflüssen, die von den Medien auf sie eindringen, nachgeben.
Dr. Wolfram Hartmann: Genaue Zahlen kennen wir nicht. Aber die Schätzungen liegen bei etwa 100.000 Operationen pro Jahr.
Meyer: Und welche Operationen werden da vorgenommen? Sind das die heute typischen Schönheits-OPs, neuer Busen, Fettabsaugen, neue Nase oder etwas ganz anderes?
Hartmann: Der größte Teil sind wahrscheinlich Operationen, die wir tolerieren können, nämlich das Anlegen der Ohren. Aber es gibt selbstverständlich auch einen nicht gering zu schätzenden Anteil an Operationen an der Brust, die nicht medizinisch indiziert sind. Und es gibt Operationen im Bereich der Nase, die nicht medizinisch indiziert sind. Und dann kommt das, was Sie eben schon in Ihrer Moderation genannt haben, Fettabsaugen.
Meyer: Und wie sollte man in Zukunft, wenn es tatsächlich ein solches Verbot geben sollte, wie sollte man dann abgrenzen zwischen medizinisch nötigen Operationen und zwischen unnötigen Operationen?
Hartmann: Das ist eigentlich kein Problem. Man sollte in jedem Fall einen Kinder- und Jugendarzt bzw. einen Kinderchirurgen zu Rate ziehen. Bei den abstehenden Ohren, die zu psychischen Belastungen führen, haben wir keine Probleme, hier eine Indikation zu stellen. Selbstverständlich auch nicht bei Operationen an der Nase, die mit einer Beeinträchtigung der Nasenatmung verbunden sind. Und natürlich bei allen angeborenen Fehlbildungen oder bei Veränderungen durch Tumoren oder Veränderungen durch Unfallfolgen.
Meyer: Und wie ist es bei einem Mädchen, das kommt, sagen wir mal, einen viel zu großen Busen hat, nach persönlichem Empfinden, und sagt, ich leide psychisch darunter, Sie müssen mir helfen?
Hartmann: Wenn es eine Asymmetrie der Brust ergibt, oder wenn die Brust so groß ist, dass sie massive Rückenbeschwerde verursacht, dann lässt sich selbstverständlich eine medizinische Indikation für einen operativen Eingriff finden. Aber die meisten Mädchen klagen ja über zu kleine Brüste. Und das ist sicherlich keine medizinische Indikation. Man muss ja auch bedenken, dass solche operativen Eingriffe an der Brust Folgen haben können, insbesondere ein Stillhindernis sein können. Und deshalb empfehlen wir den jungen Damen, sich doch mit ihrer Brustgröße zufrieden zu geben. Es gibt nicht die ideale Brustgröße.
Und deshalb ist es ganz wichtig, dass wir als Erwachsene den jungen Leuten eigentlich beibringen, dass sie an sich einen gesunden Körper, einen intakten Körper haben, dass sie sich selbst mit ihrem Erscheinungsbild zufrieden geben und nicht irgendwelchen Idealen anhängen, die ohnehin unerreichbar sind, und dabei vergessen, dass solche operativen Eingriffe, die ja in aller Regel in Narkose stattfinden, auch erhebliche Komplikationen haben können.
Meyer: Ja, wie groß sind denn überhaupt die Folgeschäden? Man spricht davon, dass bei bis zu einem Viertel aller Patienten Schäden auftreten, Begleiterscheinungen von Schönheitsoperationen. Welche Erfahrungen machen Sie dann im Bereich Kinder- und Jugendbehandlung?
Hartmann: Wir sehen selbstverständlich nach dem Fettabsaugen, dass es Narben gibt oder dass es Vertiefungen gibt, die sehr unschön sind. Man sieht nach Brustoperationen chronische Entzündungen. Man sieht aber eben auch, dass die Brüste anschließend asymmetrisch sind. Man sieht auch Wundheilungsstörungen. Das Ergebnis ist nicht immer so, wie die Patienten sich das vorstellen.
Meyer: Wenn so viele dieser Operationen schiefgehen, dann ist das ja auch ein Problem der Ausbildung der Ärzte und der Zulassung der Ärzte in diesem Bereich. Darüber wird ja jetzt auch diskutiert in der Bundesregierung. Wäre das nicht ein gangbarer Weg, statt zu sagen, wir verbieten so etwas generell bei Kindern und Jugendlichen, zu sagen, wir müssen die Qualifikation der Ärzte und deren Verantwortlichkeit verbessern?
Hartmann: Das ist grundsätzlich so, dass die Qualifikation der Ärzte auf dem höchsten Niveau sein muss. Aber trotzdem müssen wir in unserer Gesellschaft doch kritisch hinterfragen, ob es richtig ist, dass jemand mit seinem normalen Erscheinungsbild völlig unzufrieden ist und seinen Körper stylen möchte nach irgendeinem Vorbild. Wir sind schließlich keine Knetmasse, die man nach Belieben formen kann, sondern jeder ist ein Individuum. Jeder sollte sich so akzeptieren, wie er ist. Er sollte mit seinem Ich zurechtkommen, und wenn hier Probleme bestehen, dann gibt es eher die Indikation, psychologisch einzugreifen als operativ einzugreifen.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit Dr. Wolfram Hartmann, dem Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte über Schönheitsoperationen bei Minderjährigen. Es gibt nun die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie in Deutschland. Die warnt vor einem solchen Verbot dieser Operationen, weil sie dann die Gefahr eines globalen Schönheitstourismus sieht, weil dann die Kinder und Jugendlichen eventuell ins Ausland ausweichen, wo wohlmöglich gepfuscht wird. Das muss man ja in unserer globalisierten Welt mitbedenken, wenn wir etwas bei uns durch Verbote zu regeln versuchen, dass es heute die Möglichkeit gibt, ins Ausland auszuweichen. Wäre das nicht eine realistische Gefahr?
Hartmann: Das nächste Ausland ist das europäische Ausland, und die EU gibt uns ohnehin sehr viele Richtlinien vor. Warum sollte die deutsche Bundesregierung nicht auch mal bei der EU darauf drängen, dass hier ein internationaler Standard erreicht wird, der entsprechend vorbildhaft sein kann? Das muss ja nicht sein, dass die Jugendlichen ins Ausland gehen. Wir werden das sicherlich nicht immer verhindern können. Aber das kann kein Grund dafür sein, medizinisch nicht indizierte Eingriffe in Deutschland zu genehmigen.
Meyer: Die Gesetzeslage ist ja so, dass heute die Eltern zustimmen müssen, wenn Kinder und Jugendliche zu solchen Operationen gehen. Was wissen Sie denn darüber, wer da der treibende Keil ist bei solchen Entscheidungen? Sind es mehr die Kinder, oder sind es oft auch die Eltern, die mit dem Aussehen ihrer Kinder unzufrieden sind?
Hartmann: Es sind mehr die Kinder, und die Eltern sind häufig nicht in der Lage, nicht dem Wunsch der Kinder nachzugeben, sondern sich dem zu widersetzen und mit Vernunft auf die Kinder einzuwirken.
Meyer: Sehen Sie denn Möglichkeiten aus Ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, diese junge Menschen besser gegen den Schönheits- und Normierungswahn unserer Gesellschaft zu schützen?
Hartmann: Wir versuchen, das den Jugendlichen im Gespräch klarzumachen. Aber wir sind natürlich nur ein Teil der Bezugspersonen der Jugendlichen. Der wichtigste Teil ist natürlich das Elternhaus und natürlich die Stärkung des Selbstbewusstseins der Jugendlichen durch Elternhaus, durch die Schule, dass sie nicht solchen Einflüssen, die von den Medien auf sie eindringen, nachgeben.