"Jeder kann Opfer der Willkür werden"

Die Verurteilung des russischen Unternehmers Michail Chodorkowski wurde im Westen allgemein als politischer Schauprozess angesehen, bei dem ein unliebsamer Gegner des russischen Präsidenten Putin kaltgestellt werden sollte. Doch dies sei nicht der erste Fall, sagte die russische Journalistin Sonja Margolina in <em>Fazit</em>:
"Die Zeit der politischen Prozesse in Russland hat schon lange begonnen."

Schon oft seien Menschen wegen angeblicher Spionage verurteilt worden, ohne dass handfeste Beweise geliefert worden seien. Chodorkowskis Fall sei nur der "lauteste", weil er bekannt sei, ein Milliardär, der Putin angegriffen habe.

Auf die Frage, ob sich Russland auf dem Weg in eine Diktatur befinde, antwortete Margolina:

"Es ist bereits eine. Das Regime ist ein Polizeistaat. Jeder kann zum Opfer der Willkür werden oder als Opfer zum Täter stigmatisiert werden. Das Recht kann in Russland gekauft werden."

Scharfe Vorwürfe erhob Margolina gegen die westlichen Regierungen: Die Opposition in Russland erwarte kritische Worte zur Regierung Putin, vor allem zu Menschenrechtsverletzungen. Die "Männerfreundschaft" zwischen Putin und Bundeskanzler Schröder werde von Teilen der Opposition stark kritisiert.

Viele könnten die Wende des Westens nicht nachvollziehen: zu Sowjetzeiten hatten die westlichen Regierungen stets Menschenrechtsverletzungen in Russland angeprangert, heute bleibt das aus. Der Westen sehe nur noch seinen eigenen Vorteil, kritisierte Margolina.

Die Opposition selbst habe in Russland keine starke Stimme, meint Margolina. Es bleibe ihr nur die Möglichkeit, in Zeitungen zu publizieren, doch die seien nicht sehr weit verbreitet. Das einzige Medium, das alle Menschen in Russland erreicht, sei das Fernsehen und das sei staatlich kontrolliert.

Auf die Frage, warum es derzeit einen so starken Stalin-Kult in Russland gebe, antwortete die Journalistin:

"Die Menschen sehnen sich nicht nach der Stalin-Zeit zurück. Eher ist eine Nostalgie nach der Breschnjew-Zeit weit verbreitet. Die Stalin-Verehrung ist einfach ein Protest gegen die jetzigen Verhältnisse."