Jeder gegen jeden

29.06.2010
Der salvadorianische Publizist Horacio Castellanos Moya erzählt aus heutiger Sicht, wie der Diktator Hernández Martínez in El Salvador 1944 gestürzt wurde. Der Roman zeigt eine Gesellschaft, in der jede Gruppe um Einfluss und Macht kämpft.
Länder wie das mittelamerikanische El Salvador betrachtet man gerne als Bananenrepubliken, beherrscht von Operettengenerälen. Für ihre gewaltbereiten Offiziere sind sie bekannter als für ihre Literaten.

Der Journalist, Schriftsteller und Herausgeber Horacio Castellanos Moya gibt in fast allen seiner 14 Bücher Einblicke in das Leben einer solchen instabilen Gesellschaft – und das mit deutlich weniger Lust an der Exotik der Barbarei als sein älterer Kollege García Marquez.

Castellanos Moya ist Salvadorianer, aber bezeichnenderweise ist er im Nachbarland Honduras geboren, als seine Eltern dort im Exil waren. Auch er selbst hat die meiste Zeit seines Lebens außerhalb seiner Heimat verbracht – und doch eine große Zahl von Romanen geschrieben, für die die Bezeichnung "Heimatromane" ebenso zutreffend wäre wie für die Werke Thomas Bernhards.

Den Österreicher hat sich Castellanos Moya auch einmal ganz offen zum literarischen Vorbild genommen ("El Asco. Thomas Bernhard en El Salvador", 1997) und eine bittere Tirade über sein Land verfasst. Seine Wut richtete sich vor allem gegen die Ignoranz der mit dem Militär allzu eng verflochtenen Oberschicht, gegen Machismo und Gewaltbereitschaft.

In dem Roman "Der schwarze Palast" erzählt Castellanos Moya vom Sturz des salvadorianischen Diktators Hernández Martínez durch einen Generalstreik im Jahr 1944 – einer der wenigen gelungenen Akte zivilen Ungehorsams in der Geschichte Lateinamerikas.

So positiv der Ausgang dieser Episode war, so bitter ist der Blick des Autors darauf. Zunächst wird die Geschichte aus der Sicht der Ehefrau und Mutter politisch Verfolgter erzählt, der bürgerlichen Hausfrauen, die bei Kaffee und Kuchen Flugblätter entwerfen und vervielfältigen. Der Tonfall ist rührend - und täuschend – naiv, denn das Gewirr von widersprüchlichen Interessen und unbegreiflichen Hierarchien, politischen Zielen und Mordlust ist für diese Erzählfigur noch weniger durchschaubar als für die Drahtzieher selbst.

Auf einer anderen Erzählebene befinden sich ihr Sohn und ihr Neffe nach einem ersten misslungenen Aufstandsversuch auf der Flucht und fügen dem Ganzen viel Lokalkolorit und komische Verzweiflung hinzu. Doch am Ende des Romans erfährt man, dass Hoffnung, Angst und der Sturz des Diktators nur eine kurze Episode waren, bestenfalls ein Etappensieg in einer fortdauernden Geschichte der Gewalt.

Castellanos Moya zeigt mit seinem historischen Roman eine Gesellschaft, in der jede Gruppe gnadenlos um Einfluss und Macht kämpft, gemeinsam oder gegeneinander, ohne demokratische Skrupel, ohne Rücksicht, ohne Hoffnung auf ein Ende. Es ist eine Geschichte des Scheiterns, der Bitterkeit und eines tiefen Pessimismus, der nach dem Lesen noch lange nachhallt.

Besprochen von Katharina Döbler

Horacio Castellanos Moya: Der schwarze Palast
Aus dem Spanischen von Stefanie Gerhold
S. Fischer Verlag, Berlin 2010
336 Seiten, 19,95 Euro