"Jede Art von Regulierung führt zu mehr Bürokratie"
Der Österreicher Michael Maier plädiert für weniger staatliche Kontrolle und mehr interaktive Nutzerbeteiligung im Netz. Er leitete unter anderem die "Netzeitung" und hat ein Buch über die Revolution durch das Internet geschrieben.
Dieter Kassel: In der vergangenen Woche hat Ibrahim Evsan, Gründer des Videoportals Sevenload und Mitglied des Medienbeirates Nordrhein-Westfalen hier in unserem Programm ein Bundesnetzministerium gefordert. Die Politik brauche mehr Kompetenz, um das Handeln nicht digitalen Supermächten wie zum Beispiel Google zu überlassen, sagte er, andernfalls sehe er schwarz für unsere digitale Zukunft. Man kann da auch optimistischer sein wie zum Beispiel Michael Maier. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die ersten Tage der Zukunft. Wie wir mit dem Internet unser Denken verändern und die Welt retten können". Und er kennt beide Seiten. Die gute alte analoge Printwelt, war Chefredakteur von "Stern" und "Berliner Zeitung", hat bei anderen Medien gearbeitet, war dann der Chefredakteur der "Netzeitung" und ist jetzt so eine Art Herausgeber bei der Readers Edition. Das ist eine Internetseite, auf der ganz normale Leser Artikel zu diversen Themen veröffentlichen können. Michael Maier ist jetzt bei uns im Studio, schönen guten Tag!
Michael Maier: Guten Morgen!
Kassel: Brauchen wir ein Netzministerium und eine Art Internetminister?
Maier: Aus meiner Sicht klares Nein. Ich glaube, dass die Politik vielmehr lernen muss, die vielen Stimmen, die es im Internet gibt, zu verstehen, zu hören und mit denen richtig umzugehen. Ich glaube, jede Art von Regulierung – das zeigt die ganze Entwicklung in Europa – führt zu mehr Bürokratie, führt zu mehr Komplexität und wenn Sie vor allem die Staaten anschauen. Wer sagt uns eigentlich, dass die Staaten eigentlich immer die "Guten" unter Anführungszeichen sind? Nehmen Sie das Beispiel China und der Kampf gegen Google oder überhaupt die Zensur, die es in China gibt. Die haben Netzminister ohne Ende. Wenn wir diese Art von Internet haben wollen, glaube ich, tun wir niemandem etwas Gutes. Und ich bin deswegen auch Optimist, weil die Entwicklung des Internet in den vergangenen Jahren zeigt, dass die Leute mündig sind, dass sie sehr wohl eine Stimme haben, dass sie unglaublich viel zu sagen haben und dass sie auch smart sind und sich Gehör verschaffen können.
Kassel: Aber ist nicht trotzdem ein so großes Medium wie das Internet auch eine Angelegenheit für den Staat? Schließlich werden Radio und Fernsehen, ja auch die Zeitungen immer auch durch Gesetze reguliert und kontrolliert, und das Internet zum Teil ja nicht.
Maier: Ich glaube, da muss man verschiedene Traditionen sehen. Das ist eine typisch deutsche Herangehensweise. In Amerika haben Sie das Konzept Free Speech, wo überhaupt nichts, was Medien ist, vom Staat reguliert wird, was im Bereich der Kommerzialisierung zu bedauerlichen Entwicklungen geführt hat und dazu führt, dass die Amerikaner sehnsüchtig auf die öffentlich-rechtlichen Institutionen in Europa oder in Deutschland zumal schauen. Umgekehrt haben Sie eben ein ganz anderes Bürgerengagement. Sie haben dort eben, wenn Sie den Wahlkampf Obama nehmen, Sie haben dort wirklich Tausende Menschen, die sich involvieren, die sagen, okay, die freie Rede, die Meinungsäußerung, die politische Gestaltung ist nicht zu delegieren an irgendeinen Apparat, sondern ist meine Bürgerpflicht, mein Bürgerrecht, und das nehme ich gerne wahr und das nehme ich aktiv wahr. Und da glaube ich unterschätzt man Deutschland auch. Wir haben, also auch in den Recherchen zu meinem Buch haben wir festgestellt, in Deutschland tut sich wahnsinnig viel. Es stimmt einfach nicht, dass die Deutschen verschlafen sind und sich für nichts interessieren. Die sind unglaublich vital, wenn Sie den Wissenschaftsbereich nehmen, wenn Sie den Kulturbereich nehmen. Und was Sie da im Internet an Vielfalt finden, ist einfach sensationell.
Kassel: Aber sind da Parallelwelten entstanden? Sie sprechen auch in Ihrem Buch von den alten Eliten und dementsprechend natürlich die neuen. Die Neuen sind das, was Sie gerade meinten, was sich da Spannendes im Internet tut, auf allen möglichen Bereichen. Und die Alten, das sagen Sie auch in Ihrem Buch, die kommen Ihnen manchmal so vor, als sitzen sie auf einem Zaun und gucken sich das spannende Internet aus sicherem Abstand an.
Maier: Das ist glaube ich schon so, wobei die das nicht als spannendes, sondern als bedrohendes Internet sehen. Und ich halte eine Diskussion für problematisch, nämlich die Vermischung von Geschäftsmodell-Diskussionen, wie es die Zeitungen und Verlage machen, mit der Frage von Kommunikation und Information. Wir wissen heute noch nicht, ob viel Kommunikation, die über das Internet läuft, überhaupt ein Geschäftsmodell hat, wenn Sie Wikipedia nehmen, wo Tausende Artikel geschrieben werden von Freiwilligen, ohne dass dafür Geld bezahlt wird, und deren Qualität. Ich habe ein Forschungssemester in Harvard gemacht. Als ich dort hinkam, war Wikipedia das Feindbild schlechthin. Heute sind selbst die ehrwürdigen Institutionen wie Harvard so, dass sie sagen, wie können wir Wikipedia besser machen, wo also sozusagen aus Bürgersinn heraus eine Initiative geschieht. Und ich denke mal, wenn Sie jetzt die Hörer Ihres Senders nehmen, wenn Sie die alle von der Leine lassen, ist das super. Also ich glaube, das würde eine unglaubliche Kraft entwickeln an Wissen, an Erfahrung, an Sachkompetenz, da kann ich nur ermutigen dazu. Die Zahl der Wahnsinnigen ist, glaube ich, relativ überschaubar. Und wenn, glaube ich auch, dass die Community mittlerweile Mechanismen gefunden hat, sich auch selbst zu kontrollieren.
Kassel: Aber ist nicht diese Trennung von einer Diskussion über Geschäftsmodelle und einer Diskussion über die Inhalte, so wie Sie sie gerade gefordert haben, so möglich? Nehmen wir mal als Beispiel die Readers Edition, für die Sie ja auch stehen zusammen mit anderen: Das ist nun eine Seite, ganz entfernt ist das ja das Wikipedia-Prinzip, ganz entfernt. Da kann jeder Artikel schreiben, allerdings gibt es feste Mitarbeiter, die ein bisschen kontrollieren, die auch aufs Presserecht achten, dass die Fakten stimmen, dass keine Beleidigungen stattfinden, aber die Leute schreiben, und sie schreiben eigentlich für den Spaß, für die Ehre, was auch immer. Sie kriegen kein Geld, dadurch werden natürlich Journalisten arbeitslos – Sie brauchen nur noch Kontrolleure, Sie brauchen keine richtigen Journalisten mehr. Wie soll das weitergehen und wie wollen umgekehrt Sie mit Readers Edition – das kann man jetzt als Experiment, kann man immer sagen, Experiment, mal gucken, wo es hingeht, irgendwann müssen Sie ja auch Geld verdienen. Allein die Seite zu haben, kostet doch schon.
Maier: Ja, wir wollen damit ehrlich schon kein Geld verdienen, weil wir der Meinung sind, dass dies ein so neues Modell ist der Partizipation, dass man, wenn man das jetzt mit Geld überfrachtet, bringt man es um. Die Kosten sind überschaubar, die tragen wir aus dem gesamten Unternehmen heraus, gewissermaßen unter dem Gesichtspunkt Forschung und Entwicklung, weil wir sehen wollen, wie verändert sich die Kommunikationskultur. Ihre Frage: Werden Journalisten arbeitslos, die sehe ich total anders. Ich glaube, dass Journalisten viel, viel wichtiger werden in Zukunft, als sie heute sind. Der Unterschied wird nur eben sein, dass sie sich ernsthaft mit Tausenden Quellen im Internet auseinandersetzen werden müssen, dass sie enorme Fachkompetenz entwickeln werden müssen, um zu bewerten, was da an Dialogen, an Diskussionen, auch an Manipulationen abgeht, aber sie werden eben nicht mehr das Monopol haben, dass Sie eben irgendwo schön im warmen Büro sitzen, einen Leitartikel schreiben und dann die Welt sich vor ihnen verneigt und sagt: Jawohl, so ist die Welt! Ich glaube, dass Weltdeutung ein viel stärker diskursives Phänomen sein wird, und darauf werden sich Journalisten einstellen müssen. Also das Gegenteil ist der Fall, Journalisten werden nicht überflüssig, sondern meiner Meinung nach viel, viel wichtiger denn je zuvor.
Kassel: Aber wenn Sie nun sagen, wir machen das im Moment als Experiment, das klingt so ein bisschen so nach Gutmenschen, die der Welt was Gutes tun wollen mit Readers Edition. Die "FAZ" möchte Geld verdienen, der "Spiegel" möchte Geld verdienen, ProSieben möchte Geld verdienen. Daran ist ja auch nichts Schlimmes, aber wenn, und das haben wir im Internet gemerkt, es nun immer die Leute gibt, die aus welchen Gründen auch immer alternativ die Umsonstkultur bieten. Wo soll das hinführen?
Maier: Ja, was heißt Umsonstkultur? Ist die Staatsoper eine Umsonstkultur, weil sie staatlich gefördert wird, in gewisser Weise auch. Also ich glaube, für mich ist entscheidend hier die Frage der Inhalte. Wenn Sie Readers Edition nehmen, nur um ein Beispiel zu geben: Wir haben in den letzten Monaten eine ganz lebendige Diskussion gehabt zwischen Klimaforschern. Die einen haben gesagt, Global Warming gibt es nicht, das ist ein reiner Fake, die anderen haben gesagt, höchste Alarmstufe. Und die haben sich da befetzt auf einem Niveau, das war sensationell. Die haben also gegenseitig sich Grafiken hin- und hergeschoben, also die haben sozusagen zur Wahrheitsfindung enorm beigetragen, während die klassischen Medien erst als dann der Klimagipfel in Kopenhagen war, da sind sie dann so eventmäßig aufgesprungen und haben dann alle mehr oder weniger kenntnisarm darüber berichtet. Ich sag mal, Journalismus ist eine höhere Form der Wertschöpfung, als nur irgendetwas zu schreiben. Und wenn Journalismus eine höhere Wertschöpfung erzeugen kann, indem man stark auf die Kompetenz der Leser zurückgreifen kann, dann wird das auch ein Modell sein. Tatsache ist, dass das Geschäftsmodell Anzeigen, und das ist ja das große Klagen der Verlage zu Recht, ist einfach nicht mehr aufrechtzuerhalten in der Form. Jeder Verleger, den Sie fragen, der wird Ihnen das bestätigen. Die Frage ist nur: Haben die Verlage eigentlich in den letzten Jahren diesen schleichenden Verfall des Journalismus nicht auch mit befördert, indem sie nämlich abgebaut haben? Nehmen Sie, die amerikanischen Zeitungen sind das beste Beispiel. Das oberste Ziel war immer Profit hochhalten. Und wenn man gesehen hat, okay, wir können den Inhalt viel billiger produzieren, dann haben die das schamlos gemacht. Ich glaube, da beklagen jetzt diejenigen, die dazu maßgeblich beigetragen haben, dass da etwas verfallen ist, beklagen da eine Entwicklung, die sie selbst herbeigeführt haben.
Kassel: Da sind wir beim zweiten Mal bei dem Thema kommerzielle Auswüchse, Sie hatten das beim Thema öffentlich-rechtliche Medien oder eben nicht öffentlich-rechtliche in den USA vorhin schon, aber wenn wir über kommerzielle Auswüchse reden, dann gibt es das vielleicht ja auch im Internet, Stichwort Google. Das ist in Ihrem Buch noch der Konzern, der Gutes tut und Gutes will, es ist aber auch ein großer Monopolist. Und wenn ich nun sehe, wie es ja immer noch, vielleicht sind die anderen auch nur zu dumm, aber immer noch in der Kerntechnik Suchmaschine keine ernst zu nehmende Konkurrenz gibt wegen Yahoo, erwarten Sie, was Sie wollen, für mich ist das noch lange nicht so weit, wenn es je passieren wird. Wenn ich höre, dass Google inzwischen die Daten so sehr sammelt, dass man zum Beispiel mit Goggel, einer neuen Technik, die ist da, in Deutschland ist die auf dem Handy nur noch nicht freigeschaltet, da könnte ich Sie jetzt fotografieren, und wenn ich nicht wüsste, wer Sie sind, könnte ich dann aus dem Internet in zehn Sekunden erfahren, das ist der Michael Maier, der in Klagenfurt geboren wurde und mal die "Netzeitung" geleitet hat. Sie sind auch in gewissen Grenzen eine Person des öffentlichen Interesses, es geht aber auch mit Privatleuten. Macht Ihnen so eine Entwicklung keine Angst, dass ein kommerzieller Konzern, wir reden nicht über Wikipedia, so eine Macht hat?
Maier: Ich glaube, die grundsätzliche Frage ist, was heißt Macht oder was heißt Wissen? Ist das Wissen, das andere über mich haben, für mich mehr Bedrohung oder ist es für mich eigentlich – ich kann es von einer ganz einer anderen Seite hergehen, dass ich sag, das ist doch toll, ich kann über jeden meiner Gesprächspartner etwas erfahren, ich kann über Sie etwas erfahren. Bisher konnte ich das nur, wenn ich beim Bundesnachrichtendienst gearbeitet habe oder beim FBI. Mir macht mehr so staatliche Repression à la China Sorgen, mir macht das jedes Mal, wenn ich nach Amerika reise, ärgere ich mich drüber, dass man dort selbstverständlich fotografiert wird, und zwar viel genauer, als mit Google jemals oder Sie mit Ihrer Handykamera fotografieren können, dass meine Fingerabdrücke genommen werden. Ich habe keine Ahnung, wo die hingehen. Und um ehrlich zu sein, ich misstraue der amerikanischen Regierung oder der amerikanischen Politik im Zweifel mehr als einem Konzern wie Google, dessen ...
Kassel: Drehen wir es mal um, drehen wir es mit der Macht mal um. Das ist ja richtig, was Sie sagen, aber man kann immer was Schlimmeres finden, aber es geht ja auch umgekehrt: Wenn Google irgendwann sagt, diesen Michael Maier mit ai aus Österreich mag ich nicht mehr, dann kann Google auch dafür sorgen, dass ich Sie 40 Mal fotografiere und Sie werden nicht erkannt. Diese Macht gibt es ja umgekehrt auch. Ich meine, alle reden immer darum, wie komme ich denn bei Google raus. Wenn ich nicht drin bin, kann man sich auch fragen, wie komme ich denn rein. Das ist ein einziger Konzern, und ob der gut ist oder nicht, es ist ein kommerzielles Unternehmen.
Maier: Aber wenn Sie mal Google genauer betrachten: Mein Hauptproblem mit Google ist ja nicht, dass es so viele Daten sammelt, sondern dass es eigentlich so wenige vernünftige Daten sammelt, denn das Problem am Datensammeln, wenn Sie mal ein bisschen in die Tiefe gehen und zum Beispiel das Thema sagen wir Klimawandel nehmen: Sie brauchen ja Stunden, um bei Google das Richtige überhaupt zu finden. Und wenn Sie die technologischen Entwicklungen ansprechen – Sie haben Bing erwähnt oder andere Suchmaschinen: Wir sind zum Beispiel im Bereich der semantischen Suche heute schon sehr, sehr weit, wo sozusagen kontextbezogen gesucht wird. Die Frage wird dort eher sein, was ist eigentlich, die Persönlichkeitsmacht interessiert mich bei Google nicht so sehr, sondern die wirtschaftliche Macht, die ist ein Problem, natürlich. Die haben Milliarden Cash, auf dem sie sitzen und mit dem sie sehr viel beeinflussen können. Und die Frage wird sein, wie wird sich zum Beispiel die nächste Generation der Suche semantisches Web, Stichwort, wie wird sich das entwickeln und wird Google dort auch wieder alles nehmen. Umgekehrt basiert Google natürlich auch über die Linkstruktur, eben auf dem, was die Leute hineinstellen, und ist so auch irgendwo in der Gemeinschaft verankert. Ich glaube, dass – wir haben es bei vielen Beispielen gesehen, dass es ganz schnell geht, dass Nutzer sich auch abwenden, und dann ist es auch mit der Macht wieder vorbei.
Kassel: Man kann das Internet auch positiv sehen, wird vielleicht manchmal zu selten gemacht. Wer eine dicke Dosis positives Internet will, Michael Maier hat das Buch geschrieben "Die ersten Tage der Zukunft". Buch ist erhältlich, Pendo-Verlag erschienen, war bei uns zu Gast. Wir werden uns der Frage mit dem Netzministerium weiter widmen. Bei Ihnen nehme ich mit, Sie wollen es nicht, und insofern können wir zufrieden sein, wir haben es auch erst mal nicht. Danke fürs Kommen!
Maier: Vielen Dank!
Michael Maier: Guten Morgen!
Kassel: Brauchen wir ein Netzministerium und eine Art Internetminister?
Maier: Aus meiner Sicht klares Nein. Ich glaube, dass die Politik vielmehr lernen muss, die vielen Stimmen, die es im Internet gibt, zu verstehen, zu hören und mit denen richtig umzugehen. Ich glaube, jede Art von Regulierung – das zeigt die ganze Entwicklung in Europa – führt zu mehr Bürokratie, führt zu mehr Komplexität und wenn Sie vor allem die Staaten anschauen. Wer sagt uns eigentlich, dass die Staaten eigentlich immer die "Guten" unter Anführungszeichen sind? Nehmen Sie das Beispiel China und der Kampf gegen Google oder überhaupt die Zensur, die es in China gibt. Die haben Netzminister ohne Ende. Wenn wir diese Art von Internet haben wollen, glaube ich, tun wir niemandem etwas Gutes. Und ich bin deswegen auch Optimist, weil die Entwicklung des Internet in den vergangenen Jahren zeigt, dass die Leute mündig sind, dass sie sehr wohl eine Stimme haben, dass sie unglaublich viel zu sagen haben und dass sie auch smart sind und sich Gehör verschaffen können.
Kassel: Aber ist nicht trotzdem ein so großes Medium wie das Internet auch eine Angelegenheit für den Staat? Schließlich werden Radio und Fernsehen, ja auch die Zeitungen immer auch durch Gesetze reguliert und kontrolliert, und das Internet zum Teil ja nicht.
Maier: Ich glaube, da muss man verschiedene Traditionen sehen. Das ist eine typisch deutsche Herangehensweise. In Amerika haben Sie das Konzept Free Speech, wo überhaupt nichts, was Medien ist, vom Staat reguliert wird, was im Bereich der Kommerzialisierung zu bedauerlichen Entwicklungen geführt hat und dazu führt, dass die Amerikaner sehnsüchtig auf die öffentlich-rechtlichen Institutionen in Europa oder in Deutschland zumal schauen. Umgekehrt haben Sie eben ein ganz anderes Bürgerengagement. Sie haben dort eben, wenn Sie den Wahlkampf Obama nehmen, Sie haben dort wirklich Tausende Menschen, die sich involvieren, die sagen, okay, die freie Rede, die Meinungsäußerung, die politische Gestaltung ist nicht zu delegieren an irgendeinen Apparat, sondern ist meine Bürgerpflicht, mein Bürgerrecht, und das nehme ich gerne wahr und das nehme ich aktiv wahr. Und da glaube ich unterschätzt man Deutschland auch. Wir haben, also auch in den Recherchen zu meinem Buch haben wir festgestellt, in Deutschland tut sich wahnsinnig viel. Es stimmt einfach nicht, dass die Deutschen verschlafen sind und sich für nichts interessieren. Die sind unglaublich vital, wenn Sie den Wissenschaftsbereich nehmen, wenn Sie den Kulturbereich nehmen. Und was Sie da im Internet an Vielfalt finden, ist einfach sensationell.
Kassel: Aber sind da Parallelwelten entstanden? Sie sprechen auch in Ihrem Buch von den alten Eliten und dementsprechend natürlich die neuen. Die Neuen sind das, was Sie gerade meinten, was sich da Spannendes im Internet tut, auf allen möglichen Bereichen. Und die Alten, das sagen Sie auch in Ihrem Buch, die kommen Ihnen manchmal so vor, als sitzen sie auf einem Zaun und gucken sich das spannende Internet aus sicherem Abstand an.
Maier: Das ist glaube ich schon so, wobei die das nicht als spannendes, sondern als bedrohendes Internet sehen. Und ich halte eine Diskussion für problematisch, nämlich die Vermischung von Geschäftsmodell-Diskussionen, wie es die Zeitungen und Verlage machen, mit der Frage von Kommunikation und Information. Wir wissen heute noch nicht, ob viel Kommunikation, die über das Internet läuft, überhaupt ein Geschäftsmodell hat, wenn Sie Wikipedia nehmen, wo Tausende Artikel geschrieben werden von Freiwilligen, ohne dass dafür Geld bezahlt wird, und deren Qualität. Ich habe ein Forschungssemester in Harvard gemacht. Als ich dort hinkam, war Wikipedia das Feindbild schlechthin. Heute sind selbst die ehrwürdigen Institutionen wie Harvard so, dass sie sagen, wie können wir Wikipedia besser machen, wo also sozusagen aus Bürgersinn heraus eine Initiative geschieht. Und ich denke mal, wenn Sie jetzt die Hörer Ihres Senders nehmen, wenn Sie die alle von der Leine lassen, ist das super. Also ich glaube, das würde eine unglaubliche Kraft entwickeln an Wissen, an Erfahrung, an Sachkompetenz, da kann ich nur ermutigen dazu. Die Zahl der Wahnsinnigen ist, glaube ich, relativ überschaubar. Und wenn, glaube ich auch, dass die Community mittlerweile Mechanismen gefunden hat, sich auch selbst zu kontrollieren.
Kassel: Aber ist nicht diese Trennung von einer Diskussion über Geschäftsmodelle und einer Diskussion über die Inhalte, so wie Sie sie gerade gefordert haben, so möglich? Nehmen wir mal als Beispiel die Readers Edition, für die Sie ja auch stehen zusammen mit anderen: Das ist nun eine Seite, ganz entfernt ist das ja das Wikipedia-Prinzip, ganz entfernt. Da kann jeder Artikel schreiben, allerdings gibt es feste Mitarbeiter, die ein bisschen kontrollieren, die auch aufs Presserecht achten, dass die Fakten stimmen, dass keine Beleidigungen stattfinden, aber die Leute schreiben, und sie schreiben eigentlich für den Spaß, für die Ehre, was auch immer. Sie kriegen kein Geld, dadurch werden natürlich Journalisten arbeitslos – Sie brauchen nur noch Kontrolleure, Sie brauchen keine richtigen Journalisten mehr. Wie soll das weitergehen und wie wollen umgekehrt Sie mit Readers Edition – das kann man jetzt als Experiment, kann man immer sagen, Experiment, mal gucken, wo es hingeht, irgendwann müssen Sie ja auch Geld verdienen. Allein die Seite zu haben, kostet doch schon.
Maier: Ja, wir wollen damit ehrlich schon kein Geld verdienen, weil wir der Meinung sind, dass dies ein so neues Modell ist der Partizipation, dass man, wenn man das jetzt mit Geld überfrachtet, bringt man es um. Die Kosten sind überschaubar, die tragen wir aus dem gesamten Unternehmen heraus, gewissermaßen unter dem Gesichtspunkt Forschung und Entwicklung, weil wir sehen wollen, wie verändert sich die Kommunikationskultur. Ihre Frage: Werden Journalisten arbeitslos, die sehe ich total anders. Ich glaube, dass Journalisten viel, viel wichtiger werden in Zukunft, als sie heute sind. Der Unterschied wird nur eben sein, dass sie sich ernsthaft mit Tausenden Quellen im Internet auseinandersetzen werden müssen, dass sie enorme Fachkompetenz entwickeln werden müssen, um zu bewerten, was da an Dialogen, an Diskussionen, auch an Manipulationen abgeht, aber sie werden eben nicht mehr das Monopol haben, dass Sie eben irgendwo schön im warmen Büro sitzen, einen Leitartikel schreiben und dann die Welt sich vor ihnen verneigt und sagt: Jawohl, so ist die Welt! Ich glaube, dass Weltdeutung ein viel stärker diskursives Phänomen sein wird, und darauf werden sich Journalisten einstellen müssen. Also das Gegenteil ist der Fall, Journalisten werden nicht überflüssig, sondern meiner Meinung nach viel, viel wichtiger denn je zuvor.
Kassel: Aber wenn Sie nun sagen, wir machen das im Moment als Experiment, das klingt so ein bisschen so nach Gutmenschen, die der Welt was Gutes tun wollen mit Readers Edition. Die "FAZ" möchte Geld verdienen, der "Spiegel" möchte Geld verdienen, ProSieben möchte Geld verdienen. Daran ist ja auch nichts Schlimmes, aber wenn, und das haben wir im Internet gemerkt, es nun immer die Leute gibt, die aus welchen Gründen auch immer alternativ die Umsonstkultur bieten. Wo soll das hinführen?
Maier: Ja, was heißt Umsonstkultur? Ist die Staatsoper eine Umsonstkultur, weil sie staatlich gefördert wird, in gewisser Weise auch. Also ich glaube, für mich ist entscheidend hier die Frage der Inhalte. Wenn Sie Readers Edition nehmen, nur um ein Beispiel zu geben: Wir haben in den letzten Monaten eine ganz lebendige Diskussion gehabt zwischen Klimaforschern. Die einen haben gesagt, Global Warming gibt es nicht, das ist ein reiner Fake, die anderen haben gesagt, höchste Alarmstufe. Und die haben sich da befetzt auf einem Niveau, das war sensationell. Die haben also gegenseitig sich Grafiken hin- und hergeschoben, also die haben sozusagen zur Wahrheitsfindung enorm beigetragen, während die klassischen Medien erst als dann der Klimagipfel in Kopenhagen war, da sind sie dann so eventmäßig aufgesprungen und haben dann alle mehr oder weniger kenntnisarm darüber berichtet. Ich sag mal, Journalismus ist eine höhere Form der Wertschöpfung, als nur irgendetwas zu schreiben. Und wenn Journalismus eine höhere Wertschöpfung erzeugen kann, indem man stark auf die Kompetenz der Leser zurückgreifen kann, dann wird das auch ein Modell sein. Tatsache ist, dass das Geschäftsmodell Anzeigen, und das ist ja das große Klagen der Verlage zu Recht, ist einfach nicht mehr aufrechtzuerhalten in der Form. Jeder Verleger, den Sie fragen, der wird Ihnen das bestätigen. Die Frage ist nur: Haben die Verlage eigentlich in den letzten Jahren diesen schleichenden Verfall des Journalismus nicht auch mit befördert, indem sie nämlich abgebaut haben? Nehmen Sie, die amerikanischen Zeitungen sind das beste Beispiel. Das oberste Ziel war immer Profit hochhalten. Und wenn man gesehen hat, okay, wir können den Inhalt viel billiger produzieren, dann haben die das schamlos gemacht. Ich glaube, da beklagen jetzt diejenigen, die dazu maßgeblich beigetragen haben, dass da etwas verfallen ist, beklagen da eine Entwicklung, die sie selbst herbeigeführt haben.
Kassel: Da sind wir beim zweiten Mal bei dem Thema kommerzielle Auswüchse, Sie hatten das beim Thema öffentlich-rechtliche Medien oder eben nicht öffentlich-rechtliche in den USA vorhin schon, aber wenn wir über kommerzielle Auswüchse reden, dann gibt es das vielleicht ja auch im Internet, Stichwort Google. Das ist in Ihrem Buch noch der Konzern, der Gutes tut und Gutes will, es ist aber auch ein großer Monopolist. Und wenn ich nun sehe, wie es ja immer noch, vielleicht sind die anderen auch nur zu dumm, aber immer noch in der Kerntechnik Suchmaschine keine ernst zu nehmende Konkurrenz gibt wegen Yahoo, erwarten Sie, was Sie wollen, für mich ist das noch lange nicht so weit, wenn es je passieren wird. Wenn ich höre, dass Google inzwischen die Daten so sehr sammelt, dass man zum Beispiel mit Goggel, einer neuen Technik, die ist da, in Deutschland ist die auf dem Handy nur noch nicht freigeschaltet, da könnte ich Sie jetzt fotografieren, und wenn ich nicht wüsste, wer Sie sind, könnte ich dann aus dem Internet in zehn Sekunden erfahren, das ist der Michael Maier, der in Klagenfurt geboren wurde und mal die "Netzeitung" geleitet hat. Sie sind auch in gewissen Grenzen eine Person des öffentlichen Interesses, es geht aber auch mit Privatleuten. Macht Ihnen so eine Entwicklung keine Angst, dass ein kommerzieller Konzern, wir reden nicht über Wikipedia, so eine Macht hat?
Maier: Ich glaube, die grundsätzliche Frage ist, was heißt Macht oder was heißt Wissen? Ist das Wissen, das andere über mich haben, für mich mehr Bedrohung oder ist es für mich eigentlich – ich kann es von einer ganz einer anderen Seite hergehen, dass ich sag, das ist doch toll, ich kann über jeden meiner Gesprächspartner etwas erfahren, ich kann über Sie etwas erfahren. Bisher konnte ich das nur, wenn ich beim Bundesnachrichtendienst gearbeitet habe oder beim FBI. Mir macht mehr so staatliche Repression à la China Sorgen, mir macht das jedes Mal, wenn ich nach Amerika reise, ärgere ich mich drüber, dass man dort selbstverständlich fotografiert wird, und zwar viel genauer, als mit Google jemals oder Sie mit Ihrer Handykamera fotografieren können, dass meine Fingerabdrücke genommen werden. Ich habe keine Ahnung, wo die hingehen. Und um ehrlich zu sein, ich misstraue der amerikanischen Regierung oder der amerikanischen Politik im Zweifel mehr als einem Konzern wie Google, dessen ...
Kassel: Drehen wir es mal um, drehen wir es mit der Macht mal um. Das ist ja richtig, was Sie sagen, aber man kann immer was Schlimmeres finden, aber es geht ja auch umgekehrt: Wenn Google irgendwann sagt, diesen Michael Maier mit ai aus Österreich mag ich nicht mehr, dann kann Google auch dafür sorgen, dass ich Sie 40 Mal fotografiere und Sie werden nicht erkannt. Diese Macht gibt es ja umgekehrt auch. Ich meine, alle reden immer darum, wie komme ich denn bei Google raus. Wenn ich nicht drin bin, kann man sich auch fragen, wie komme ich denn rein. Das ist ein einziger Konzern, und ob der gut ist oder nicht, es ist ein kommerzielles Unternehmen.
Maier: Aber wenn Sie mal Google genauer betrachten: Mein Hauptproblem mit Google ist ja nicht, dass es so viele Daten sammelt, sondern dass es eigentlich so wenige vernünftige Daten sammelt, denn das Problem am Datensammeln, wenn Sie mal ein bisschen in die Tiefe gehen und zum Beispiel das Thema sagen wir Klimawandel nehmen: Sie brauchen ja Stunden, um bei Google das Richtige überhaupt zu finden. Und wenn Sie die technologischen Entwicklungen ansprechen – Sie haben Bing erwähnt oder andere Suchmaschinen: Wir sind zum Beispiel im Bereich der semantischen Suche heute schon sehr, sehr weit, wo sozusagen kontextbezogen gesucht wird. Die Frage wird dort eher sein, was ist eigentlich, die Persönlichkeitsmacht interessiert mich bei Google nicht so sehr, sondern die wirtschaftliche Macht, die ist ein Problem, natürlich. Die haben Milliarden Cash, auf dem sie sitzen und mit dem sie sehr viel beeinflussen können. Und die Frage wird sein, wie wird sich zum Beispiel die nächste Generation der Suche semantisches Web, Stichwort, wie wird sich das entwickeln und wird Google dort auch wieder alles nehmen. Umgekehrt basiert Google natürlich auch über die Linkstruktur, eben auf dem, was die Leute hineinstellen, und ist so auch irgendwo in der Gemeinschaft verankert. Ich glaube, dass – wir haben es bei vielen Beispielen gesehen, dass es ganz schnell geht, dass Nutzer sich auch abwenden, und dann ist es auch mit der Macht wieder vorbei.
Kassel: Man kann das Internet auch positiv sehen, wird vielleicht manchmal zu selten gemacht. Wer eine dicke Dosis positives Internet will, Michael Maier hat das Buch geschrieben "Die ersten Tage der Zukunft". Buch ist erhältlich, Pendo-Verlag erschienen, war bei uns zu Gast. Wir werden uns der Frage mit dem Netzministerium weiter widmen. Bei Ihnen nehme ich mit, Sie wollen es nicht, und insofern können wir zufrieden sein, wir haben es auch erst mal nicht. Danke fürs Kommen!
Maier: Vielen Dank!