Jean Rhys: "Die weite Sargassosee"

Kein Glück inmitten der tropischen Schönheit

Dominikanische Republik
Jean Rhys entwirft die Karibik als Gegenbild zum geordneten England. © imago stock&people
Von Manuela Reichart · 17.11.2015
Mit "Die weite Sargassosee" über die unglückliche Ehe eines Engländers und einer Frau aus der Karibik wurde Jean Rhys 1966 berühmt. Der Roman, der mit eindrucksvollen literarischen Bildern die tropische Atmosphäre einfängt, ist jetzt in einer Neuübersetzung erschienen.
Die Wiederentdeckung dieser (1979 gestorbenen) Autorin böte genug Stoff für einen Roman. Jean Rhys, 1890 auf der karibischen Insel Dominica als Tochter eines Walisers und einer Kreolin geboren, kommt mit 16 Jahren nach England, schlägt sich dort mehr schlecht als recht durch. Sie beginnt zu schreiben, wird von dem englischen Autor und Verleger Ford Maddox Ford in Paris entdeckt (und eine Weile seine Geliebte). Sie schreibt Kurzgeschichten und Romane, in denen es nicht zuletzt um junge Frauen in prekären Verhältnissen geht. In den 1940er-Jahren verschwindet sie aus der Öffentlichkeit, sie wird vergessen, bis ein Verlag Ende der 1950er-Jahre über eine Anzeige nach Leuten sucht, die sich an sie erinnern, die über sie Auskunft geben können. Man hält sie für tot und ist nicht wenig überrascht, als sie sich selber meldet – aus einem kleinen Dorf in Südengland. Und dann erscheint 1966 dieser – jetzt von Brigitte Walitzek eindrucksvoll neu übersetzte – großartige Roman: "Die weite Sargassosee". Mit ihm wird Jean Rhys berühmt.
Das Mädchen Antoinette wächst Anfang des 19. Jahrhunderts auf Jamaica auf. Die Sklaverei wurde gerade abgeschafft, der Vater ist gestorben, die weißen Plantagenbesitzer werden von den schwarzen Dienstboten gehasst und verachtet. Die schöne Mutter ist bitterarm und heiratet aus Verzweiflung ein zweites Mal. Aber es gibt inmitten der tropischen Schönheit kein Glück. Die Familie wird vertrieben, ihr Haus angezündet. Der kleine Bruder stirbt, die Mutter verliert den Verstand.
Die Vorgeschichte einer verrückten Frau
Das Mädchen kommt in ein Internat, aus dem der Stiefvater sie holt, um sie mit einem armen jungen Engländer zu verheiraten. Der nimmt sie mit nach England, sperrt sie ein. Sie wird zur verrückten Gefangenen, zu einer Frau, wie sie in dem Roman "Jane Eyre" von Charlotte Brontë als Nebenfigur auftritt. Und diese Nebenfigur, von der es heißt, ihr Mann habe sie einst aus der Karibik mitgebracht, hatte Jean Rhys wohl inspiriert. Sie erzählt hier die Vorgeschichte jener verrückten Frau.
Es ist eine Mesalliance der schlimmsten Art: Die junge schöne Frau, die leidenschaftlich beginnt zu lieben und der verklemmte Mann, der sich vor ihrer Sinnlichkeit, überhaupt vor der Irrationalität und der schwülen Schönheit der Karibik fürchtet, der aus ihr flüchtet, zurückkehrt ins geordnete England, wo für seine Frau nur die Rolle der weggesperrten Irren bleibt. Jean Rhys fängt die Stimmung, die tropische Atmosphäre ein. Sie entwirft eindrucksvolle Bilder, beschreibt die Natur, entwirft eindrückliche Nebenfiguren, wie die der klugen schwarzen Frau, die den Voodoo-Zauber beherrscht, der einzigen Vertrauten, die Antoinette hat. Und – im letzten Kapitel – geht es um die Gedanken und Gefühle der eingesperrten Ehefrau. Wie hier auf wenigen Seiten der verwirrte Verstand einer Verlorenen zu Wort kommt, das ist große literarische Kunst.

Jean Rhys: Die weite Sargassosee
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2015
232 Seiten, 21,95 Euro

Mehr zum Thema