Jazzmusik

Die französische Leichtigkeit

Ein Saxofon
Ein Saxofon © picture alliance / dpa / Foto: Stephanie Lecocq
Von Ilka Lorenzen · 10.11.2014
In Berlin habe er eine Ruhe zum Komponieren vorgefunden, die in Paris kaum denkbar sei, sagt Olivier Benoît, Leiter des Orchestre National de Jazz. In den vergangenen Tagen musizierte er mit zehn der besten französischen Jazzmusiker in der deutschen Hauptstadt.
Auf dem Weg zu den Proben des Orchestre National de Jazz im Berliner Jazz-Institut überlege ich, warum es in Deutschland eigentlich kein eigenes Nationales Jazz-Orchester gibt?
Außerdem bin ich natürlich gespannt auf die Musiker, vor allem auf Olivier Benoît, der sich dieses grandiose Musik-Projekt ausgedacht hat – eine musikalische Reise durch Europa, zwischen Nord und Süd, angefangen mittendrin, nämlich in Paris. Nun also Berlin! Das Paris-Album ist bereits erschienen, wurde im Juni beim Jazzdor-Festival in Berlin uraufgeführt – einen absolut mitreißenden Sound kreiert dieses Orchester - man kann ihn schon draußen vor dem Georg-Neumann Saal am Einsteinufer hören.
Ein Sommer in Berlin
Bevor Orchester-Chef Olivier Benoît seine Band-Kollegen um sich versammelte, verbrachte er die Sommer-Monate in Berlin mit dem Verfassen des Repertoires. Wie er an das Komponieren herangegangen ist, wie die Stadt Berlin ihn dabei beeinflusst hat und was davon schließlich in die Musik mit einfließt – all das wollte ich gern von Olivier Benoît erfahren. Zeit für einen kleinen Berlin Spaziergang und einen gemeinsamen Kaffee konnte er sich am vergangen Donnerstag nehmen. Wir trafen uns an der Warschauer Brücke - in einer ziemlich urbanen Gegend also:
"Nun ja, Freizeit ist relativ – es ist der einzige Tag unserer Künstler-Residenz, an dem wir alle ein bisschen Zeit für uns haben. Die Musiker ruhen sich etwas aus, werden aber auch an ihren Instrumenten arbeiten. Ich werde alle Stücke nochmal im Kopf durchgehen, verbessern, sie haben nun alle schon wirklich Form angenommen. Vor der Aufführung, werde ich heute nochmal die Zeit haben, alles, was ich geschrieben habe, zu überdenken, vielleicht noch kleine Sachen modifizieren, aber alles in allem werde ich nicht mehr allzu viel verändern. Und ich werde natürlich auch noch ein wenig üben, denn ich spiele ja gleichzeitig auch mit!"
Autorin: "Ist das schwierig, zu dirigieren und gleichzeitig zu spielen?"
"Ich fänds traurig, nicht selbst zu spielen, schließlich bin ich ja Musiker. Aber es stimmt, es ist eine doppelte Belastung und es ist sehr, sehr anstrengend. Die ersten Tage konnte ich nicht richtig spielen, weil ich immer auf die andren gehört habe, die andren korrigiert habe, darauf geachtet habe, wie das Ganze klingt, dass es musikalisch richtig klingt und so weiter – ja, das ist schwierig – aber es ist sehr spannend!"
Baustellen, Presslufthammer und kalter Wind haben uns von der Straße in ein kleines Café getrieben. Interessanterweise hat Olivier Benoît einen ganz anderen Eindruck von Berlin gewonnen im August, als er stundenlang durch die Stadt streifte, sich treiben ließ und dann seine Kompositionen für den Berlin-Teil seines Europa-Projektes geschrieben hat.
"Im Vergleich zu Paris ist Berlin eine extrem ruhige Stadt! Das erscheint nun vielleicht paradox, nachdem wir die Brücke grade überquert haben und die Bauarbeiten in diesem Viertel Deine Aufnahmen unmöglich gemacht haben. Aber Paris zum Beispiel ist eine sehr beengte Stadt, mit einer kreischend lauten Métro, gestressten Leuten, die sich alle gegenseitig nerven. Berlin bietet so viel Platz und Raum, viel mehr Entspannung und Ruhe, die U-Bahnen sind selten voll. Ich fühle mich hier wirklich rundum wohl und träume davon, eines Tages mal hier zu wohnen. Denn man kann hier im Gegensatz zu Paris auch Fahrrad fahren – noch so ein Beispiel!"
Flotte Musik des Orchèstre National de Jazz
Es gibt wohl auch in der Berlin-Kompositionen einige ruhigere Parts und auf jeden Fall wieder viel Platz für Solisten. Doch insgesamt ist die Musik des ONJ alles andre als ruhig. Sie lebt von Kontrasten, von ihrer zuweilen brodelnden Rhythmik, vielen dichten Momenten also aber auch immer wieder von Überraschungen. Die Musik sei die Abstraktion seiner Empfindungen in der Stadt. Diese waren geprägt und beeinflusst vom Klang der Stadt, insbesondere von der Architektur aber auch von den Begegnungen mit den Berlinern selbst, sowie von der Geschichte Berlins. All das hätte sich auf sein Schreiben ausgewirkt. Und schließlich fließen auch die aktuellen Trends der deutschen Hauptstadt mit hinein: minimalistische Musik, free jazz und Elektronik.
"Klar, die Art und Weise meines Schreibens wurde stark dadurch beeinflusst, wie ich mich hier gefühlt habe. Ich habe eine absolute Ruhe empfunden hier in der Stadt. Ich bin derselbe geblieben, aber ich war in einer ganz anderen Verfassung beim Schreiben als in Paris. Die Komposition Paris – das ist eine große Suite - eine Abfolge von fast eineinhalb Stunden, die niemals anhält. Vielleicht auch typisch für Paris, immer weiter, immer mehr, ohne Anzuhalten. In den Berlin-Stücken gibt es hingegen auch Pausen. Und es sind viele total unterschiedliche Teile."
Die Gelassenheit, die der noch dazu extrem sympathische und humorvolle Olivier Benoît ausstrahlt, kann allerdings nicht nur Berlin geschuldet sein, so viel steht fest. Sie wirkt sich aber sicher auch auf das gesamte Orchestre National de Jazz, dem Sammelbecken hervorragender Musiker aus Frankreich, aus. Bei den Proben wurde jedenfalls viel gelacht, gelümmelt und gescherzt – bei aller Ernsthaftigkeit und starker Konzentration, die natürlich unerlässlich sind.
"Es ist anstrengend, aber das ist normal, wir arbeiten schließlich. Aber wir sind nicht gestresst dabei, es gibt absolut keine Spannungen unter uns, es ist ein einmaliges Orchester, denn wir verstehen uns alle sehr sehr sehr gut! Wir gehen zusammen aus abends, wir teilen sehr viele Dinge miteinander. Ich weiß, dass ich ihnen vertrauen kann und das ist ein unverhofftes Glück, denn das gibt mir die Zuversicht, dass wir, auf jeden Fall hoffe ich das, etwas qualitativ Hochwertiges produzieren werden."
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