Jazz

Singen für eine gerechtere Welt

Aufnahme mit einer Sängerin in einem Tonstudio
Nicht immer ist Jazzgesang so politisch wie bei Elizabeth Shepherd. © FRANCOIS GUILLOT / AFP
Von Jan Tengeler · 06.10.2014
Die kanadische Sängerin Elizabeth Shepherd mutet ihren Zuhörern mehr zu als im Jazz üblich: In ihren Texten geht es schon mal um Zwangsehen oder Umweltzerstörung. Die Wurzeln ihres politischen Engagements liegen in ihrer Kindheit.
"Heute sind wir alle miteinander verbunden: Skype, Facebook, Smartphones - wir können jeden jederzeit erreichen. Und trotzdem bleibt da eine Distanz. Außerdem wissen wir, dass unser Handeln weitreichende Konsequenzen haben kann - für den Chip in meinem Handy müssen Menschen in Afrika ihr Leben riskieren. Und trotzdem kaufe ich das Handy und ich muss mich noch nicht einmal schuldig fühlen. Es ist eine Zeit der Hyper-Verbundenheit und der Hyper-Bewusstheit. Ich sage nicht, dass man sich so oder so verhalten soll. Ich möchte mit meinem neuen Album einfach nur darauf hinweisen, zum Beispiel indem jeder Song eine mehr oder weniger direkt Verbindung zum nächsten hat."
Viele Gedanken sind in das neue Album von Elizabeth Shepherd geflossen. Sie beobachtet die Vorgänge auf der Welt und greift Themen auf, die zunächst einmal weit von ihrem Leben entfernt scheinen: Umweltzerstörung in Indien, Zwangsehen in Afrika. Auch das Thema Rassismus besitzt in ihrer Heimat Kanada eine ganz andere Brisanz als beim großen Nachbarn USA. Der Song "Another Day" hat die Ermordung des jungen Afroamerikaners Trayvon Martin zum Gegenstand. Auch das zu weit weg? Nein, sagt Shepherd. Das, was uns alle verbindet, ist die Menschlichkeit:
"Meine Eltern waren in der Heilsarmee. Wir sind ständig umhergezogen, vor allem durch Kanada und Frankreich. Die einzige Konstante war die kirchliche Gemeinschaft und die Musik. Das war oft unangenehm. Aber es gab auch positive Seite: Meine Eltern haben mir gezeigt, wie unterschiedlich Menschen leben – und dass nicht jeder reich, glücklich oder bevorzugt ist. Als Mensch ist es unsere Aufgabe, Mitgefühl zu haben, uns in die Situation der Anderen, auch der Schwächeren, hineinzuversetzen. Das war die Lektion, die ich von klein auf gelernt habe."
Menschen helfen - und vom rechten Glauben überzeugen
Die Heilsarmee ist eine evangelikale Gemeinschaft mit ausgeprägter sozialer Tätigkeit. Natürlich gehe es darum, die Menschen vom rechten Glauben zu überzeugen, aber auch darum, ihnen unterschiedslos zu helfen, wenn sie in Not seien. Die Idee eines solchen Engagements lässt Shepherd auf subtile Weise in ihre Kunst einfließen. Den Glauben im engeren Sinne hat sie allerdings hinter sich gelassen:
"Das war ein merkwürdiges Leben, wie auf einer Insel – hier die Kirche, dort die Welt. Da gab es einiges aufzuarbeiten, als ich erwachsen war und irgendwann bin ich ausgetreten. Zum Glück hatte ich einen Bruder, mit dem ich das teilen konnte, den ich fragen konnte: Sind wir verrückt oder sind die es? An welche Wirklichkeit können wir uns halten? Aber mich interessiert es nicht, diese Vergangenheit zu verteufeln. Meine Eltern haben viel Gutes für mich getan und die Gräben, die da sind, versuche ich irgendwie zu überwinden. Ich führe nicht den verbissenen Kampf, in den so viele verstrickt sind, die mit der Kirche brechen. - Mehr als bei meinen anderen Alben hat die Musik eine gewisse Tiefe und sie ist düster. Zum Beispiel in dem Song 'Lions Den', die Höhle des Löwen. Vor allem das Ende soll bedrohlich wirken. So muss sich wohl ein zwölfjähriges Mädchen fühlen, dass verheiratet wird und nun das erste Mal bei ihrem Mann schlafen muss – darum geht es in dem Text. Ich habe bei allen Songs genau überlegt, welche Instrumente ich einsetze, das Ganze ist sehr dicht geworden, so habe ich versucht, die Texte musikalisch aufzugreifen."
Schwere Texte, getragen von einer samtigen Stimme
In einem Song wie "Lions Den" überträgt sich die Schwere und Sperrigkeit des Textes tatsächlich in die Musik. Gleichwohl ist "The Signal", das neue Album von Elizabeth Shepherd, ein ausgesprochen anhörbares Werk. Getragen wird es von ihrer samtenen Stimme und ihrem zurückhaltenden, aber ausgefeilten Klavierspiel, das sie zudem fast immer auf dem E-Piano präsentiert – das ebenfalls für einen weichen, freundlichen Klang sorgt. Es gibt ausgesprochen jazzige Passagen, insbesondere wenn der Gastgitarrist Lionel Loueke zu hören ist. Aber es kommt auch Shepherds Liebe zum Soul und zum Funk zum Ausdruck. Nicht umsonst wird sie mit Musikern wie Chris Dave, Jose James oder Robert Glasper verglichen. Vergleiche, denen sie problemlos standhält - musikalisch und konzeptionell. Und dann hat sie ja tatsächlich auch noch etwas zu sagen:
"Meine Musik wird sehr unterschiedlich aufgenommen.In Mexiko etwa hat man überhaupt keine Probleme mit den politischen Texten. In Kanada geht das den Leuten manchmal auf die Nerven. Die wollen unterhalten werden und nichts über die Probleme in der Welt wissen. Das ist natürlich auch in Ordnung, jeder sucht das in der Kunst, was er braucht. Und ich versuche eine Verbindung zu den Menschen herzustellen. Wenn mir das gelingt, ist mein Job erledigt."
Mehr zum Thema