Musik, die glücklich macht

Eine ungewöhnliche Kombination: Rita Marcotulli spielt Kalvier, Luciano Biondini Akkordeon. Gemeinsam begeistern sie auf ihrer neuen CD "La strada invisible" durch ein vergnügliches musikalisches Pingpongspiel.
"Ich fing mit fünf Jahren an, Klavier zu spielen, weil meine Mutter ein Klavier gekauft hatte, aber auch weil mein Vater Filmtonmeister war. Ich bin also mit Musik aufgewachsen. Ich hatte dann klassischen Musikunterricht. Das Spielen war für mich wie eine Sprache lernen. Musik ist eine Sprache und von meinem fünften Lebensjahr an waren Noten meine Sprache und seitdem kann ich nicht mehr ohne sie leben. Ich kann ohne Musik nicht leben."
Die 55-jährige italienische Pianistin Rita Marcotulli hat bereits mit zahlreichen prominenten Jazzmusikern wie Chet Baker, Joe Henderson, Joe Lovano, Kenny Wheeler oder Billy Cobham auf der Bühne oder im Studio gestanden, mit Pat Metheny sogar eine Duoplatte aufgenommen. Doch in Deutschland ist sie bislang nicht groß wahrgenommen worden. Wie ihre Duoaufnahmen mit dem italienischen Akkordeonisten Luciano Biondini zeigen, ein schweres Versäumnis.
Was ihre Kollegen schon lange wissen und an ihr schätzen, das demonstrieren die zwölf Stücke in schönster Klarheit: ein brillantes Klavierspiel mit allen Facetten, mal wohltemperiert, mal rasant aufbrausend, elegisch, balladenhaft, verträumt.
Rita Marcotulli beherrscht ihr Instrument tatsächlich meisterhaft. Allerdings hat sie in ihrem Mitstreiter Luciano Biondini auch einen Musiker gefunden, der wiederum ein grandioser Könner auf dem Akkordeon ist. Er hat dem Volksmusikinstrument, das weder in der Klassik noch im Jazz eine besondere Tradition besitzt, neue Klangfarben erschlossen.
Dass er nach dem Besuch einer klassisch ausgerichteten Musikschule erst mit 23 den Jazz entdeckte, ist einem Gitarristen zu verdanken. Frustriert über die magere Akkordeonliteratur hatte er da bereits sein Instrument beiseite gepackt, fünf Jahre lang nur ein bisschen für sich selbst gespielt:
"Ich bekam einen Telefonanruf von einem Jazzgitarristen, der erzählte, dass ihm einige Leute gesagt hätten: ich kenne da einen Akkordeonisten, der auch Jazz spielen kann. Doch das stimmte nicht. So führte er mich in den Jazz ein und ich verstand ganz allmählich, dass der mir eine Chance bot und so folgte ich ihm sehr gerne."
"Ich habe Jazz gelernt, indem ich zuhörte und versuchte, das Gehörte auf dem Akkordeon nachzuspielen, denn weil es im Jazz keine Akkordeontradition gibt, war das der einzige Weg herauszufinden, welche Möglichkeiten das Instrument bot."
"Wir malen ein Gemälde"
Luciano Biondini entdeckt auf dem Akkordeon offenkundig so viele neue Klänge, dass ihn schon bald bekannte Jazzmusiker wie Rabih Abou-Khalil, Michel Godard oder Enrico Rava in ihre Ensemble holten. Auch Rita Marcotulli, die mit ihm schon seit ein paar Jahren in einem Quartett zusammenspielt, war von seinem Spiel fasziniert und zögerte keine Sekunde, als ihnen angeboten wurde, eine gemeinsame Duo-CD beim Label ACT aufzunehmen.
"Wir malen sozusagen zusammen ein Gemälde. Wenn ich komponiere, weiß er genau, wohin ich gehen will, ohne dass wir darüber sprechen. Das ist fantastisch. Ich sage immer, man kann mit vielen Musikern sehr gut zusammen spielen, aber ist es so wie bei der Heirat: Man muss jemand finden, der einen wirklich versteht, der das Konzept versteht. Mit Luciano ist alles offen. Das erste Mal, als wir zusammen gespielt waren, war es, whow, als würde ich ihn bereits kennen. Ich wusste, welche Richtung er einschlägt."
Die Kopplung von Akkordeon und Klavier ist ungewöhnlich, beides immerhin Tasteninstrumente, auf denen sich sowohl Melodien als auch Akkorde spielen lassen. Das erfordert eine gute Koordination und einen geradezu schon intuitiven Wechsel zwischen Begleitung und Melodie, solistischem Spiel und Unisono-Passagen. Angestrengt klingt das aber nie bei den beiden, erinnert eher an ein vergnügliches musikalisches Pingpongspiel.
Auch wenn sechs der zwölf Titel Rita Marcotullis Ideen entsprungen sind, so wirken doch sämtliche Duoaufnahmen wie aus einem Stück, so gut ergänzen sich die beiden Musiker. Drei der Stücke sind Coverversionen, einmal eine Filmmusik des italienischen Komponisten Domenico Modugno für einen Pasolini-Film, dann ein Song des amerikanischen Singer-Songwriters Jimmy Webb und schließlich ein Lied der brasilianischen Sängerin Elis Regina.
Alle Stücke, egal ob eigene oder fremde Kompositionen, haben einen melancholischen Unterton, ein leises romantisches Bedauern, jenes fröhlich-traurige Gefühl, das auch den Tango prägt. Gleichzeitig aber strahlen sie Lebendigkeit aus, laden zum Tanz, erinnern in ihrer schlichten Eleganz an italienische Volksmusik. Es ist eine Musik, von der Luciano Biondini zu Recht sagt:
"Die Leute können spüren, dass wir glücklich sind, wenn wir zusammen spielen. Man packt die eigenen Gefühle in die Musik. Wenn man glücklich ist, dann kann die Musik den Leuten eben dieses Konzept vermitteln."
In der Tat - die Duo-CD "La strada invisible" ist eben dies: Musik, die glücklich macht.