"Jazz kann auch amüsant sein"
Das internationale Musikfestival JazzOpen findet derzeit in Stuttgart statt. Berühmtheiten wie James Brown, Lauryn Hill oder Al di Meola werden die Bühne zum Beben bringen. Aber auch Till Brönner, der von Kritikern als virtuoser Wunderknabe des deutschen Jazz gepriesen wird, ist mit von der Partie.
Es begann mit einem Open-Air-Auftritt von Lauryn Hill, und es ist sicher keine schlechte Idee, die gelernte Hiphopperin an den Anfang eines Jazzfestivals zu stellen. Lauryn Hill kann es nämlich sowohl mit Band als auch akustisch – und ihre schwarze Stimme macht uns in Phrasierung und Melodieführung noch mal klar, wo der Jazz eigentlich herkommt.
Jazz im strengen Sinne des Begriffs ist in Stuttgart allerdings längst in die Minderheiten-Position geraten. Auf inzwischen drei Open-Airs mit etwa 4000 Plätzen wird der etwas breitere Publikumsgeschmack bedient; die Jünger der diffizilen Kammermusik dagegen müssen sich in den Mozartsaal der Liederhalle bequemen, da passen nur 600 Leute rein. Dafür sind die reinen Jazz-Übungen nur etwa halb so teuer wie James Brown, der Headliner des Festivals, der schon im Vorfeld verlauten ließ, dass er Stuttgart ganz toll finde ...
"JazzOpen" meint ja, dass man auch die Grenzbereiche des Jazz erforschen und einbeziehen will, also Soul, Funk, Blues, Folk, Acid, Hiphop – und da hat Papa James Brown, wenn er nicht gerade Frauen verhaute oder im Knast saß, einiges beigetragen. Seine von Maceo Parker angeführte Bläser-Section war rastlos missionarisch tätig, um mehr Spaß und Funk in den akademischen Jazz einzuführen. Chef-Tänzer Brown selber dagegen ist mehr für das Ausstoßen bestimmter Geräusche bekannt; erinnern uns vor allem an dieses hier:
" Wow! "
Keine Ahnung, wer den Mann den "Gottvater des Soul" genannt hat. Jedenfalls, wenn Gott so spricht, dann muss es stimmen.
" Wow! "
In Stuttgart wird also eine mittlerweile 72-jährige Sexmachine die Bühne entern, und zwar nach einem seit Jahrzehnten erprobten Ritual: Zuerst spielt die Band ziemlich lange ganz alleine, um den Chef zu schonen; dann werden die Backgroundsängerinnen jeweils eine Nummer machen. Dann kommt der Adjudant des Meisters und sagt folgendes:
" James Brown! James Brown! James Brown! James Brown! ... "
Das ist nett, das ist ergreifend, aber was, zum Teufel, hat das mit Jazz zu tun? Die Festivalleiterin Elke Baltzer ist solch ungebührliche Fragen schon gewohnt:
" … natürlich – was ist Jazz?! Also wenn wir darüber anfangen zu diskutieren, dann werden wir morgen früh noch hier sitzen. Da gehen die Auffassungen ja sehr weit auseinander. Und in Deutschland sind ja die, sag ich mal, Puristen noch mehr vertreten; in Amerika und in den anderen Ländern sieht man das nicht so eng wie bei uns. "
Die Puristen werden in Stuttgart von dem Trompeter Terence Blanchard bedient, der gerade eine wunderbare CD mit dem Titel "Flow" herausgebracht hat – aber auch der hat bisweilen programmierte Synthesizer im Einsatz, damit alles richtig in Fluss kommt. Und die New Yorker Pianistin Lynne Arriale spielt eine Art Kammerkonzert in Trio-Besetzung.
Ach ja, und dann gibt es den deutschen Jazz. Der wurde in Stuttgart schon immer mit Leidenschaft gepflegt, seit Wolfgang Dauner und Albert Mangelsdorff. Jetzt kommt einer aus der jungen Generation:
Till Brönner, der Bonner Musterschüler, wird von Kritikern als virtuoser Wunderknabe des deutschen Jazz gepriesen, andere meinen, er verschleudere sein Talent an zu simples Material, ans "Easy Listening", und verkaufe sich unter Wert. Festivalleiterin Elke Baltzer hat den erfolgreichen Brönner aber offenbar aus sozialpädagogischen Gründen gebucht:
" Es gibt viele Leute, wenn die "Jazz" hören, dann haben die Berührungsängste. Die denken, man muss mindestens ein Hochschulstudium absolviert haben, um diese Musik zu verstehen. Der Unterhaltungsfaktor geht da manchmal ein bisschen flöten – obwohl Jazz äußerst unterhaltsam und auch sehr amüsant sein kann. Und ich glaube, Till Brönner hat es geschafft, wieder viele Leute aus der populären Ecke dem Jazz zuzuführen; und ich glaub, es ist wichtig, dass man da die Leute herholt, die sich diese Musik anhören und die dann vielleicht wieder zu einem anderen Konzert gehen, weil Jazz ihnen keine Angst mehr macht! "
Es gibt leider keine "Projekte" in diesem Jahr – vorbei die Zeiten, als Jazz-Musiker eine ganze Probenwoche lang Hendrix-Songs auseinander nahmen und in ihrer eigenen Diktion wieder zusammensetzten. Das ergab damals, 1995, ein triumphales Konzert.
In diesem Jahr dagegen: wenig Jazz, viel JazzOpen, wide open, muss man sagen – also viel popkulturelle, kommerzielle Randbereiche. Die meisten Stuttgarter Fans kommen gewiss aus nostalgischen Gründen: Sie werden sich der Zeit erinnern, als sie noch ungeheure Sexmaschinen waren, fast so schlimm wie James Brown. Der Mann hat kürzlich eine Krebsoperation hinter sich gebracht, aber es geht ihm gut. Und das wird er uns ausführlich mitteilen.
James Brown: " I feel good...I feel good….I feel good! "
Service:
Das internationale Festival JazzOpen Stuttgart 2005 findet vom 13. bis 16. Juli 2005 statt.
Jazz im strengen Sinne des Begriffs ist in Stuttgart allerdings längst in die Minderheiten-Position geraten. Auf inzwischen drei Open-Airs mit etwa 4000 Plätzen wird der etwas breitere Publikumsgeschmack bedient; die Jünger der diffizilen Kammermusik dagegen müssen sich in den Mozartsaal der Liederhalle bequemen, da passen nur 600 Leute rein. Dafür sind die reinen Jazz-Übungen nur etwa halb so teuer wie James Brown, der Headliner des Festivals, der schon im Vorfeld verlauten ließ, dass er Stuttgart ganz toll finde ...
"JazzOpen" meint ja, dass man auch die Grenzbereiche des Jazz erforschen und einbeziehen will, also Soul, Funk, Blues, Folk, Acid, Hiphop – und da hat Papa James Brown, wenn er nicht gerade Frauen verhaute oder im Knast saß, einiges beigetragen. Seine von Maceo Parker angeführte Bläser-Section war rastlos missionarisch tätig, um mehr Spaß und Funk in den akademischen Jazz einzuführen. Chef-Tänzer Brown selber dagegen ist mehr für das Ausstoßen bestimmter Geräusche bekannt; erinnern uns vor allem an dieses hier:
" Wow! "
Keine Ahnung, wer den Mann den "Gottvater des Soul" genannt hat. Jedenfalls, wenn Gott so spricht, dann muss es stimmen.
" Wow! "
In Stuttgart wird also eine mittlerweile 72-jährige Sexmachine die Bühne entern, und zwar nach einem seit Jahrzehnten erprobten Ritual: Zuerst spielt die Band ziemlich lange ganz alleine, um den Chef zu schonen; dann werden die Backgroundsängerinnen jeweils eine Nummer machen. Dann kommt der Adjudant des Meisters und sagt folgendes:
" James Brown! James Brown! James Brown! James Brown! ... "
Das ist nett, das ist ergreifend, aber was, zum Teufel, hat das mit Jazz zu tun? Die Festivalleiterin Elke Baltzer ist solch ungebührliche Fragen schon gewohnt:
" … natürlich – was ist Jazz?! Also wenn wir darüber anfangen zu diskutieren, dann werden wir morgen früh noch hier sitzen. Da gehen die Auffassungen ja sehr weit auseinander. Und in Deutschland sind ja die, sag ich mal, Puristen noch mehr vertreten; in Amerika und in den anderen Ländern sieht man das nicht so eng wie bei uns. "
Die Puristen werden in Stuttgart von dem Trompeter Terence Blanchard bedient, der gerade eine wunderbare CD mit dem Titel "Flow" herausgebracht hat – aber auch der hat bisweilen programmierte Synthesizer im Einsatz, damit alles richtig in Fluss kommt. Und die New Yorker Pianistin Lynne Arriale spielt eine Art Kammerkonzert in Trio-Besetzung.
Ach ja, und dann gibt es den deutschen Jazz. Der wurde in Stuttgart schon immer mit Leidenschaft gepflegt, seit Wolfgang Dauner und Albert Mangelsdorff. Jetzt kommt einer aus der jungen Generation:
Till Brönner, der Bonner Musterschüler, wird von Kritikern als virtuoser Wunderknabe des deutschen Jazz gepriesen, andere meinen, er verschleudere sein Talent an zu simples Material, ans "Easy Listening", und verkaufe sich unter Wert. Festivalleiterin Elke Baltzer hat den erfolgreichen Brönner aber offenbar aus sozialpädagogischen Gründen gebucht:
" Es gibt viele Leute, wenn die "Jazz" hören, dann haben die Berührungsängste. Die denken, man muss mindestens ein Hochschulstudium absolviert haben, um diese Musik zu verstehen. Der Unterhaltungsfaktor geht da manchmal ein bisschen flöten – obwohl Jazz äußerst unterhaltsam und auch sehr amüsant sein kann. Und ich glaube, Till Brönner hat es geschafft, wieder viele Leute aus der populären Ecke dem Jazz zuzuführen; und ich glaub, es ist wichtig, dass man da die Leute herholt, die sich diese Musik anhören und die dann vielleicht wieder zu einem anderen Konzert gehen, weil Jazz ihnen keine Angst mehr macht! "
Es gibt leider keine "Projekte" in diesem Jahr – vorbei die Zeiten, als Jazz-Musiker eine ganze Probenwoche lang Hendrix-Songs auseinander nahmen und in ihrer eigenen Diktion wieder zusammensetzten. Das ergab damals, 1995, ein triumphales Konzert.
In diesem Jahr dagegen: wenig Jazz, viel JazzOpen, wide open, muss man sagen – also viel popkulturelle, kommerzielle Randbereiche. Die meisten Stuttgarter Fans kommen gewiss aus nostalgischen Gründen: Sie werden sich der Zeit erinnern, als sie noch ungeheure Sexmaschinen waren, fast so schlimm wie James Brown. Der Mann hat kürzlich eine Krebsoperation hinter sich gebracht, aber es geht ihm gut. Und das wird er uns ausführlich mitteilen.
James Brown: " I feel good...I feel good….I feel good! "
Service:
Das internationale Festival JazzOpen Stuttgart 2005 findet vom 13. bis 16. Juli 2005 statt.