Japans Umgang mit Geflüchteten

Jahrelange Haft und keine Perspektive

23:01 Minuten
Luftaufnahme des Immigration Center in Ushiku
Das Immigration Center in Ushiku: In der Stadt sind fast 70 Prozent der 400 Plätze im Abschiebegefängnis belegt. © Picture Alliance / Kyodo
Von Kathrin Erdmann · 18.03.2020
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Sie sind aus dem Iran oder der Türkei geflohen, doch sie sprechen Japanisch, haben nicht selten japanische Ehefrauen und Kinder, die in Japan geboren wurden. Dennoch werden viele Geflüchtete immer wieder in Abschiebehaft genommen, oft sogar über Jahre.
Das Erdgeschoss im Abschiebegefängnis von Ushiku, rund 50 Kilometer nordöstlich von Tokio gelegen. Es klingt wie im Wellnessstudio. Das sei es zwar nicht, aber dennoch hätten es die Ausländer hier gut und das wolle man zeigen, sagt Daisuke Akinaga von der Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit sind fast 70 Prozent der 400 Plätze in dem Abschiebegefängnis belegt.
Viele Treppen rauf und runter, Türen auf und zu – und dann steht man in einem leeren Zellentrakt. Dort ist bereits alles vorbereitet. In einer Box liegt das heutige Mittagessen. In Ushiku wird frisch gekocht, so Daisuke Akinaga:
"Hühnchen mit Tomatensauce und Gemüse, ein bisschen Mais, gekochter Spinat und Spaghetti mit Pepperoni."
Dazu eine Portion Reis. Alles sieht frisch und lecker aus, doch leider, beklagt sich Akinaga ein bisschen, würden nur zehn Prozent das so auch alles essen. Der Rest hätte wegen Allergien oder Diät Sonderwünsche.

Bis zu fünf Personen in einer Zelle

Drei Mal am Tag geht die Klappe des Zimmers für das Essen auf und zu. Oft teilen sich bis zu fünf Personen über Jahre einen Raum. Das zeigt Akinaga aber nicht.
"Dieses Zimmer wird von zwei Ausländern genutzt."
Es ist 15 Quadratmeter groß, hat ein großes Waschbecken, eine separate Toilette, keinen Tisch, geschlafen wird auf dünnen Futonmatratzen. Der Blick nach draußen ist durch Gitter und dickes Glas eingeschränkt. Zwischen den drei Mahlzeiten haben die Geflüchteten Freizeit, dürfen ihre Zellen verlassen und auf dem kleinen Gang herumspazieren.
Der Eingangsbereich des Immigration Center in Ushiku.
In Japan bleiben abgelehnte Asylbewerber im Durchschnitt zwei Jahre in Abschiebehaft. In Ushiku ist ein Fünftel der Männer schon mehr als drei Jahre dort.© Kathrin Erdmann
"Dann können sie dahinten ihre Wäsche waschen, dort sind auch Duschen, und dann stehen hier zwei Telefone."
Und eine Tischtennisplatte, Hanteln sowie Spiele – ein bisschen wie im 80er-Jahre-Landschulheim.

Geflüchtete im Hungerstreik

In Japan bleiben abgelehnte Asylbewerber im Durchschnitt zwei Jahre in Abschiebehaft. In Ushiku ist ein Fünftel der Männer schon mehr als drei Jahre dort, viele waren mehrfach in Haft. Die meisten sind aus Sri Lanka, Iran und Nigeria.
Während des Besuchs in Ushiku sind gerade 30 Männer im Hungerstreik, wieder mal. Zwei Iraner erzählen warum.
Weil Tonaufnahmen nicht gestattet sind, hier die Zitate der Mitschrift: "Wir werden hier nicht wie Menschen behandelt. Es gibt kein Internet, das Münztelefon ist so teuer, dass ich nur selten mit meiner Familie sprechen kann. Und wir haben ständig Angst, dass wir in den Iran zurückmüssen. Als konvertierter Christ bringen die mich um. Wir leben mehr als 20 Jahre in Japan, haben unsere Familien hier aber keinerlei Perspektive. Im Grunde könnten wir auch sterben. Was sollen wir mit so einem Leben?"
Einer der beiden zeigt ein Foto seiner Tochter. Tränen stehen in seinen Augen.
"Immer wenn ich bisher für einige Tage wieder draußen war, habe ich sie nicht mal angerufen, denn wie soll ich ihr erklären, dass ich wieder ins Gefängnis muss?"
Seine Tochter denke, Papi sei im Iran und nicht mehr in Japan. Dieses Versteckspiel geht nun schon seit mehr als zehn Jahren so, aber zurück in den Iran? Das komme nicht infrage, dann würde man ihn gleich umbringen, schließlich sei er schon vor langer Zeit zum Christentum konvertiert, berichtet er.
Seit 30 Tagen verweigere er feste Nahrung. Auch in anderen der insgesamt 17 Abschiebehaftanstalten sind Menschen im Hungerstreik. Die Männer zwangsweise zu ernähren, sei schwierig, sagt Mitarbeiter Akinaga. "Das ist eine rechtliche Grauzone. Einerseits müssen sie irgendwann zwangsernährt werden, andererseits braucht es dafür Ärzte und viele wollen das nicht machen. Sie haben Angst, dass sie dann ihre Approbation verlieren könnten."

Todesfälle sorgen für schlechte Presse

Deshalb versucht es Japan auf andere Weise. Man verspricht den Zuwanderern die Freiheit, wenn sie sie wieder essen – so durfte auch einer der beiden Iraner kurz darauf für einige Tage raus. Man will Todesfälle vermeiden, das gibt schlechte Presse. In den vergangenen zehn Jahren waren es 13. Einige Geflüchtete wählen dabei den Freitod. So wie in Ushiku ein Mann 2018. Aber wir versuchen vorzubeugen, sagt Anstaltsmitarbeiter Akinaga:
"Wir haben Kameras in den Einzel- bzw. Krankenzimmern. Die Angestellten gucken aber so oft es geht in die anderen Zimmer. In den Duschen sind jetzt nur noch Vorhänge, und der Duschkopf kann nicht mehr auseinandergeschraubt werden. Das Licht ist dort jetzt so angebracht, dass man dort kein Laken mehr reinhängen kann."
Der Suizid als einziger Ausweg aus einem Leben in der Illegalität und der Angst vor Abschiebung.
Hassan hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Der Kurde sitzt im Happy Kebab in Saitama, eine Region etwa eine Stunde nördlich von der Tokioter Innenstadt entfernt. Vor sich hat er ein großes Bier. Der 37-jährige Kurde lebt seit 17 Jahren in Japan. Damals, so sagt er, waren die Bedingungen in Japan gut. Er stellte einen Antrag auf Flüchtlingsschutz.

Gefangen im japanischen Justizsystem

"Drei Jahre lange habe ich das versucht, aber er wurde immer wieder abgelehnt. Dann wurde ich festgenommen und kam in Abschiebehaft."
Vier Mal saß er schon dort, insgesamt anderthalb Jahre. Seit acht Jahren ist er frei – frei ja, aber gefangen im japanischen Justizsystem.
"Ich darf offiziell nicht arbeiten, also mache ich heimlich kleine Jobs, davon lebe ich."
Damit er einen Mietvertrag unterschreiben kann, hat die Japanerin Kimiko Tanaka für ihn gebürgt.
"Erst hat er bei Verwandten gelebt, aber nach einer Weile fühlte er sich dort nicht mehr wohl. Er kam dann zu mir und hat mich um Hilfe. Er brauchte jemand, der Japaner ist und für ihn bürgt. Da habe ich das übernommen."
Und nie Probleme gehabt. Hassan hat bisher immer seine Miete bezahlt. Die 67-Jährige führt fünf Tage die Woche ein Restaurant. Mittwochs ist geschlossen, dieser Tag gehört Japans Flüchtlingen. Die zierliche Frau ist rund um Tokio so etwas wie die Mutter Teresa für die Geflüchteten. Schon seit 25 Jahren setzt sie sich unermüdlich für sie ein, bringt den Familien draußen Lebensmittel und versucht gemeinsam mit Anwälten auf die schwierige Situation der Menschen aufmerksam zu machen.
"Sie sind ja keine Verbrecher, sondern es sind Menschen, die aus politischen oder familiären Gründen nicht zurückkehren können, weil sie mit Japanerinnen verheiratet sind und Kinder haben."
Hassan ist alleinstehend, aber die beiden iranischen Geflüchteten in Ushiko sind mit Asiatinnen verheiratet und haben beide Kinder. Der Kurde Hassan kommt mit seiner illegalen Arbeit zwar gut über die Runden, lebt aber in ständiger Angst vor Abschiebung. "Alle zwei Monate muss ich zum Abschiebegefängnis gehen und meinen Antrag auf Freilassung verlängern lassen. Jedes Mal, wenn ich dorthin gehe, weiß ich nicht, ob sie mich wieder festnehmen. Und immer sagen sie: 'Überleg‘ Dir, ob Du nicht freiwillig zurückkehren willst, denn wir wissen, wie wir Dich in die Türkei abschieben können.'"

"Viele Leute werden verrrückt"

Mehr als 300 Geflüchtete sind inzwischen untergetaucht, führen in Japan ein "Leben in der Dunkelheit", wie kürzlich eine japanische Tageszeitung schrieb. Welche Folgen ein solches Leben hat, lässt sich gut an Onur sehen. Der 40-jährige Kurde reiste 2004 mit einem Visum nach Japan ein, alle Anträge auf Flüchtlingsschutz wurden abgeschmettert, mehrfach saß er in Abschiebehaft. Als er dort erkrankte, habe ihm niemand geholfen, sagt er:
"Die ärztliche Versorgung war ganz schlimm. Wie viele Leute da verrückt geworden sind, man wird dort nicht menschlich behandelt."
Das bestätigen auch die beiden Iraner in der Abschiebehaft in Ushiku. Es würden einfach jede Menge Tabletten verteilt, mehr nicht. Onur hat eine "Kari Homen", eine vorübergehende Freilassung, weil er krank ist. Dafür musste seine Familie 800 Euro Kaution hinterlegen. Wer ihm gegenübersitzt, bekommt fast Angst. So viel Wut ist in seinem Blick.
"Zwei-, drei Mal im Monat gehe ich zum Arzt, mir geht es körperlich und mental nicht gut. Ohne Medikamente kann ich nicht schlafen."
Onur hat drei Kinder, zwei sind in Japan geboren und staatenlos. Sie sprechen fast nur Japanisch. Immerhin dürfen sie zur Schule gehen. Die meisten Geflüchteten sind nach Japan gekommen, weil sie schon Bekannte oder Verwandte im Land hatten und dachten, es sei einfach, sich ein neues Leben aufzubauen. Neben Onur auf dem Teppich in der karg ausgestatteten Wohnung sitzt seine Frau Yasmin. Sie guckt ihren Onur von der Seite an, ihre Augen werden glasig.
"Früher war er ein sehr aktiver Mann. Er hat sich um die Kinder gekümmert und mir im Haushalt geholfen. Und er hatte sehr viele Freunde, mit denen er sich gern getroffen hat. Doch all‘ seine Energie ist weg, seitdem er wieder draußen ist. Er sitzt nur hier, kümmert sich um nichts und will nur schlafen."

Ausländerbehörde gibt Mängel bei ärztlicher Versorgung zu

Weil Onur nicht krankenversichert ist, muss die Familie alle Arztkosten selbst tragen.
"Japan ist der Täter. Wegen der Haftbedingungen bin ich so krank geworden. Warum kommt dann keiner für die Kosten auf?"
Fragt Onur und es blitzt in seinen Augen. Er fordert einen menschlichen Umgang Japans mit Geflüchteten. Leben können er und seine Familie nur, weil sie der Bruder finanziell kräftig unterstützt.
Dass die ärztliche Versorgung nicht so ist, wie sie sein sollte, räumt die Leiterin der Ausländerbehörde, Shoko Sasaki, im Klub ausländischer Journalisten ein bisschen umständlich ein. "Insbesondere bei der medizinischen Versorgung habe ich nicht die Erkenntnis, dass die derzeitige Situation zufriedenstellend ist. Ich bin der Meinung, dass wir weitere Verbesserungen vornehmen müssen."
Demonstranten in Tokyo halten ein Plakat mit der Aufschrift "Migrants' Rights!".
In Japan fehlt es an einer Willkommenskultur. Seit einigen Jahren wachsen jedoch Veranstaltungen wie der "March-in-March" in Tokio, eine jährliche Demonstration migrantischer Arbeiter.© Picture Alliance / NurPhoto / Richard Atrero de Guzman
In anderer Hinsicht aber bleibt die Beamtin hart: "Unter den Ausländern gibt es welche, die immer wieder einen neuen Antrag auf Flüchtlingsanerkennung stellen, weil wir sie während der Bearbeitung ihres Antrags nicht abschieben können. Das ist sozusagen ein Missbrauch des Systems."
Doch dagegen kann Japan nichts machen – außer zu versuchen, sie doch abzuschieben, was allerdings nur geht, wenn das Heimatland sie auch zurücknimmt. Darum bemühe man sich, sagt Daisuke Akinaga aus der Abschiebehaft Ushiku.
"Die japanische Regierung meint, und ich teile diese Ansicht: Wir können nicht alle Ausländer hier aufnehmen und wenn sie kein Visum haben, können sie auch nicht ewig hierbleiben. Grundsätzlich sollten wir uns bemühen, dass die Ausländer, die abgeschoben werden sollen, auch tatsächlich abgeschoben werden."

2018 erhielten nur 42 Menschen einen Flüchtlingsstatus

Im vergangenen Jahr waren das 10.000 Menschen, fast doppelt so viele sind ausreisepflichtig. Denn ähnlich wie in Deutschland ist es mit der Abschiebung nicht immer so einfach:
"Erstens, wenn sich das Heimatland weigert, sie zurückzunehmen. Im Iran ist das zum Beispiel der Fall. Es gab auch andere Länder, aber mit denen hat Japan dann bilateral verhandelt und dann konnten wir sie abschieben."
Beim Außenministertreffen der G20-Staaten im November vergangenen Jahres sprach Minister Motegi auffällig lange mit seinem türkischen Amtskollegen. Vielleicht ging es dabei auch um die Rücknahme von Flüchtlingen. Japan ist der fünftgrößte Geldgeber für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Ein großer Geldgeber, um Flüchtlinge fernzuhalten? Der Eindruck drängt sich auf, denn 2018 erhielten gerade mal 42 Menschen einen Flüchtlingsstatus. Die langjährige Unterstützerin Tanaka fürchtet, dass sich die Situation in Japan in Zukunft noch verschärft:
"Der bisherige Umgang geht gar nicht. Die Vereinten Nationen müssten mehr Druck auf Japan machen, damit es besser mit den Geflüchteten umgeht und die Menschenrechte respektiert."
Schließlich habe das Land die UN-Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Was viele der Schutzsuchenden wie Onur am allerwenigsten verstehen. "Es ist so widersprüchlich, was Japan macht. Wir leben schon so lange hier, sprechen die Sprache, kennen die Kultur. Aber statt uns anzuerkennen holen sie Ausländer, die das alles gar nicht können und kennen. Warum greifen sie nicht auf uns zurück?"

Japan fehlt Willkommenskultur

Denn Japan hat vor einem Jahr ein neues Gesetz zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte erlassen, um damit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Bisher sind deutlich weniger gekommen als von der Regierung erwartet. Flüchtlingshelferin Tanaka überrascht das nicht. Aus ihrer Sicht fehlt eine Willkommenskultur.
"Selbst nach dem neuen Einwanderungsgesetz dürfen Zuwanderer nur fünf Jahre hierbleiben, und dann müssen sie in der Regel wieder gehen. Ich habe den Verdacht, dass sie nur ausgebeutet werden sollen. Das ist so wie früher mit den Zwangsarbeitern aus Korea und anderen Ländern."
Und trotzdem ist bisher keiner auf die Idee gekommen, auf die Geflüchteten zurückzugreifen, die bisher im Grunde nur eines tun: Sie kosten den Staat und den Steuerzahler Geld.

Politik von vorgestern - Japans Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte
Die japanische Regierung weigert sich, Geflüchtete in relevanter Zahl aufzunehmen. Eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ist äußerst selten. Zugleich sucht Japan händeringend ausländische Arbeitskräfte für unterschiedliche Branchen. Doch die Anwerbepolitik ist von vorgestern, meint Ostasien-Korrespondentin Kathrin Erdmann im "Weltzeit"-Interview. Schon die Bundesrepublik Deutschland ist damit in den 1960er-Jahren gescheitert, und Japan wird langfristig womöglich nicht mit anderen Ländern in Ostasien konkurrieren können.
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