Janusköpfiger Jedermann

Heini Paffrath, Protagonist des Romans "Falscher Hase", zieht es aus vermeintlichem Liebeskummer nach "drüben".
Heini Paffrath, Protagonist des Romans "Falscher Hase", zieht es aus vermeintlichem Liebeskummer nach "drüben". © Deutschlandradio
Vorgestellt von Carola Wiemers |
Heini Paffrath, Physikstudent und Inhaber eines Sparbuchs, verlässt 1961 aus vermeintlichem Liebesschmerz Westberlin und findet in der DDR den lange vermissten Halt. Kerstin Hensel erzählt in ihrem Roman "Falscher Hase" die Geschichte eines pflichtbewussten Mitläufers, akribischen Beamten und doch heimlich unter der Bettdecke nuckelnden Muttersöhnchens.
Nach 156 Seiten Lektüre des neuen Romans von Kerstin Hensel wird jenem Gefühl endlich verbale Luft gelassen, das sich schon längst als harter Eisenring um des Lesers Solarplexus gelegt hat: "Du bist mir irgendwie unheimlich." Gemeint ist Heini Paffrath, Protagonist des Romans Falscher Hase und die Diminutivform zum väterlichen Heinrich Theodor Paffrath. 1941 während eines Luftwaffenangriffs geboren, verbringt Heini als biederer Pennäler seine Schulzeit, beginnt ein Physikstudium, legt sich ein Sparbuch an und sieht eigentlich immer aus wie "Nappsülze".

Nach dem Bau der Berliner Mauer verlässt er 1961 aus vermeintlichem Liebesschmerz Westberlin, um seiner platonisch Verehrten zu folgen. Im Osten einverleibt sich das überraschte System den Freiwilligen und macht aus ihm einen Volkspolizisten wie er im Buche steht. Die Uniform verleiht dem Rückgratlosen Halt, macht ihn potent und nebenbei auch zum janusköpfigen "Jedermann".

Heini Paffrath mutiert zur deutschen Variante des pflichtbewussten Mitläufers, akribischen Beamten und doch heimlich unter der Bettdecke nuckelnden Muttersöhnchens. Hensels Paffrath ist ein Heinrich, vor dem einem wirklich grauen kann (ein Namensrest ruft Heinrich Manns "Professer Unrath" auf). Denn erzählt wird nicht die Geschichte eines auffälligen Karrieristen, der stets die Zeichen der Zeit erkennt und sich in die politischen Entwicklungen einzumischen versteht.

Heini Paffrath versieht als Volkspolizist - wie einst sein Vater als Oberbrandmeister der Feuerschutzpolizei im Dritten Reich - lediglich seinen geregelten Dienst, zieht pflichtgetreu das gesetzliche Strafregister und befolgt die Hausordnung wie keine zweite Mietpartei. Vater und Sohn werden in unheilvoller Weise zu austauschbaren Handlangern der verschiedenen politischen Systeme. Nach außen die Staatsgewalt und -ordnung repräsentierend, sind sie, in der nach altem Bratfett und schalen Bier riechenden Wohnhöhle, verhuschte, infantile Gesellen, die auch mal einen Mord begehen.

Kerstin Hensel findet für diese deutschen Lebensläufe nicht nur einen treffenden Titel, der aufgrund der Eßgewohnheiten ihrer Protagonisten auch als kultureller Akt die Handlung durchzieht. Der Leser ist geneigt, sich an das Sprichwort: Sage mir was du isst und ich sage dir wer du bist, zu erinnern. Auch Tonlage und sprachliches Kolorit sind mit wenigen Ausnahmen sehr geschickt getroffen, um in der Vernetzung von Erzähltext, dialektalen Nuancen, Liedern und Sprichwörtlichem eine zusätzliche Aussage zu erreichen.

Kerstin Hensel: Falscher Hase
Roman. Luchterhand 2005. 221 Seiten.