Jana Sterbak im Lehmbruck-Museum

Kleider aus Fleisch

Jana Sterbak in ihrem Fleischkleid "vanitas", 1987
Jana Sterbak in ihrem Fleischkleid "vanitas". © Jana Sterbak / MNAM – Centre Pompidou, Paris
Von Michael Köhler · 08.03.2017
Sie sei die Panzerknackerin unserer existenziellen Rüstungen, meint unser Autor Michael Köhler und meint damit die Künstlerin Jana Sterbak. Die Werke von Sterbak kreisen um die Themen Liebe, Leben und Tod. Als Materialien benutzt die tschechisch-kanadische Künstlerin Fleisch, Haut, Haare und Brot.
Mehrere Museumsangestellte in Malerkitteln nähen drei Dutzend frische Rindfleischlappen mit schwarzem Garn zu einem ärmellosen Kleid zusammen. Es wird ab Samstag am Eingang der Ausstellung zu sehen sein. Es wird sich verändern. Es wird gesalzen, es wird trocknen, seine Farbe, seinen Geruch ändern und dörren, sich zu einer Art Lederhaut verwandeln.
Die tschechisch-kanadische Künstlerin gibt zu, dass das Werk auch nach dreißig Jahren immer noch die Aufmerksamkeit auf sich zieht und viel kopiert wurde. Provozieren wollte sie nie damit. Das Fleisch-Kleid heißt "vanitas" und spielt auf den barocken Vergänglichkeitsgedanken an wie er auf Gemälden mit umgestürzten Weinpokalen, Totenschädeln, Sanduhren oder verwelkenden Blumen und Früchten zum Ausdruck kam. Wir sind Fleisch, wir essen Fleisch, wir sind vom Fleisch anderer. Das Thema der verrinnenden Zeit ist ihr nach wie vor wichtig.
Jana Sterbak: "Es gibt nichts Besonderes, Außergewöhnliches am Werk "vanitas". Der Vorgang des Fleisch- und Fisch-Trocknens, des Salzens und Reifens ist eine jahrtausendealte Technik. Da ist nichts Neues dran. Das Neue ist vielleicht, dass ich das in die zeitgenössische Kunst, in den Ausstellungsraum gebracht habe."

Das Fleischkleid stellt sich zur Schau

Das Fleischkleid stellt seine Nähte, sein Gemacht-Sein zur Schau. Es ist animalisch, roh und hängt auf einer Schneiderpuppe. Es hat gelebt und spendet Leben, es ist zugeschnitten und verrottet. Das Äußere dieses Kleides ist unser Inneres, ein Fleischfell. Es macht sprachlos und verlangt besprochen zu werden. So wie das Wort der Offenbarung Fleisch wurde.
Und es geht natürlich um Altern, Mode, Markt und Magersucht, um Körper und Konventionen.
Doch Jana Sterbak verbreitet keine Ideen oder Parolen. "Ich bebildere keine Meinungen und Ansichten", sagt die Konzeptkünstlerin. Von Jana Sterbaks Werken geht stets einen physische Intensität aus. Sie betont, dass ihre Arbeiten eine starke Referenz aufs tägliche Leben haben, damit sie nicht wie isolierter Kunstkram wirken. So auch ihr Brot-Bett. Das ist ein Stahlrahmen-Gestell mit Brot-Matratze. Die Liegefläche ist gebacken.
Museumsdirektorin Söke Dinkla: "Jana Sterbak macht eine Kunst, die sehr emotional ist, die unsere Fähigkeit zur Empathie anspricht, also uns einzufühlen in die Werke, in die Materialien. Alle von uns haben Erfahrungen mit Brot, mit Fleisch, mit Holz, mit unterschiedlichen Materialien, die sie verwendet. Und das ist für sie ganz wichtig, weil wir dadurch eine Beziehung zum Werk sofort aufbauen und unmittelbar, ohne dass wir etwas wissen müssen vorher."

Ein Sessel aus gedörrtem Fleisch

Im Brot-Bett ruht unser Leib auf einem Laib aus gebackenem Mehl. Christliche, mythologische und surrealistische Assoziationen sind nicht zufällig. Nie zertrümmert Jana Sterbak aber die Anspielungen wie die Dadaisten. Ihr Werk setzt produktive Assoziationen in Gang.
Dinkla: "Sie bezieht sich immer wieder auf die niederländische Malerei, auf einen ganz starken Symbolismus, auf natürlich surrealistische Motive. Meret Oppenheim, das ist für sie sehr wichtig. Also diese Sinnlichkeit des Kunstobjekts. Also so eine Sensualität als eine andere Welt zu erschaffen."
Sehr oft geht es in den Werken um gesellschaftspolitische Themen. Um Körperkontrolle, Normierbarkeit und buchstäbliche Vermessung des Menschen. So in der Werkgruppe "Measuring Tapes". Da werden Maßbänder wie sie ein Schneider benutzt, kegeleartig auf Finger- und Handspitzen gesteckt. Das weiche, elastische Maßband wird fest und spitz, beengt die Bewegungsfreiheit und wird zur Waffe.
Funktion und Material widersprechen sich oft in ihren Arbeiten. Da gibt es den "Chair Apollinaire". Einen Sessel aus gedörrtem Fleisch, oder einen Rucksack aus Stein mit ledernen Trageriemen, ein Bett aus Brot, Schuhe aus Plastilin, einen Käfig, der fernsteuerbar ist, Schädel und Knochen aus Schokolade, Stühle aus Eis. Benutzen wir die Gegenstände, verlieren sie ihre Funktion. Der Mensch wird sich seiner automatisierten Funktionen bewusst.
Jede Arbeit sei eine Art Entdeckungsreise, sagt sie. Jana Sterbak ist eine Reise ins Wilhelm Lehmbruck Museum nach Duisburg wert. Sie ist eine Panzerknackerin unserer existenziellen Rüstungen.