Jan Weiler über sein Buch "Die Ältern"

Erwachsene Kinder: Das tut weh!

06:58 Minuten
Illustration: Eltern winken ihrer Tochter zu, die mit einem Auto voller Umzugssachen davonfährt.
Seine Frau könne sehr viel besser als er damit umgehen, dass die Kinder sich von zu Hause abnabeln, sagt Jan Weiler. Sie sei pragmatischer, er eine Glucke. © imago images / Ikon Images / Gustav Dejert
Moderation: Liane von Billerbeck · 01.09.2020
Audio herunterladen
Der Autor Jan Weiler muss damit klar kommen, dass seine Kinder inzwischen selbständig sind und sogar ausziehen. Im Buch "Die Ältern" beschreibt er Höhen und Tiefen dieses Prozesses und welche Kniffe es gibt, um einigermaßen hindurch zu kommen.
Liane von Billerbeck: Es ist schon ein großer Schritt, wenn die Kinder ausziehen, die elterliche Wohnung verlassen – und ich meine damit: nicht für die Kinder, sondern für die Eltern. Man geht ins einstige Kinderzimmer und das ist leer. Wenn Sie das schon hinter sich haben, dann wissen Sie, wovon ich spreche.
Falls es Ihnen noch bevorsteht: viel Spaß! Genau darüber hat der Autor Jan Weiler sein neues Buch geschrieben. Vielleicht haben Sie von ihm das "Pubertier" gelesen oder im Fernsehen gesehen. Jetzt geht es um die nächste Etappe: "Die Ältern" ist gerade erschienen. Was wird aus Vater und Mutter, wenn die Kinder ausziehen? Herr Weiler, wie sehr leiden Sie daran, dass die Kinder groß werden?
Jan Weiler: Das wechselt. Im Grunde genommen hat man ja jahrzehntelang auf nichts anderes gewartet. Und jetzt findet es tatsächlich statt - und dann ist es auch wieder nicht in Ordnung.

Heimliche Sohn-Kontrolle

Billerbeck: Nun ist es ja so, dass die jungen Erwachsenen heutzutage viel selbstständiger wirken als die Generation vor ihnen. Das beschreiben Sie auch in Ihrem Buch. Pragmatisch seien sie, klug, mit Google, kochen nicht, bestellen Essen. Glauben Sie, dass diese scheinbare Autonomie Eltern besonders schmerzt?
Weiler: Da ist was dran, weil: Die Aufträge enden. Man soll bestimmte Dinge nicht mehr machen, weil die das gar nicht wollen und auch nicht für wichtig halten. Frühstück zum Beispiel. Jahrelang hat man morgens Frühstück gemacht, und dann kommt der Sohn an und sagt: "Hör mal, ich habe das immer nur dir zuliebe gegessen, ich habe morgens überhaupt keinen Appetit, lass es bitte einfach sein." Das ist dieser höllische Pragmatismus, die sind da sehr unsentimental im Gegensatz zu ihrem Vater.
Billerbeck: Ja, und dann sitzt er da mit dem weich gekochten Ei und macht was?
Weiler: Ich stehe ja trotzdem auf, heimlich. Er will nicht, dass ich aufstehe, er möchte mich morgens einfach überhaupt nicht sehen, weil er dann auch mit mir reden müsste. Deswegen stehe ich heimlich auf und kontrolliere, ob er auf ist - aber ohne, dass er mich dabei beobachten darf.

"Na, Seniorendämmerung?"

Billerbeck: Wie macht man denn das in einer gemeinsamen Wohnung?
Weiler: Man hat ja ein seismografisches Gefühl, wo jemand gerade ist in der Wohnung. Wenn ich höre, dass er auf Toilette geht, dann gehe ich raus. Wenn ich merke, jetzt wird er wahrscheinlich gleich von der Toilette kommen, dann gehe ich ins Wohnzimmer. Dann geht er in die Küche, ich höre im Wohnzimmer, wie er sich in der Küche einen Espresso macht, dann geht er wieder in sein Zimmer, und dann gehe ich wieder ins Schlafzimmer.
Billerbeck: Sie haben es nicht leicht so.
Weiler: Das Allerschlimmste ist, dass ich dann dafür nachmittags müde werde, weil ich ja morgens so früh aufgestanden bin. Das ist ganz entsetzlich, aber ich lege mich um drei Uhr hin und mache ein Nickerchen. Manchmal steht er dann vor mir, vor der Couch, guckt auf mich runter und sagt: "Na, Seniorendämmerung?" Das finde ich ganz schrecklich - wobei die ja selber ununterbrochen schlafen.
Billerbeck: Nur zu anderen Zeiten.
Weiler: Nee, der schläft auch, wenn er aus der Schule kommt. Er ist ja noch da, wollte ich noch sagen. Ich bin nur halbverlassen worden von den Kindern. Die Tochter ist weg.
Billerbeck: Sie haben die eine verloren, der andere ist noch da, und Sie gucken schon, dass die Tür immer halb auf ist.
Weiler: Ja, klar.

GPS-Sender in den Kragen nähen

Billerbeck: Dann gibt es ja auch Dinge, die man immer zum letzten Mal macht zusammen. Da kann sich jeder von uns erinnern: Man weiß noch ganz genau, wann man den letzten Urlaub mit den Eltern gemacht hat, wie alt man da war und wohin es ging und wann man das erste Mal gesagt hat: Nö, jetzt nicht mehr. Bei Ihnen war es der Italienurlaub. Schweißt das zusammen, dieser letzte Urlaub, oder macht es den Abschied nur länger und schwerer?
Weiler: Ich glaube Letzteres. Loslassen muss man ein bisschen üben, und zwar frühzeitig. Man hätte das schon vor Jahren vielleicht nicht mehr machen sollen. Dann kommen die noch mal mit, um einem einen Gefallen zu tun. Und man hat es vorher anmoderiert, indem man sagt - wir fahren immer in denselben Ort in Italien, und da gibt es so eine alte Open-Air-Pizzeria mit einem kaputten Kicker, mit dem die Kinder, als sie klein waren, wahnsinnig gerne gespielt haben – zu einer 21-jährigen Frau: Wir fahren dahin, weißt du, da ist doch der Kicker in der Pizzeria. Und dann guckt die einen so an: "Wie, Kicker?!"
Billerbeck: Ich kann mir die Blicke ganz genau vorstellen, Herr Weiler, ganz genau. Nun beschreiben Sie in dem Buch auch, dass Ihre Frau das souveräner hinkriegt. Was hat sie richtig gemacht und Sie falsch?
Weiler: Vielleicht ist es eine Typfrage, aber ich bin einfach eine wahnsinnige Glucke und würde gerne GPS-Dinger bei den Kindern in die Krägen nähen, damit ich immer weiß, wo die sind. Meine Frau, die geht einfach anders damit um. Die ist da sehr pragmatisch und macht sich nichts daraus, wenn sie mal eine Woche nichts hört. Sie macht es auf jeden Fall besser.

Nur Vertrauen zu den Kindern hilft

Billerbeck: Wie muss denn die Beziehung zum eigenen Kind sein, damit sie trägt über den Auszug hinaus?
Weiler: Ich glaube, man muss in allererster Linie Vertrauen haben zu den Kindern. Wenn man denen immer hinterherhängt, dann wird das nichts. Bei mir merke ich, ich bin da nicht richtig gut. Jetzt haben diese Teufel bei WhatsApp die blauen Häkchen deaktiviert. Das heißt, ich kann nicht mehr genau sehen, wann die eine Nachricht von mir gesehen haben oder ob sie die überhaupt gesehen haben. Das ist das Allerschlimmste für mich.
Billerbeck: Das heißt, Sie fragen dann noch dreimal nach?
Weiler: Ja klar, dann schicke ich immer Nachrichten: Hallooo?!
Billerbeck: Keine Antwort.
Weiler: Keine Antwort. Und dann rufe ich an und frage: Warum antwortest du nicht auf die Nachricht? Und dann sagt sie: "Wenn es wichtig ist, kannst du ja gleich anrufen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Jan Weiler: "Die Ältern"
Piper Verlag 2020
160 Seiten, 15 Euro

Mehr zum Thema