Jan Mohnhaupt: "Tiere im Nationalsozialismus"

Von Herrentieren und Schädlingen

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Buchcover zu "Tiere im Nationalsozialismus" von Jan Mohnhaupt auf orangefarbenem Aquarellhintergrund.
Tiere wurden im Nationalsozialismus wie Menschen behandelt und Menschen wie Tiere. © Hanser Verlag / Deutschlandradio
Von Wolfgang Schneider · 13.07.2020
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Dass den Nazis auch zu Tieren abstruse weltanschauliche Theorien einfielen, ist vielleicht nicht überraschend. Faszinierend aber ist die ideologische Vereinnahmung von Haus- und Nutztieren allemal, wie Jan Mohnhaupt in seinem Buch zeigt.
Jan Mohnhaupt, Jahrgang 1983, hat bereits eine Studie über Zoos in Zeiten des Kalten Kriegs vorgelegt. In seinem neuen Buch stellt er dar, wie im Dritten Reich nicht nur Menschen, sondern auch die Tiere gerastert und bewertet wurden nach ideologischen Denkmustern. Die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschoben sich. Verfolgte Menschen wurden wie Tiere behandelt, manche Tiere dagegen geadelt zu "Herrentieren".

Die Sanitätspolizei der Tierwelt

Im Nationalsozialismus wurden Raubtiere mit dem Ruch des Gefährlichen, Kämpferischen idolisiert: Göring hielt sich junge Löwen, Hitler hatte es mit den Wölfen. Der positiven Bewertung der Wölfe als "Sanitätspolizei" in der Tierwelt stand allerdings die Rücksichtnahme auf die Bauern gegenüber, die zu den Stammwählern der NSDAP gehörten und für solche Wolfsverklärung keinen Sinn hatten.
Mohnhaupt zeigt, dass derartige Ambivalenzen in der ideologischen Ausdeutung von Tieren kennzeichnend waren. Weil sich Katzen nicht wie Hunde zähmen lassen und zudem aus dem Orient stammen, galten sie manchen als "jüdische" Tiere: "tückisch, falsch und asozial". Andere dagegen sahen in der Katze ein "Herrentier, das sich niemandem unterwirft". Und lobten sie für ihre gewissermaßen "rassenhygienische" Aktivität im Einsatz gegen Ratten und Mäuse.
Der Verhaltensbiologe Konrad Lorenz beklagte die "Verhausschweinung" des zivilisierten Menschen. Weil Schweinefleischverzehr von Juden und Muslimen abgelehnt wird, erklärte man das Schwein aber andererseits zur "Leitrasse der nordischen Völker" – so verlautbarte es Reichsbauernführer Walther Darré in vollem Ernst. Mithilfe des Schweins sollte die deutsche Fettlücke geschlossen und die autarke Ernährung ohne Importe sichergestellt werden. Das "Ernährungshilfswerk" forderte die Volksgenossen zum gewissenhaften Sammeln ihres Biomülls auf. Hunderttausende zusätzliche Schweine sollten damit gemästet werden.

Seidenraupen züchten für Fallschirme

Weil Seide für Fallschirme knapp war, wurden die Schulkinder in die Pflicht genommen. Gemeinsam mit ihren Lehrern mussten sie Seidenraupen züchten. Außerdem galt es im Zeichen des "Kartoffelfelder-Abwehrdienstes", die Felder nach Käfern zu durchkämmen. Das gestreifte Insekt war das Musterbild des "Schädlings", den es erbarmungslos auszumerzen galt.
Die Nationalsozialisten bildeten sich viel auf ihre "Tierliebe" ein und verwiesen gerne auf die verbesserten Tierschutzgesetze. Diese dienten aber auch der Diskriminierung der Juden, etwa durch das Verbot des Schächtens. Indem die Vernichtung der Juden immer wieder mit biologischen Parasiten-Metaphern illustriert wurde, erschien der Völkermord als Sache der bloßen Hygiene. "Es ist keine Weltanschauungsfrage, dass man die Läuse entfernt. Das ist eine Reinlichkeitsangelegenheit", schwadronierte Himmler 1943.
Gekonnt verbindet Mohnhaupt in diesem erzählenden Sachbuch Details aus der Zeit des Nationalsozialismus mit weiter reichenden historischen Exkursen, etwa zur Jagd oder zur Schweinemast, und bereichert seine Ausführungen mit vielen aufschlussreichen Tiergeschichten, etwa über die Katze der Klemperers oder den Hund von Treblinka, einen kalbsgroßen Bernhardiner-Mischling namens Barry, der mit dem Kommando "Mensch, fass diesen Hund!" auf Häftlinge gehetzt wurde.
Angesichts der überaus umfangreichen Literatur zum Nationalsozialismus sind originelle Zugänge bei diesem Thema nur noch selten möglich. Jan Mohnhaupt hat einen gefunden.

Jan Mohnhaupt: Tiere im Nationalsozialismus
Hanser Verlag, München 2020
255 Seiten, 22 Euro

Mit der "Lesart" sprach Jan Mohnhaupt über sein Buch "Tiere im Nationalsozialismus" - unter anderem darüber, warum Adolf Hitler Dackel ablehnte:

Ein sehr bekannter Aspekt bei dem Thema ist Adolf Hitler mit seinen Hunden. Doch als Tierfreund könne man ihn nicht bezeichnen, sagt Mohnhaupt. Er wollte, dass Hunde ihm bedingungslos folgen, aufs Wort gehorchen. "Das hat sozusagen seinen Narzissmus und seinen Geltungsdrang sehr bedient." Deshalb habe er bestimmte Hunderassen gut gefunden. "Der Deutsche Schäferhund, das war seine Paraderasse."


Andere Rassen wie Dackel habe er aber abgelehnt. "Weil er gesagt hat, Dackel kann man nicht wirklich gefügig machen. Die haben immer noch ihren eigenen Kopf, und machen auch mal das, was man nicht verlangt." Das sei auch rassebedingt, so Mohnhaupt. "Weil Dackel zur Dachsjagd gezüchtet sind. Und dort dann im Bau unterwegs sind, teilweise eigene Entscheidungen treffen müssen und nicht mehr den Jäger haben, der ihnen sagt, was sie machen sollen."

Das ganze Gespräch mit Jan Mohnhaupt hören Sie hier:

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Der Journalist und Autor Jan Mohnhaupt sitzt am 12.07.2017 in der ZDF-Talksendung "Lanz".
© picture alliance / Eventpress MP
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