Jan Ilhan Kizilhan

Psychotherapie als Friedenspolitik

Jan Ilhan Kizilhan sitzt mit einer Frau im nordirakischen Dohuk im Büro des baden-württembergischen Sonderkontingents für bis zu 1000 traumatisierte IS-Opfer aus dem Nordirak.
Der Psychotherapeut und Orientalist Jan Ilhan Kizilhan © dpa / picture alliance
Moderation: Matthias Hanselmann · 20.06.2017
Jan Ilhan Kizilhan kam als Kind aus der Osttürkei nach Deutschland. Seit zwei Jahren arbeitet er mit Jesidinnen, die von IS-Kämpfern versklavt wurden. Wie schwierig es ist, die westlich geprägte Psychotherapie im Nahen und Mittleren Osten zu etablieren, erzählt er im Interview.
Er bezeichnet sich gerne als "grundoptimistischen" Menschen. Dabei ist Jan Ilhan Kizilhan bei seiner Arbeit immer wieder damit konfrontiert, wie grausam Menschen sein können.
"Die IS-Kämpfer sind nicht psychisch krank, sie sind keine Psychopathen. Sie haben eine Ideologie, die sagt, dass die Personen, die sie töten, keine Menschen sind. Es findet also eine Entmenschlichung des Menschen statt, ähnlich wie wir das auch beim Nazi-Regime beobachten konnten."
Der Psychotherapeut und Orientalist, der als 7-Jähriger aus der Osttürkei nach Deutschland kam, hat zum Beispiel Kriegsüberlebende aus Bosnien und Ruanda betreut.
"Wir sagen: Psychotherapie ist Friedensarbeit. Menschen müssen lernen, einander zu vergeben, es ist Versöhnungsarbeit. Wir wollen, dass Menschen durch den Dialog lernen, miteinander zurecht zu kommen."
Seit zwei Jahren arbeitet er mit Jesidinnen, die von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staats verschleppt, versklavt und gefoltert wurden.
"Wir versuchen, die Opfer zu stabilisieren und ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Wir sprechen viel über die Dinge, die sie erlebt haben. Und es geht darum zu lernen, mit diesem Traumaerlebnis umzugehen."

Was die IS-Mörder antreibt

Über die Frage, was die IS-Mörder antreibt, hat Jan Ilhan Kizilhan nun ein Buch geschrieben.
"Eigentlich müsste sich Deutschland schon seit dem 30jährigen Krieg sehr viel intensiver mit der Traumaforschung beschäftigen. Wir sehen in der Holocaustforschung, dass bis zur vierten Generation psychische Symptome erkennbar sind."
Und seit März diesen Jahres bildet der Anfang 50-Jährige im Nordirak Psychotherapeut/Innen mit dem Schwerpunkt Traumatologie aus - ein bisher einmaliges Projekt in der Region.
"Die islamische Welt muss das Problem des IS erledigen. Wir sind Zuschauer und zum Teil auch Opfer dieses Terrors. Der Islam befindet sich in einer tiefen Krise und in Krisen kommen Terrororganisationen zum Vorschein. Der Islam muss sich positionieren."
Unter anderem über die Schwierigkeit, die westlich geprägte Psychotherapie im Nahen und Mittleren Osten zu etablieren, sprach Matthias Hanselmann mit Jan Ilhan Kizilhan in der Sendung "Im Gespräch" im Deutschlandfunk Kultur, am 20. Juni ab 9.07 Uhr.
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