Jamila Woods über ihr Album "Legacy! Legacy!"

"Songs über Persönlichkeiten, die mich inspirierten"

09:18 Minuten
Porträt von Jamila Woods
Die Soul-Musikerin Jamila Woods gilt als die junge Stimme der Protestbewegung "Black Lives Matter". © Zoe Rain
Oliver Schwesig im Gespräch mit Jamila Woods  · 09.05.2019
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Miles Davis, Muddy Waters, James Baldwin oder Frida Kahlo - berühmten Leuten zollt die US-amerikanische R&B-Sängerin Jamila Woods Respekt auf ihrem neuen Album. Die Songs zeugen von der Kraft der Menschen, die Widerstand und Auflehnung gelebt haben.
Es geht in den Songs auf "Legacy! Legacy!" nicht nur um große Künstler, sondern auch generell um das, wofür sie stehen: Widerstand, Auflehnung gegen Rassismus, den Einsatz für weibliche Selbstermächtigung oder einfach auch künstlerische Freiheit in schweren Zeiten. Auch wenn Jamila Woods alte Figuren behandelt, ist ihr neues Album auch eine Platte für unsere Zeit. Hier wird ein zerrissenes Amerika der Gegensätze aufgerüttelt durch einen Blick in die Vergangenheit. All das und mehr erzählt Jamila Woods Oliver Schwesig im Interview.
Oliver Schwesig: Die meisten Songtitel bestehen nur aus einem Wort und meist ist es nur ein Name: zum Beispiel "Miles" steht für Miles Davis, "James" steht für James Baldwin. Was ist die Idee dahinter?
Jamila Woods: Ja, jeder Song auf diesem Album ist nach einem Künstler oder einem Denker benannt, der mich sowohl aus künstlerischer aber auch persönlicher Hinsicht inspiriert hat. Also ich habe mit meinen Songs keine Biografien über diese Menschen verfasst, sondern ich habe eher das benutzt, was ich von ihnen gelernt habe. So gucke ich wie durch eine Linse auf die Welt um mich herum, auf meine Beziehungen oder meine Erfahrungen und schreibe aus eben dieser Perspektive heraus. Manche dieser Persönlichkeiten sind vielleicht mehr und manche eher weniger bekannt. Aber ich wollte auch, dass die Songs für sich stehen können, über die Verbindung mit der jeweiligen Person hinaus.

Songs über genauso viele Frauen wie Männer

Oliver Schwesig: Die Hälfte der Namen auf den Tracks sind von Frauen, die andere Hälfte von Männern. War das auch eine bewusste Entscheidung?
Jamila Woods: Ich wollte auf jeden Fall, dass das ausgeglichen ist. Jeder meinte, da müssten mehr Männer als Frauen sein. Aber mehr Frauen als Männer finde ich auch ok.
Oliver Schwesig: Da können wir ja gleich mal über eine berühmte Frau sprechen: Frida – damit ist die Malerin Frida Kahlo gemeint. Und darin gibt es die schöne Zeile: Ich mag dich mehr, wenn Du weniger von mir siehst. Geht’s da um eine Frau, die sich verstecken will?
Jamila Woods: Es geht um eine Beziehung. Frida wohnte in einem Haus und ihr Partner Diego, auch ein Künstler, wohnte im Haus nebenan. Beide Häuser waren verbunden durch eine Brücke – und ich finde das großartig. So hat jeder seinen eigenen Raum und auch die Möglichkeit, den anderen zu treffen. Das Zitat "I like you better when you see me less" erinnert mich persönlich an diesen Spruch "Liebe entsteht aus Abwesenheit" und ich habe gemerkt, dass ich selbst meine Zeit für mich brauche, um mich zu erholen. Damit konnte ich mich also gut identifizieren.
Oliver Schwesig: In dem Song "Miles" geht es um Miles Davis. Und darin singen Sie über das alte Amerika und man findet die Zeile: "Ich hab Euch das Cool gegeben" Worum geht’s da? Um afroamerikanische Selbstermächtigung, um weibliche Selbstermächtigung?
Jamila Woods: Als ich mich mit der "Cool Jazz"- Bewegung und Miles Davis auseinandergesetzt, habe, wurde mir klar, dass das nicht nur eine musikalische Strömung war, sondern auch sehr eng verbunden mit den afroamerikanischen Künstlern, die diesen Druck verspürten, sich auszudrücken. Diese Kultur ist ja auch gleichzeitig die "coolste" Kultur in Amerika. Hip Hop zum Beispiel. Jeder möchte irgendwie Teil von dem sein, was schwarze Menschen geschaffen haben.
Oliver Schwesig: Auf dem alten Album ging es um Themen wie Community, Widerstand, weiblicher Zusammenhalt und solche Sachen, und auf dem neuen Album habe ich den Eindruck, behandeln Sie mehr diesen Gegensatz von Feminismus und Maskulinismus – stimmt das?
Jamila Woods: Ja, auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Mal mehr daran beteiligt war, dem Album eine gewisse Ausrichtung zu geben, wie jeder einzelne Song genau klingen sollte. Und ich war mir auch bewusster über meinen eigenen Stimmumfang. Ich singe inzwischen etwas tiefer, das ist schön. Ich mache einfach vieles bewusster, das hat mir dabei geholfen, mich stimmlich weiterzuentwickeln, aber auch im Hinblick auf das Songwriting.

Die Frage nach dem eigenen Vermächtnis

Oliver Schwesig: Interessant ist ja auch der Titel "Legacy! Legacy!". All die Menschen in den Songs sind Legenden. Aber man könnte das auch lesen als Erbe, kulturelles Erbe, zwischenmenschliches persönliches Erbe. Ging es Ihnen auch darum?
Jamila Woods: Ja, genau so ist es. Damit ist das kulturelle Erbe gemeint, aber es wirft auch die Frage auf: Was hinterlasse ich selbst eigentlich der nächsten Generation bzw. den Menschen, die mich einmal beerben? Was soll also mein eigenes Vermächtnis sein? Ich mag es, darüber nachzudenken und mich darüber auszutauschen, weil es mir wichtig ist, meine Herkunft zu zeigen bzw. diese Herkunft hervorzuheben, als etwas, das einen bestärken kann.
Oliver Schwesig: Ich musste an die universelle Kraft denken, die manche Songs ausstrahlen, aber auch diesen starken lokalen Bezug mancher Geschichten. Wieviel von Ihrer Heimatstadt Chicago steckt in den Stücken?
Jamila Woods: Ich glaube, Chicago zeigt sich immer schon ganz natürlich, auch wenn ich nicht explizit darüber schreibe. Aber ich weiß auch, dass einige der Persönlichkeiten auf dem Album eine Verbindung zu Chicago haben, zum Beispiel Muddy Waters, Sun Ra, auch Nikki Giovanni. Auch viele Mitarbeiter an diesem Album sind aus Chicago. Es sind also eher kleinere Dinge, die daran erinnern.

Früher begleiteten Woods große Selbstzweifel

Oliver Schwesig: Sie haben ja ganz jung mit Poesie und dem gesprochenen Wort angefangen und erst später sich der Musik zugewandt. Was war der Auslöser für diesen Wechsel, oder diesen Schritt nach vorne?
Jamila Woods: Ich habe das Singen immer geliebt. Ich habe in Chören und A cappella-Ensembles gesungen und so weiter. Ich bin zur Poesie gekommen, weil ich gemerkt habe, dass ich meine eigenen authentischen Geschichten erzählen muss. Vorher dachte ich: Oh, ich möchte gerne die Lieder singen von anderen Leuten und Gedichte schreiben über Dinge, die mir selbst nicht passiert sind, sondern über ausgedachte coole Geschichten, weil mein eigenes Leben doch eigentlich zu langweilig ist.
Aber dann habe ich angefangen, mit meinen Gedichten öffentlich aufzutreten, und ich habe dabei gemerkt, dass meine Geschichten es doch wert sind, erzählt zu werden. Also ich glaube, dass die Poesie mir dabei geholfen hat, zur Songwriterin zu werden und mir auch das nötige Vertrauen als Sängerin zu geben.
Vorher dachte ich nämlich nur: Ach, ich kann eh nicht so gut singen wie Mariah Carrey oder Minnie Ripperton, ich habe nicht diese großen, mächtigen Stimmen mit diesem weiten Tonumfang. Also auch was das Singen angeht, hatte ich wirklich große Selbstzweifel. Aber als ich anfing, Songs für meine eigene Stimme zu schreiben, hat sich das verändert. Ich vergleiche mich nun nicht mehr mit anderen, sondern nur noch mit mir selbst und wie gut ich selbst aus meiner eigenen Perspektive schreiben kann.
Oliver Schwesig: Sie machen ja auch sehr viel parallel: Schreiben, Singen, Touren, Lesungen – fällt es Ihnen schwer, das auszubalancieren und jeder Form die angemessene Aufmerksamkeit zu widmen?
Jamila Woods: Ja, definitiv. Das Touren nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Reisen kann sehr anstrengend sein. Wenn ich zurückkomme, denke ich mir oft: Jetzt kann ich endlich schreiben, schreiben, schreiben! Aber dann bin ich wieder zu Hause und liege nur im Bett und schaue Netflix. Ich habe gemerkt, dass es für mich wichtig ist, wenigstens irgendwas nach einer Tour zu tun. Ich schreibe Tagebuch, schaue Dokumentarfilme oder andere inspirierende Dinge an, auch wenn ich nach einer Reise müde und erschöpft bin. Ich versuche, diesen "Muskel" arbeiten zu lassen, auch wenn ich in dem Moment nicht an neuen Sachen schreibe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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