James Baldwin: "Nach der Flut das Feuer"

Was weiße Amerikaner schwarzen Amerikanern antun

Cover von James Baldwin: Nach der Flut das Feuer; im Hintergrund eine Straßenszene in Harlem 1960
Die Essays von James Baldwin besitzen auch heute noch eine bezwingende Schärfe, urteilt Maike Albath. © imago stock&people / ZUMA
Von Maike Albath · 02.02.2019
James Baldwin war eine wichtige Stimme der US-Bürgerrechtsbewegung. In dem Essayband "The Fire Next Time" schrieb er Anfang der 1960er-Jahre auf, was seine Hautfarbe für ein Leben in den USA bedeutete. Die neu ins Deutsche übersetzten Texte sind von bezwingender Schärfe.
Harsche Herabsetzung, Beleidigung und Benachteiligung sind noch das Harmloseste, was junge Schwarze Anfang der 1960er Jahre in New York erwartet. Beinahe schutzlos sind sie Übergriffen von Behörden und Polizei ausgeliefert; viele Biografien sind gezeichnet von Gewalt und ungerechtfertigten Gefängnisaufenthalten.
Die Auseinandersetzung mit seiner Hautfarbe und dem, was weiße Amerikaner schwarzen Amerikanern antun, steht im Mittelpunkt des packenden Essaybandes "Nach der Flut das Feuer" von James Baldwin (1924-1987), der im Original 1963 erschien.
Den Auftakt bildet ein Brief an seinen 15-jährigen Neffen. Anlass ist der 100. Jahrestag der Sklavenbefreiung. Auch in den Heranwachsenden, der denselben Vornamen wie sein Onkel trägt, sei die Geschichte seiner Herkunft eingeschrieben – sein Land habe ihn in ein Ghetto einquartiert und ihm vor allem das Gefühl von Wertlosigkeit vermittelt.

Kämpferische Zuversicht

Viele Weiße würden das immer wieder verleugnen, aber sie beide wüssten es besser. Schließlich reiche es, sich in Harlem auszukennen. Aber genau dies schütze ihn: Denn da der kleine James wisse, woher er komme, könne er unendlich weit gehen.
Es ist diese Art von kämpferischer Zuversicht, die den Brief auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung so berührend macht. Fürsorglich und voller Zuneigung bereitet Baldwin seinen Neffen auf das Erwachsenwerden vor. So nüchtern der damals schon arrivierte Schriftsteller die Verhältnisse bloßlegt, so ermutigend ist sein Brief.
Auf eine selbstsichere Haltung, die um die eigene Kraft weiß, spielt auch der Titel des Bandes an, der einem Gospel-Song entnommen ist: "God gave Noah the rainbow sign, no more water, the fire next time!"

Der Kniff Religion

Der zweite Essay "Vor dem Kreuz" führt zurück in Baldwins eigene Jugend. Er spricht von einem "Kniff", der ihn vor den Verführungen der Straße rettete: die Religion. Dass er als Jugendlicher ein Laienprediger wurde, in Harlem große Popularität genoss und für seine mitreißende Rhetorik bekannt war, hing aber auch mit der tiefen Rivalität mit seinem Stiefvater, einem Baptistenprediger, zusammen. James Baldwin übertrumpfte den Älteren und wurde dadurch unanfechtbar - er eroberte sich einen Schutzraum.
Der US-Schriftsteller James Baldwin in den 1960er-Jahren
Der US-Schriftsteller James Baldwin in den 1960er-Jahren© imago stock&people
Anschaulich beschreibt er den Reiz, von einer Kanzel herab zu sprechen und die Gläubigen in Wallungen zu versetzen. Man kann dies als eine Urszene deuten, denn Baldwin erfuhr, welche Macht Worte entfalten können. So leidenschaftlich er sich dem Rausch des Predigens hingab, so massiv wurden seine Zweifel, als er wieder zu lesen begann, bis er sich schließlich von der Kirche abwandte.
Bei einer späteren Einladung zu den Black Muslims stellte sich sofort Distanz ein. Zu militant wirkte ihre Spiritualität. Nach der Veröffentlichung des Essays landete James Baldwin 1963 auf dem Cover des "Time"-Magazins, avancierte zu einer wichtigen Stimme der Bürgerrechtsbewegung und bewahrte sich vollkommene Unabhängigkeit. In dieser intellektuellen Autonomie liegt die Wucht seiner Texte. Baldwins Essays besitzen eine bezwingende Schärfe.

James Baldwin: "Nach der Flut das Feuer"
Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow
Dtv, München 2019
124 Seiten, 18 Euro

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